Rezension über:

Werner Jacobsen: Die Maler von Florenz zu Beginn der Renaissance (= Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz. Vierte Folge; Bd. 1), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001, 670 S., 191 s/w-Abb., zahlr. Tabellen und Listen, 18 doppelseitige Pläne, ISBN 978-3-422-06285-6, EUR 179,00
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Rezension von:
Ulrich Rehm
Institut für Kunstgeschichte, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Rehm: Rezension von: Werner Jacobsen: Die Maler von Florenz zu Beginn der Renaissance, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 12 [15.12.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/12/3441.html


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Werner Jacobsen: Die Maler von Florenz zu Beginn der Renaissance

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Die italienische Malerei des 15. Jahrhunderts nicht durch die Brille des 16. zu beurteilen, ist eine anhaltende Aufgabe der Kunstgeschichtsschreibung. Deshalb kommt ein Buch, das, auf einem 156 Seiten umfassenden Regestenanhang basierend, die Arbeits- und Lebensumstände der Florentiner Maler in der ersten Jahrhunderthälfte untersucht, in jedem Fall recht. Werner Jacobsen unterwirft sein Vorgehen zwei Prinzipien: erstens, als Quellentexte ausschließlich zeitgenössisches Archivmaterial gelten zu lassen, und zweitens, das Œuvre der Maler allein anhand solcher Werke zu behandeln, die durch zeitgenössische Signatur, Datierung oder Dokumente als gesichert gelten dürfen. Dementsprechend kann der Abbildungsteil (ab Abbildung 7) zukünftiger Œuvrediskussion als Grundlage dienen. Mit den ersten sieben Kapiteln stellt sich Jacobsen dezidiert in die Nachfolge Martin Wackernagels, dessen 1938 erschienenes Buch "Der Lebensraum des Künstlers in der Florentinischen Renaissance" einen nach wie vor unverzichtbaren Standard gesetzt hat.

Kern der Untersuchung ist die Auswertung der seit Mitte des 19. Jahrhunderts zumindest in Auszügen immer wieder herangezogenen Florentiner Catasto-Archivalien, ausführliche Vermögenserklärungen, die mit dem 1427 eingeführten Steuersystem für alle Haushalte und Körperschaften verpflichtend wurden. Auf dieser Grundlage bietet Jacobsen eine differenzierte Darstellung der institutionellen Organisation der unterschiedlichen Malerberufe. Die meisten Maler gehörten in Florenz bekanntlich der Zunft der Ärzte und Apotheker (Arte dei Medici e Speziali) an, die Zugehörigkeit variierte jedoch je nach Arbeitsmaterial. Keine Informationen sind aus den Zunftbüchern über die Mönchsmaler zu erhalten, die vom Zunftzwang befreit waren und etwa fünf Prozent der Maler stellten (vor allem Glas- und Miniaturmaler). Weitere wichtige Aufschlüsse geben die Dokumente der Lukasgilde, der ein großer Teil der Maler angehörte.

Das Renaissance-Ideal des möglichst alle Disziplinen beherrschenden Künstlers, das schon in Cenninis "libro dell'arte" anklingt, widerspricht dem Berufsalltag der ersten Hälfte des Quattrocento: Die Spezialisierung war erheblich. Allein für das Jahr 1427 kann Jacobsen einhundertachtundreißig Maler nachweisen - ein deutlicher Hinweis auf den Anteil des Visuellen in der Florentiner Kultur.

Dennoch war der Beruf nicht der angesehenste, und die ökonomische Situation begann erst ab der Jahrhundertmitte erste Aufstiege zu verzeichnen (91ff.). Zumeist wohnten die Maler in den ärmeren Außenbezirken der Stadt, Oltrarno (80, 193), und nur selten erlangten sie angesehene Ämter, wie Taddeo Gaddi, der in den Consiglio del Comune gewählt wurde (193).

