Rezension über:

Bengt Christian Fuchs: Die Sollicitatur am Reichskammergericht (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich; Bd. 40), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, XIII + 259 S., ISBN 978-3-412-12501-1, EUR 34,90
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Rezension von:
Anette Baumann
Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e.V.
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Anette Baumann: Rezension von: Bengt Christian Fuchs: Die Sollicitatur am Reichskammergericht, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 2 [15.02.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/02/2201.html


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Bengt Christian Fuchs: Die Sollicitatur am Reichskammergericht

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Das 1495 gegründete Reichskammergericht war neben dem Reichshofrat das oberste Gericht im Alten Reich. Es wurde innerhalb kurzer Zeit zu einer aus der Abhängigkeit vom Kaiser gelösten, professionell arbeitenden, modernen Rechtsprechungsinstanz, die auch großen Einfluss auf die Rechtspflege in den Territorien ausübte. Seit etwa Mitte der 1970er Jahre hat die Forschung die rund 80.000 Prozessakten als hervorragende Quelle für die Untersuchung der Rechts-, Reichs-, Regional- und Landesgeschichte erkannt und nutzte sie zunehmend. Das zeigt vor allem die Reihe "Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich", deren 40. Band gerade erschienen ist. Darin befasst sich Bengt Christian Fuchs mit der Sollicitatur am Reichskammergericht.

Die Sollicitatur "war eine durch die Prozesspartei persönlich oder einen Verfahrensbevollmächtigten vorgebrachte Bitte an Bedienstete des Reichskammergerichts, ihre rechtsanhängigen Verfahren einer raschen Erledigung zuzuführen" (2). Dies geschah oft in privatem Rahmen und war ein probates Mittel zur Verfahrensbeschleunigung. Fuchs beginnt seine Untersuchung mit der Diskussion der Quellen, wobei er normative Vorgaben, zeitgenössische Urteile und Literatur heranzieht, nicht aber Prozessakten, obwohl sie auch auf Fragen um die Sollicitatur Antwort geben, zum Beispiel wenn Sollicitanten vor dem Reichskammergericht wegen Verleumdung oder Nichtzahlung des Honorars klagen.

An die Erörterung der Quellen schließt sich eine ausführliche und gut gelungene Darstellung der Etymologie des Wortes "Sollicitatur" und seiner Verwendung in der Rechtssprache des römischen Rechtes an, um daraus die Funktion der Sollicitatur im Verfahren des Reichskammergerichts herzuleiten. Dabei kommt Fuchs zu dem Schluss, dass die Sollicitatur notwendig war, um "dem Gebot rechtlichen Gehörs und möglichst effektiven Rechtsschutzes trotz aller Widrigkeiten der Rechtswirklichkeit Genüge zu tun" (38). Sie war ein Teil des Verfahrens; ohne sie befand sich der Prozess sozusagen im Ruhezustand.

Die Sollicitatur wurde bei allen Prozessarten angewandt. Sie konnte erst nach dem offenen Aktenschluss, der so genannten Submission, erfolgen. Dies geschah auf Anordnung des Kammerrichters durch Kompilierung der Akten in der Kanzlei. Danach wurde die Akte dem Assessor zugeschrieben, der die Relation verfasste. Ab diesem Zeitpunkt setzte die Sollicitatur ein, die schriftlich oder mündlich erfolgen konnte. Bei der schriftlichen Sollicitatur wurden dem Assessor, Kammerrichter oder -präsidenten gedruckte Zettel mit der Angabe der Prozessparteien und der Bitte um Verfahrensbeschleunigung überreicht. Fuchs hat 86 (39) oder 68 (44) Zettel aus den Jahren 1780 bis 1784 im Untrennbaren Bestand des Reichskammergerichtsarchivs gefunden und sie nach ihrem Bestimmungszweck untersucht. Die Auswertung der Zettel erscheint zu sehr verallgemeinert. Es ist einfach problematisch, eine Teilmenge - die Gesamtmenge aller Zettel aus den Jahren 1780 bis 1784 ist ja unbekannt - stellvertretend auf die mehr als dreihundertjährige Wirkungszeit des Gerichts zu beziehen. Angemessener wäre es gewesen die Auswertung der Zettel in die aktuelle Situation des Gerichts in den 1780er Jahren einzubetten. Fuchs hält jedenfalls als Ergebnis für diesen Zeitraum fest, dass rund 38% der Zettel den Kammerrichter um die Distribution der Akte an den Referenten baten, 29% verlangten einen Referenten oder Koreferenten und 33% baten um das Urteil.

Besonders gut herausgearbeitet sind Form, Inhalt und Durchführung der Sollicitatur. Sie konnte sowohl von den Prozessparteien selbst als auch von professionellen Kräften durchgeführt werden. Bei den Fachkräften ist zwischen den am Gericht zugelassenen Rechtsanwälten (Advokaten und Prokuratoren) und bevollmächtigten Dritten zu unterscheiden. Letztere hatten sogar Gesandtenstatus. Fuchs stellt dabei fest, dass es zum überwiegenden Teil die Prokuratoren waren, die die Sollicitatur durchführten. Adressaten der Sollicitanten waren vor allem der Kammerrichter oder die Präsidenten, in weit geringerem Maße auch die Assessoren. Nichtadelige Privatparteien, wie zum Beispiel. Bauern und arme Parteien, nutzten dagegen eher die Beziehungen zum Hauspersonal und den Kanzleibediensteten.

Zum Schluss geht Fuchs noch auf die Missbräuche der Sollicitatur sowie ihren kostenrechtlichen Aspekte ein. Besonders schwierig ist dabei aus heutiger Sicht die Abgrenzung zwischen Sollicitatur und Bestechung. Fuchs macht dies an den Beispielen der Korruptionsaffären des Assessors Schütz und des Nathan Aaron Wetzlar deutlich. Gerade diese Beispiele hätte man sich etwas ausführlicher gewünscht, vor allem da der Autor nur vorwiegend gedruckte Quellen benutzt. So wäre es sicher nützlich, im Fall Wetzlar auch die Visitationsprotokolle der zweiten Wetzlarer Visitation (1767-1776), auf der dieser Fall verhandelt wurde, aus dem Haus- Hof- und Staatsarchiv in Wien heranzuziehen. Jedenfalls stellt Fuchs klar, dass "es ... wohl verfehlt [wäre], den Sollicitanten insgesamt ein grundsätzlich gestörtes Verhältnis zu den Verhaltensregeln im reichskammergerichtlichen Prozeß vorwerfen zu wollen, wie es von Teilen der zeitgenössischen Literatur getan wurde. ... Ein gesetzliches Verbot der Sollicitatur ohne Behebung der Struktur- und Verfahrensprobleme des Reichskammergerichts hätte keinen Missbrauchsfall, keine Korruption verhindern helfen" (191).

Die Studie ist insgesamt sehr informativ und lesenswert. Sie schließt eine große Lücke in der reichskammergerichtlichen Forschung. Leider stört dann um so mehr das Layout. Mag es eine Geschmacksfrage sein, ob man Namen in Kapitälchen setzt oder nicht, so sind zahlreiche fehlerhafte Zeilenumbrüche doch irritierend.


Anette Baumann