Rezension über:

Thomas Ketelsen / Tilmann von Stockhausen: Verzeichnis der verkauften Gemälde im deutschsprachigen Raum vor 1800. Herausgegeben von Burton B. Fredericksen und Julia I. Armstrong, unter Mitarbeit von Michael Müller, München: K. G. Saur 2002, 3 Bde, 2480 S., ISBN 978-3-598-24490-2, EUR 498,00
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Rezension von:
Joachim Rees
Forschungszentrum Europäische Aufklärung, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Alexis Joachimides
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Rees: Rezension von: Thomas Ketelsen / Tilmann von Stockhausen: Verzeichnis der verkauften Gemälde im deutschsprachigen Raum vor 1800. Herausgegeben von Burton B. Fredericksen und Julia I. Armstrong, unter Mitarbeit von Michael Müller, München: K. G. Saur 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 3 [15.03.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/03/2395.html


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Thomas Ketelsen / Tilmann von Stockhausen: Verzeichnis der verkauften Gemälde im deutschsprachigen Raum vor 1800

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Auktionskataloge fristen in kunsthistorischen Fachbibliotheken bis heute häufig ein Schattendasein. Bibliografisch oft unzureichend erschlossen, in den Systematiken zwischen Sammlungsgeschichte und musealen Bestandskatalogen einsortiert, bilden sie einen Fundus 'grauer Literatur', der sich in das Spektrum kanonischer kunsthistorischer Textsorten nicht recht einfügen will. Diese bibliografische Marginalisierung erscheint symptomatisch. Die Erforschung von Kunstwerken als Objekte eines merkantilen Handelns, das nicht nur differenzierte Formen der Güterakquisition und -distribution, sondern auch damit korrespondierende Textsorten und Sprachregelungen ausgebildet hat, ist auf der kunsthistorischen Agenda nicht eben hoch angesiedelt. Die methodisch innovativsten Ansätze zur Erforschung dieses Themas wurden denn auch in den letzten Jahren vorzugsweise von Historikern entwickelt, die dort, wo die Kunstgeschichte dazu neigt, den individuellen Künstler als Produzent und Anbieter seiner Kunst isoliert herauszustellen, den Blick auf größere wirtschafts-, sozial- und geschmacksgeschichtliche Zusammenhänge des sich formierenden Kunstmarktes im Europa der Frühen Neuzeit lenken. Neben der älteren Studie von John Michael Montias über Delft wären hier für den deutschsprachigen Raum vor allem die Arbeiten von Richard Schlögl und Michael North zu nennen.

298 Auktionskataloge, Verkaufsprotokolle und -listen aus dem Zeitraum zwischen 1670 und 1800 bilden denn auch die Quellenbasis für das "Verzeichnis der verkauften Gemälde im deutschsprachigen Raum vor 1800", das im Laufe eines neunjährigen, gemeinsam vom Provenance Index des Getty Research Institute (Los Angeles) und der Hamburger Kunsthalle getragenen Forschungsprojekts entstanden ist. Die Publikation setzt damit die bereits erschienenen Kompendien zur Inhaltserschließung von Auktionskatalogen in Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden fort, deren Erfassungszeitraum indessen sämtlich erst nach 1800 einsetzt.

Für den deutschen Sprachraum resultierte die detaillierte Auswertung und inhaltliche Erschließung dieses Korpus von Auktionskatalogen in nicht weniger als 50236 Gemälden, die, alphabetisch geordnet nach Künstlernamen, jeweils mit einem einheitlich aufgebauten Eintrag vertreten sind. Dieses Verzeichnis der Gemälde nach Künstlern bildet mit fast 2200 zweispaltig bedruckten Seiten den Hauptteil des dreibändigen Kompendiums. Der erste Band enthält als Einleitung eine instruktive Darstellung über die Entwicklung des Auktionswesens im 18. Jahrhundert in den deutschsprachigen Territorien, ferner Benutzungshinweise, ein Literatur- und Siglenverzeichnis sowie als Kernstück das Verzeichnis der eruierten Auktionskataloge. Band 2 liefert die Fortsetzung des Gemäldeverzeichnisses nach Künstlern, Band 3 enthält dessen Abschluss sowie Indizes für die in den Katalogen (oft handschriftlich) annotierten Käufer und die Vorbesitzer der zum Verkauf gekommenen Gemälde.

Als eine quellenkundliche Detektivarbeit ersten Ranges muss das Aufspüren der annähernd 300 historischen Versteigerungskataloge gelten, die in 75 Bibliotheken, privaten und öffentlichen Archiven in der Bundesrepublik Deutschland, den europäischen Nachbarländern und den Vereinigten Staaten nachgewiesen werden konnten. Die Recherchen förderten für den deutschen Sprachraum nicht weniger als 177 Titel zu Tage, die im einschlägigen Band von Frits Lugts Pionierwerk (Répertoire des catalogues des ventes publiques [...] 1938 ff.) nicht erfasst sind, indessen sind umgekehrt auch Exemplare, die Lugt noch einsehen konnte, infolge von Kriegsverlusten heute nicht mehr nachweisbar.