Über die Ausbildung und die Gesellenarbeit unterrichten ausführlich die erhaltenen Verträge Neris di Bicci von 1453-1475. Sie zeugen von weitreichender Freiheit der Gesellenarbeit bis hin zu eigenständigen Aufträgen, die auch selbst signiert werden konnten (118). In Vater-Sohn- oder Geschwister-Betrieben wechselte der Jüngere oft erst mit dem Tod des Älteren vom Gesellen- in den Meisterstatus. Daneben bestanden so genannte Partnerschaften, die oft auf nur kurzen Kooperationsvereinbarungen beruhten (132). Die hier ablesbare organisatorische Vielfalt und Flexibilität lässt so manche Vorstellung vom "Werkstattstil" und damit verbundene Zuschreibungen als obsolet erscheinen und zwingt zur Differenzierung. Auch das Motiv des Wettbewerbs, bei Vasari geradezu Wesensmerkmal der Renaissance-Kunst, ist im 15. Jahrhundert nur selten nachzuweisen (153).

Wie weit die Arbeitsverträge die jeweilige Arbeit bestimmten, ist von Fall zu Fall verschieden. Kriterien wie Meisterschaft oder Eigenhändigkeit spielen dabei nahezu keine Rolle. Während die Tafelmalerei schon wegen der Holzarbeiten an der Tafel und dem Rahmenwerk ein ausgesprochenes Luxusgut war, war die Wandmalerei ein vergleichsweise kostengünstiges Medium (177). Allenfalls besonders kostbare Materialien wie Blattgold oder Ultramarin konnten den Preis in die Höhe treiben (178).

Im achten Kapitel versucht Jacobsen die Synthese. Die zuweilen unverhofft emphatisch formulierten Entwicklungstendenzen von der spätmittelalterlichen zur Renaissance-Malerei folgen vertrauten kunsthistorischen Entwicklungsmodellen. Der Verfasser geht davon aus, die überragende innovative Leistung Giottos habe die nachfolgende Generation überfordert, und lehnt Antals These vom gewandelten Auftraggeberniveau oder Millard Meiss' Pestthese ab (206). Nach Jacobsen brach das Giotto-Erbe zunächst in verschiedene Lager auseinander, die vor der Schwelle zum 15. Jahrhundert vor allem mit den Namen Taddeo (aber auch Giovanni) Gaddi sowie Orcagna benannt sind (209-11).

Einzig die Wandgemälde Masaccios, des "ersten Malers der Renaissance" (7), in der Brancacci-Kapelle und in Santa Maria Novella werden vom selbstauferlegten Sicherheitsedikt unmittelbar zeitgenössischer Belege ausgenommen. Diese Ausnahme aber stellt das Vorgehen grundsätzlich in Frage, denn mit ähnlich guten Gründen ließen sich zahlreiche weitere, für die künstlerischen Entwicklungen entscheidende Werke zuschreiben.

Ein Blick auf den Beginn des Abbildungsteils und den Schluss des Textes lässt das verfolgte Schema erahnen. Cum grano salis landen wir doch wieder bei Vasaris "Vite": Giotto als Urvater der Renaissancekunst, der einen umfassenden Kanon an Neuerungen eingeführt habe, der jedoch von den folgenden Generationen nur mühsam oder formal widersprüchlich habe fortgeführt werden können. Ein "titanischer Kampf des unverbesserlichen Einzelkämpfers" Masaccio habe mit einem Schlag die Renaissancemalerei hervorgebracht (300). Doch erst nach einer Phase der Ignoranz habe diese von den 40er-Jahren an ihren unvermeidlichen Siegeszug antreten können. Der 'heroische' Stil Masaccios jedoch stehe zunächst im Schatten der bevorzugten 'eleganten' Richtung eines Fra Angelico, Fra Filippo Lippi, Botticelli, Ghirlandaio oder Verrocchio. Diese aber sei letztlich noch dem Internationalen Stil verhaftet (240). Die progressiven Leistungen etwa eines Fra Angelico seit den frühen 30er-Jahren gehen in dieser Argumentation unter, zumal von dessen umfangreichem Œuvre neben den Wandgemälden in Rom und Orvieto gerade einmal zwei Tafelmalereien übrig bleiben (Abbildungen 126-127).

