Rezension über:

Henriette Graf: Die Residenz in München. Hofzeremoniell, Innenräume und Möbilierung von Kurfürst Maximilian I. bis Kaiser Karl VII. (= Forschungen zur Kunst- und Kulturgeschichte; Bd. VIII), München: Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen 2002, 318 S., 12 Farb-, 95 s/w-Abb., ISBN 978-3-932982-43-9, EUR 39,00
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Brigitte Langer (Hg.): Pracht und Zeremoniell - Die Möbel der Residenz München. Katalog zur Ausstellung 'Pracht und Zeremoniell - Die Möbel der Residenz München' (München, 7.9.2002 - 6.1.2003), München: Hirmer 2002, 303 S., 140 Farb-, 60 s/w-Abb., ISBN 978-3-7774-9560-6, EUR 39,90
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Rezension von:
Marc Rohrmüller
Marburg/L.
Redaktionelle Betreuung:
Eva-Bettina Krems
Empfohlene Zitierweise:
Marc Rohrmüller: Die Residenz in München (Rezension), in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 7/8 [15.07.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/07/3354.html


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Die Residenz in München

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Zeitgleich zur Münchner Ausstellung "Pracht und Zeremoniell - Die Möbel der Residenz München" im ehemaligen Stadtschloss der Wittelsbacher (2002/03) erschien neben dem Ausstellungskatalog noch eine weitere Publikation zur mobilen Ausstattung des "Wundergebäus" und deren alltäglichem und zeremoniellem Gebrauch. Es ist dies Henriette Grafs erweiterte Dissertation (von 1995) über Hofzeremoniell, Innenräume und Möblierung der kurfürstlichen Appartements der Münchner Residenz. Herausgeber beider Schriften ist die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen.

Der Begleitband zur Ausstellung ist zweigeteilt in einen Aufsatzteil mit 11 Beiträgen und einen Katalog von gleichem Seitenumfang. Die Autoren des Bandes sind überwiegend Mitarbeiter der Schlösserverwaltung. Nach dem Korpuswerk zu den Möbeln der Residenz liegt nun eine Publikation vor, die die Ergebnisse der Forschungen der letzten Jahre zum alltäglichen und zeremoniellen Gebrauch der Mobilien sowie zu ihren ursprünglichen Aufstellungsorten in einigen der Raumfolgen präsentiert.

Der einleitende Beitrag von Brigitte Langer widmet sich vor allem der Ausstellungskonzeption. Die Autorin umreißt die Thematik und erläutert die Wahl der drei Zeitschnitte für die Ausstellung. Am Beispiel der Prunkmöbel des 17. Jahrhunderts, der Ausstattung der Reichen Zimmer von 1730-1737 und des 1835 vollendeten Königsbaus und seiner Ausstattung wurde dem Besucher die Thematik in der Ausstellung näher gebracht. Die Beiträge des Katalogs gehen darüber hinaus. Sie bieten einen guten Überblick von der komplexen Bau- und Ausstattungsgeschichte des Schlosses bis hin zur Problematik der Restaurierung eines einzelnen Prunkmöbels. Bei der Ausstellung sowie beim Katalog stand nicht allein die kunsthandwerkliche Qualität der Objekte im Vordergrund, sondern gleichrangig der historische Kontext. Neben der Klärung von Provenienzen geht es um die Funktion im Alltag und Zeremoniell, die Einbindung in die Bau- und Ausstattungs- und damit auch die Dynastiegeschichte. Erarbeitet wurde dies auf Grundlage der Quellen unter Heranziehung zeitgenössischer Traktate und neuerer Literatur zu Zeremoniell, Architektur und Hofwesen.

Im ersten Beitrag gibt Sabine Heym eine prägnante Darstellung der neuen Erkenntnisse zur Bau- und Ausstattungsgeschichte der Münchner Residenz vom 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Dabei wird die komplexe Geschichte des mehrere Höfe umfassenden Bauensembles nachgezeichnet. Nachfolgend widmet sich Johannes Erichsens einem Desiderat der Forschungen zur Münchner Residenz. Er untersucht die Lage und Distribution der Gemächer des Kurfürsten Maximilians I. (1573-1651) und seiner Frauen rund um den Grottenhof.

