Rezension über:

Andreas Moritsch (Hg.): Der Prager Slavenkongress 1848 (= Buchreihe des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa; Bd. 7), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2000, 192 S., ISBN 978-3-205-99288-2, EUR 55,80
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Rezension von:
Kerstin S. Jobst
Historisches Seminar, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Kerstin S. Jobst: Rezension von: Andreas Moritsch (Hg.): Der Prager Slavenkongress 1848, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2000, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 5 [15.05.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/05/3235.html


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Andreas Moritsch (Hg.): Der Prager Slavenkongress 1848

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In deutscher Sprache liegen nur wenige Arbeiten vor, die den Prager Slavenkongress von 1848 thematisieren. [1] Der Grund für die Vernachlässigung dieser so wichtigen ostmitteleuropäischen Perspektive in bezug auf die Revolution von 1848/49 mag die hier zu Lande zu konstatierende, zuweilen an eine nationale Nabelschau erinnernde Fixierung auf die Ereignisse um die Frankfurter Nationalversammlung sein. Allenfalls die dominierende Gestalt des Vorsitzenden des Prager Kongresses, František Palacký, erfuhr wiederholt eine Würdigung. [2] Der vorliegende Band ist somit grundsätzlich zu begrüßen. Er basiert auf einem 1998 in Klagenfurt und Tratten (Pošišce) veranstalteten internationalen Symposium, welches unter dem Namen "Trattener Forschungsgespräche" schon das vierte seiner Art war. Bereits 1994 wurde mit dem Schwerpunkt "Austroslavismus" ein Aspekt behandelt, welcher eng mit dem Thema des Prager Slavenkongresses verquickt ist.

Wie in vielen Sammelbänden sind auch im vorliegenden Fall (qualitativ) höchst unterschiedliche Beiträge vereinigt. Insgesamt 15 Verfasser steuerten Aufsätze bei; leider fehlt die serbische Perspektive, was aber nicht dem Herausgeber anzulasten ist. Grundsätzlich waren die Veranstalter bemüht, Historikerinnen und Historiker zu gewinnen, welche jeweils das Wirken 'ihrer' nationalen Gruppe in Prag darstellten. So geht zum Beispiel Olga V. Pavlenko in ihrem Beitrag über die slavische Frage im Kontext der russisch-österreichischen Beziehungen der Frage nach, warum die Besorgnis der Delegierten vor der "russischen Universalmonarchie" fast genauso stark war wie vor großdeutschen Tendenzen. Sie erklärt dies, durchaus plausibel, mit dem zu diesem Zeitpunkt im Umfeld des Zaren vorherrschenden Primat des Legitimitätsprinzips gegenüber einer allslavischen Solidarität. Antoni Cetnarowicz betont die sehr heterogenen Auffassungen des polnischen Lagers gegenüber den Magyaren als revolutionäre, antihabsburgische Avantgarde oder aber als Bedrücker der slovakischen, kroatischen und ruthenischen Brüder - ein Aspekt, der zu Recht in vielen Beiträgen thematisiert wird. Er macht auch deutlich, dass das polnische Bestreben nach der Wiedererlangung einer eigenen Staatlichkeit schon wegen der Galizien-Problematik und der auch später noch virulenten Teschener Frage eine schwere Hypothek für den Erfolg des Kongresses gewesen war. Die insbesondere von den meisten tschechischen Vertretern gewünschte austroslavische Lösung wäre mit den Polen allein schon deshalb wohl kaum zu erreichen gewesen. Wegen ihrer gewaltsamen Auflösung durch die Truppen von Windischgrätz nach dem Prager Pfingstaufstand wurde die Nachwelt allerdings eines abschließenden Urteils über den möglichen Erfolg oder Misserfolg der Prager Zusammenkunft entbunden.

Als eine Art Rückfall in vertraute nationalhistorische Denkgewohnheiten, die übrigens auch in manchen anderen Beiträgen anzutreffen sind, mutet Cetnarowiczs Urteil an, der polnisch-ukrainische Konflikt in Galizien sei allein durch die Wiener Zentrale geschürt worden. Von der inkonzilianten Haltung der polnischen autonomen Verwaltung gegenüber den zum Teil durchaus berechtigten Forderungen der ukrainischen Nationalbewegung mag der Verfasser nichts wissen. Dass die später nie mehr erreichte grundsätzliche polnisch-ukrainische Einigung über den gleichberechtigten Status beider Nationalitäten eben auch an der polnischen Seite scheiterte, sollte deshalb betont werden.

Als ein Zeichen für die Aufgeschlossenheit der geschichtswissenschaftlichen Zunft des ehemaligen sogenannten Ostblocks gegenüber neueren kulturgeschichtlichen Ansätzen kann der Aufsatz Jiří Štaifs über die Darstellung Palackýs in der deutschen Zeitschrift "Die Grenzboten" gelten, in dem der Autor mit der Kategorie des "Anderen" arbeitet; wohl aus Platzgründen unterbleibt leider die Darlegung der theoretischen Prämissen. Zudem kratzt der Autor an dem Bild des nationalen, unfehlbaren Heroen Palacký und markiert dessen Erwartungen an den Kongress als naiv.

Zu erwähnen ist auch der Beitrag Daniela Kodajovás, welche die Einflüsse aktueller politischer Vorgaben auf die Historiographie am Beispiel der Bewertung der Prager Ereignisse durch die slowakische Geschichtsschreibung darstellt. In der unabhängigen ČSR dominierte demnach die Betonung der antideutschen beziehungsweise antiungarischen Tendenzen des Kongresses. Der nur wenige Seiten lange Beitrag Gudrun Schmalzbauers über "Die Problematik der Nachempfindung von byzantinischen Konzepten im Blick auf den Prager Slavenkongress" wäre an anderer Stelle wohl besser aufgehoben gewesen. Erstaunlich muten manche Passagen in der Einleitung des mittlerweile leider verstorbenen Herausgebers an, der (ohne Anführungsstriche) davon spricht, dass die Republik Österreich 1938 "in das große deutsche Vaterland heimgeholt wurde" (1).

Insgesamt liegt - trotz zahlreicher Einschränkungen - ein nicht uninteressanter Sammelband vor, welcher an das Thema heranführt, aber über den bereits erarbeiteten Forschungsstand nicht hinausgeht. Die Autoren räumen abermals mit manchen Legenden - wie dem der deutschen Verhandlungssprache oder einer allslavischen Solidarität - auf und betonen die oft unterschätzte magyarische Komponente in den Verhandlungen des Kongresses. Es wird deutlich, dass schon vor der gewaltsamen militärischen Auflösung genug Zündstoff zur Sprengung des Prager Slavenkongresses von 1848 vorhanden gewesen war - und zwar von innen heraus.

Anmerkungen:

[1] Eine lobenswerte Ausnahme ist der Sammelband: 1848/49, Revolutionen in Ostmitteleuropa, hrsg. von Rudolf Jaworski und Robert Luft, München 1996 (Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum, 18). Darin eine ausführliche, von Eckhard Hübner besorgte Bibliographie. (Vgl. Besprechung in: ZfO 49 [2000], 264ff.)

[2] So zum Beispiel durch die deutsche Übersetzung der Studie von Georg J. Morava: Franz Palacký. Eine frühe Vision von Mitteleuropa, Wien 1990.


Kerstin S. Jobst