Das Ziel des verfolgten Entwicklungsmodells offenbart sich erst im letzten Satz: "Vielleicht kommt es nicht von ungefähr, dass gegen Ende des Jahrhunderts dieser 'eleganten' Renaissance-Kunst der große Widerpart ausgerechnet in dem betont republikanisch denkenden Michelangelo di Ludovico Buonarrotti erwuchs" (314) - Masaccio als Präfiguration Michelangelos also.

Diesem Grundgedanken unterliegt die Stildiskussion des 8. Kapitels, das sich weitgehend auf die Wand- und Tafelmalerei beschränkt. Das Spektrum der Beurteilungskriterien ist auf wenige darstellerische Probleme oder Motive beschränkt, die für eine bestimmte Modernitäts- und Avantgardevorstellung einstehen sollen: die "Freiheit" der Figur im Raum und deren Lebendigkeit, antikisierende Motive und die korrekte Anwendung der Zentralperspektive. Weiterreichende Gesichtspunkte, etwa die sich wandelnden Anforderungen an die Erzählleistung des Bildes oder auch die von Wackernagel aufgeworfenen Fragen nach den jeweils spezifischen Bildaufgaben und Auftraggeberinteressen geraten nunmehr leider in den Hintergrund.

Die Ignoranz der Florentiner gegenüber Masaccio habe ihre Parallele in der Geschichte des Auftrags an Uccello, das Reiterbild von John Hawkwood an der Nordwand des Florentiner Doms neu auszuführen."Die Operai del Duomo bemühten sich erst, nachdem ihnen dieser Ruhm kund ward, den verlorenen Sohn der Stadt zurückzuholen und ihm sogleich diesen Auftrag zu geben. Doch hatten sie anscheinend nicht geahnt, dass sie sich damit einen so engagierten Verfechter der neuen Renaissance-Richtung einhandeln würden" (298-299). Und prompt habe es Ärger gegeben: Die Beanstandung der verlorenen Erstausführung wegen einer Schicklichkeitsverletzung ("quia non est pictus ut decet") sei vermutlich auf eine zu gewagte Perspektive zurückzuführen, aus der erst der doppelte Augenpunkt der zweiten Fassung resultiere.

Sollte es wirklich Zufall sein, dass die sicher zurecht als Gründungswerke der Renaissancemalerei beurteilten Wandbilder, Masaccios gemalte Verquickung von Grabmal und Kapelle mit einer zum Gnadenstuhl erweiterten Kreuzigungsgruppe in Santa Maria Novella (Abbildung 111) und Ucellos Darstellung eines Reiterstandbilds (Abbildung 106), die spezifische Aufgabe haben, ein dreidimensionales Monument des Totengedenkens zu imaginieren? Was hier im ausgesprochen kostengünstigen Medium der Wandmalerei geschaffen wurde, avancierte in seiner spezifischen Formgebung ja möglicherweise erst nach und nach zu einem allgemeineren Ideal der an Ansehen gewinnenden Malerei. Und womöglich kam es erst unter dieser Voraussetzung über den bis dahin vornehmlich literarischen Ruhm Giottos hinaus zu einer auch künstlerischen Neuentdeckung von dessen Werk. Dies und ähnliches jedenfalls wäre auf dem neu erreichten Stand der Forschung zu diskutieren.

Eine spannende Frage, die vom erarbeiteten Quellenmaterial ausgeht, bietet sich zum Schluss, auch wenn hier noch einmal die Präfiguration Michelangelos aufleuchtet (304): Lässt sich mit Masaccio, Masolino, Castagno oder Uccello ein bestimmter Künstlertypus ausmachen, der, nicht aus einer Malerfamilie stammend, nicht oder erst spät verheiratet, ortsungebunden und professionelle Partnerschaften meidend, besonders prädestiniert für eine bestimmte Richtung künstlerischer Neuerung war?

Eines schließlich dürfte einem so grundlegenden, vielschichtigen und umfangreichen Buch, das sicher auf lange Zeit ein wesentliches Nachschlagewerk bleiben wird, nicht fehlen: das Register.


Ulrich Rehm