Rezension über:

Thomas Scharff: Die Kämpfe der Herrscher und der Heiligen. Krieg und historische Erinnerung in der Karolingerzeit (= Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, 348 S., ISBN 978-3-534-15990-1, EUR 59,90
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Rezension von:
Hans-Henning Kortüm
Institut für Geschichte, Universität Regensburg
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Henning Kortüm: Rezension von: Thomas Scharff: Die Kämpfe der Herrscher und der Heiligen. Krieg und historische Erinnerung in der Karolingerzeit, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 5 [15.05.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/05/2852.html


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Thomas Scharff: Die Kämpfe der Herrscher und der Heiligen

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Nicht immer gibt es einen Zusammenhang von Quantität und Qualität. Auch die Hoffnung, dass Quantität irgendwann in Qualität umschlagen möge, erweist sich - so manche Habilitationsschrift legt dies nahe - in vielen Fällen als frommer Wunsch. Dass "brevitas" durchaus die wissenschaftliche Qualität befördern kann, zeigt die hier zu besprechende Münsteraner Habilitationsschrift. Der bewusste Verzicht auf eine im Allgemeinen eher abschreckend wirkende prätenziöse Fachprosa macht die Lektüre zu einem ausgesprochenen Vergnügen, einmal ganz abgesehen von dem reichen wissenschaftlichen Gewinn. Ganz wesentlich dafür ist der logisch-konzise Aufbau der Darstellung. Die Einleitung informiert präzise und nachvollziehbar über die Relevanz eines - aus welchen Gründen auch immer - von der Forschung bislang vernachlässigten Themas, nämlich des in den mittelalterlichen, zumal karolingerzeitlichen Quellen omnipräsenten "Krieges". Von daher leuchtet es auch unmittelbar ein, dass der erste Hauptteil der Arbeit nach der Repräsentanz von "Krieg" in den Quellen fragt. Vier Gattungen (Fürstenspiegel, Hagiographie, Dichtung und Historiographie) werden unterschieden und die jeweils differenten Funktionen herausgearbeitet, die sich mit der Repräsentanz von Krieg verbinden: Als gattungstypischer Vorgang kann gelten der didaktisch-exemplarische Zugriff in den Fürstenspiegeln (wie habe ich mich als Herrscher im Kriege zu verhalten, um bestehen zu können?), die panegyrische Interpretation in der Dichtung (der Ruhm des Herrschers als erfolgreicher Krieger, auch mit der Möglichkeit der Umdeutung oder Relativierung von Niederlagen), in der Hagiographie die Charakterisierung karolingischer Adelsheiliger als christliche "Streiter"; in der Historiographie schließlich kann häufig eine funktionale Pluralität beobachtet werden: Ruhmespreis der Krieger, Mahnung und Ermahnung derselben durch Verweis auf eine positiv dargestellte Vergangenheit und schließlich auch und nicht zuletzt Kritik.

Im zweiten Teil beschäftigt sich Scharff mit einigen für das Thema "Krieg" zentralen Deutungskategorien: dem Raum, der Zeit, der Herrschaft und der Erinnerung. Hier gelingen ihm wichtige, manchmal auch faszinierende Erkenntnisse. So wird deutlich, dass erfolgreiche und vor allem immer wiederkehrende Kriegsführung unabdingbare Basis erfolgreicher "guter" im Sinne gottgefälliger Herrschaft eines Königs darstellt, der gleichsam zum jährlichen Kriegszug verpflichtet erscheint. Beeindruckend auch die vom Verfasser geleistete, sehr differenzierte Interpretation kriegerischer Lexik und Semantik. So beinhaltet beispielsweise der Terminus "vastatio" eben unvergleichlich viel mehr als bloß "Verwüstung" und "Zerstörung". Er ist zumindest bipolar besetzt und verdeutlicht die Unfähigkeit des Gegners zum Schutz des eigenen Gebietes und kann im Sinne rechtmäßigen Handelns aus der Sicht des Verwüsters sehr wohl positiv konnotiert sein. Nicht genügend unterstrichen werden kann die Erkenntnis des Autors, dass eine doppelte "Zeichenhaftigkeit", nämlich die Zeichenhaftigkeit der Darstellung wie auch die Zeichenhaftigkeit des Dargestellten, eine naive, positivistisch orientierte Rekonstruktion kriegerischer Gewalt, wie noch in der älteren Militärgeschichtsschreibung weithin üblich, ausschließen.

Hans-Henning Kortüm