In der einleitenden Darstellung wird der historische Kontext, in dem gedruckte, überörtlich verteilte Auktionskataloge entstanden sind, knapp aber faktenreich erhellt. Öffentliche Versteigerungen von Kunstwerken sind im deutschen Sprachraum vereinzelt bereits für das frühe 18. Jahrhundert nachweisbar, doch nahm diese Vermarktungsform erst nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 einen signifikanten Aufschwung. Das Verfahren wurde dabei häufig den bereits etablierten Bücherauktionen entlehnt. Dies gilt auch für die Anfertigung eines Katalogs, der bei der Versteigerung von Büchern schon aus Zensurgründen verpflichtend war. Plastisch werden die besonderen zeitlichen und räumlichen Restriktionen geschildert, denen die Versteigerungen als Rechtshandlungen unterworfen waren. Da sich die Auktionare nur in den seltensten Fällen auf Dokumentationen seitens der Anbieter stützen konnten, mussten offene Zuschreibungsfragen häufig im Akkord gelöst werden, ohne dass die wenigen vorhandenen kunstlexikalischen Hilfsmittel diese Aufgabe wesentlich hätten erleichtern können. Diese improvisierte Zuschreibungspraxis führte im Verbund mit Verständnis- und Übertragungsfehlern der Katalogredakteure zu einer beträchtlichen Anzahl von vielfach kaum mehr auflösbaren Namensvarianten, die heute kein noch so umfangreiches Künstlerlexikon verzeichnet.

Das Repertorium der Auktionskataloge, unter denen sich auch einige handschriftliche befinden sowie Listen von Gemäldelotterien und vereinzelte Sortimentskataloge von Kunsthändlern (die funktionale Abgrenzung dieser Dokumenttypen wird leider etwas allzu kursorisch abgehandelt) bildet das erste bedeutsame Textkorpus der Publikation. Chronologisch nach dem Tag der Versteigerung geordnet, werden die Schriften nach einem einheitlichen Erfassungsschema vorgestellt, das neben den 'technischen Daten' der Auktion (Ort, Verkäufer, Anzahl der angebotenen Gemälde, eventuelle handschriftliche Notierungen, bibliothekarischer Nachweis des Katalogs) auch einen wertvollen Kommentar über die angebotene Sammlung, ihre gattungs- und künstlerspezifischen Schwerpunkte und den Verbleib prominenter Einzelwerke enthält.

Das zweite, weitaus umfangreichere Textkorpus der Publikation enthält gleichsam die detaillierte Auffächerung all dessen, was in den Katalogen an Gemälden verzeichnet worden ist. Jeder Eintrag, der einer Versteigerungseinheit, einem sogenannten 'Los' entspricht, folgt einem 22 Rubriken umfassenden Schema, dessen wichtigste Elemente in der vollständigen Zitation des betreffenden Textes aus dem historischen Auktionskatalog, der Nennung des Käufernamens (falls vermerkt) und - soweit möglich - dem Nachweis des gegenwärtigen Standorts des Gemäldes bestehen. Die Zuordnung eines solchen Los-Eintrags zu dem jeweiligen Katalog, in dem dieses Los figuriert, gelingt leider nur über das Datum der Auktion. Auf die Angabe der laufenden Nummer des Katalogs im Repertorium, die eine wesentlich effizientere Zuordnung ermöglicht hätte, wurde merkwürdigerweise verzichtet.

In der Gesamtschau bietet diese Kompilation von über 50000 Gemälden ein beeindruckendes Panorama merkantiler Transaktionen in einer entscheidenden Formationsphase des sozialen Teilsystems 'Kunst'. Das hier zusammengestellte Informationspotenzial wird auf Jahre hinaus unterschiedlichsten Frageansätzen und Erkenntnisabsichten dienstbar sein: Wirtschafts-, sozial-, geschmacks- und sammlungsgeschichtliche Untersuchungen über die deutschsprachigen Territorien des 18. Jahrhunderts finden hier eine gesicherte empirische Basis, wobei stets zu bedenken ist, dass im öffentlichen Versteigerungswesen nur ein, wenn auch ein bis heute besonders publikumsträchtiges Instrument des Kunstmarktes greifbar wird. Der Nutzen dieses Datenbestandes für die Provenienzforschung, dem die Publikation zuallererst ihr Entstehen zu verdanken hat, liegt ebenso auf der Hand wie für jede künstler- oder gattungsmonografische Untersuchung zu den hier nachgewiesenen Werken.

Von besonderem Quellenwert für eine historische Semantik kunstkennerschaftlicher Verständigungsformen sind schließlich die hier verzeichneten Bildtitel und Gemäldebeschreibungen. Sie dokumentieren nicht nur die Herausbildung eines eigenständigen Fachvokabulars, das eine effiziente Verständigung über Bildinhalte und malerische Charakteristika ermöglichte, sondern sie umreißen auch jene Deskriptionsebene, von der sich die Bildästhetik seit etwa 1750 durch den Appell an das Empfindungsvermögen der Betrachter zunehmend abzusetzen versuchte: So ließ etwa Matthias Oesterreich, der die Kunstsammlung des Berliner Getreidehändlers Johann Gottlieb Stein 1763 katalogisierte, in seine wortreiche Beschreibung eines "Hirtenstücks" von Christian Wilhelm Ernst Dieterich die vom Empfindsamkeitskult der Zeit inspirierte Frage einfließen: "Sind nicht die Wendungen eines jungen Mädchens, das ohne Einpressungen, ohne verhüllten Kleidern [!], ohne Zwang, frey und munter lebt, gar sehr von der Wendungen der eingekerkerten und vermummten Frauenzimmern verschieden? Jene geschehen nach den Empfindungen des Herzens, diese nach denen strengen Gesetzen der Mode" (521). Durch Textzeugnisse dieser Art bietet das Verzeichnis reichhaltiges Material für eine Rezeptionsgeschichte von Einzelwerken und Gattungen im Spannungsfeld von merkantilem Interesse und 'interesselosem Wohlgefallen'.

Angesichts der arbeitsintensiven Fülle des hier präsentierten Materials können Kritikpunkte stets nur Einzelaspekte betreffen, ohne dass dabei der Gebrauchswert der Publikation insgesamt in Frage zu stellen wäre. Die Beschränkung des Verzeichnisses auf Gemälde, von den Autoren selbst als problematisch eingestuft, aber aus arbeitsökonomischen Gründen für vertretbar gehalten, führt zu einer kaum zu übersehenden ahistorischen Isolierung der Malerei, die sich gerade im Hinblick auf die Nachbargattungen der Zeichnung und Grafik negativ bemerkbar macht. Zudem wurde diese Separierung nicht konsequent beibehalten. So sind von dem Schweizer Kleinmeister Johann Ludwig Aberli aus einem Auktionskatalog der Leipziger Kunsthandlung Rost vom Januar 1788 "6 Schweizerprospecte, colorirte Handrisse" aufgenommen worden (164), also doch wohl allem Anschein nach Zeichnungen, wenn nicht gar kolorierte Stiche, die Aberli in Bern in einer Art Bilder-Manufaktur produzierte. Dieser 'Irrläufer' mag für sich genommen unbedeutend erscheinen, doch nährt er das Bedauern darüber, dass die Erschließung der einmal eruierten und erfassten Auktionskataloge bei vertretbarem Mehraufwand nicht auch auf die Zeichnungen ausgedehnt worden ist.

Zweifel prinzipieller Art betreffen die Frage, ob die gedruckte Form wirklich die angemessene Präsentations- und Gebrauchsform für die hier versammelte Datenfülle ist. Dass der Verlag zumal in Kunsthandelskreisen genügend Käufer finden wird, die etwa 35 Regalzentimeter und annähernd 500 Euro für das voluminöse Werk erübrigen können, darf als sicher gelten. Alle anderen werden dankbar den Hinweis zur Kenntnis nehmen, dass der Datenbestand auf der Website des Getty Research Institute auch kostenlos Online abfragbar ist (http://piweb.getty.edu). Dass die Suchfunktionen der Online-Version eine ganz andere Erschließungstiefe des Datenbestandes ermöglichen als die statische Buchform, bedarf keiner Erläuterung. So gelingt hier, was die Buchform mit ihrer künstleralphabetischen Ordnung schlichtweg verweigert, die Zusammenstellung aller zu einer spezifischen Auktion gehörigen Los-Nummern, also die virtuelle Rekonstruktion jener Kataloge, die als Datenquelle für das Vorhaben dienten. Andererseits entfaltet die Buchversion ihren eigenen Reiz gerade dort, wo sie mit den unvermuteten Bruchstücken einer 'anderen', heute vergessenen Kunstgeschichte aufwartet: Künstler(innen) wie Josepha de Agallaz, Scirifero Forza und Dyonisius Haidkerken, um nur drei aus der großen Fülle derer zu nennen, die im Verzeichnis mit dem Zusatz "nicht identifiziert" firmieren, würden einem in der digitalisierten Form wohl kaum begegnen, weil man ohne Hinweis auf ihre Existenz und ihr Schaffen schwerlich nach ihnen suchen würde. Das vorliegende Verzeichnis bildet damit sowohl das Prominenzprinzip des Kunstmarktes als auch dessen tendenziell egalitären Charakter getreulich ab. Neben den großen Meisternamen, die für zahllose Zuschreibungen herhalten mussten, stehen gleichberechtigt obskur gewordene Künstlernamen, die nur in den Eintragungen der Versteigerungskataloge überdauert haben.


Joachim Rees