In den drei folgenden Beiträgen von Esther Janowitz, Hans Ottomeyer und Henriette Graf werden einzelne zeremonielle Anlässe zum Thema genommen, nämlich die Kaiserbesuche im 17. Jahrhundert, das Tafelzeremoniell des 16. bis 19. Jahrhunderts und der Vergleich des in München üblichen Hofzeremoniells mit denen des kaiserlichen Hofes zu Wien und des französischen Hofes im 17. und 18. Jahrhundert. Besonders hervorzuheben ist Esther Janowitz' auf Quellen gestützte Rekonstruktion der ephemeren Ausstattung der Kaiserzimmer. Sie gibt Auskunft über die Verwendung wohl eigens für diesen Zweck angeschaffter Prunkmöbel und -textilien.

Dem dritten Zeitschnitt in der Ausstellung ist der Beitrag von Petra Hölscher gewidmet. Sie setzt sich mit dem 1835 fertig gestellten Königsbau am Max-Joseph-Platz und seiner auf Dauerhaftigkeit angelegten wandfesten sowie der mobilen Ausstattung auseinander - ein Bau, dessen öffentlich zugängliche Raumfluchten des Herrscherpaares gleichsam als ein Denkmal für das bayerische Königtum konzipiert wurden.

Am Beispiel zweier Möbelgattungen geben Edgar Bierende und Sigrid Sangl Ein- und Überblicke über deren repräsentativen Wert und alltäglichen Gebrauch. Sigrid Sangls Abhandlung über Möbel für Münz- und Medaillensammlungen ist ein wichtiger neuer Beitrag zur Bedeutung von Sammlungsmöbeln in der frühneuzeitlichen Hofkultur. Die aufwändige Gestaltung der seit dem 16. Jahrhundert geschaffenen Objekte spiegelt die Bedeutung dieses speziellen Zweiges fürstlicher Sammelleidenschaft wieder. Hier, wie auch bereits im Beitrag Bierendes, steht die Funktion der Objekte und nicht vorrangig deren kunsthandwerkliche Qualität im Vordergrund. Bierende beleuchtet den Stellenwert des gesellschaftlichen Spielens bei Hofe. Zudem arbeitet er heraus, dass die meisten erhaltenen Prunkspieltische gar nicht zum realen Gebrauch bestimmt waren, sondern in Galerien und der Kunstkammer als Repräsentationsobjekte dienten und daher die Zeitläufe überlebten.

Mit den beiden abschließenden Beiträgen der Restauratoren Heinrich Piening und Bernhard Mintrop über die technologische Entwicklung im Möbelbau und die Restaurierung eines der prominentesten Möbel des 18. Jahrhunderts in der Münchner Sammlung (dem Lacksekretär im Miniaturenkabinett der Reichen Zimmer, aus der Zeit um 1730-33) wird der Themenkomplex sinnvoll abgerundet. Beide Aufsätze geben eine Einführung in die Problematik von Produktion und Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung von historischen Möbeln.

Besonders positiv hervorzuheben ist, dass in den Texten der Schwerpunkt auf der Darstellung der zeremoniellen und funktionalen Aspekte der Objekte liegt und nicht mehr dem "Meisterwerk" und seinem Schöpfer der Primat zukommt. Der opulent und hervorragend ausgestattete Katalog gibt zudem nicht nur Fachleuten einen Überblick über den in den letzten Jahren und Jahrzehnten gewonnenen Forschungsstand, sondern wendet sich ebenso an den interessierten Laien. Er fordert darüber hinaus durch die explizit formulierten Desiderate in der Forschung zur Münchner Residenz zu einer weiteren intensiven Auseinandersetzung mit einem der bedeutendsten Höfe im Alten Reich auf.

Aufbauend auf ihre 1995 in Salzburg abgeschlossene Dissertation über die "Reichen Zimmer", die für die nun vorliegende Buchausgabe um eine Betrachtung der Wohnräume des 17. Jahrhunderts erweitert wurde, verfolgt Henriette Graf in etwa das gleiche Ziel wie die Beiträge des Kataloges. Sie legt dabei ihren Schwerpunkt auf die Appartements des Kurfürstenpaares im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Ziel der Studie ist es, "ein Bild des Alltags und der täglichen Umgebung bei Hof im 17. und 18. Jahrhundert zu entwerfen"(11). Zudem geht es Graf um die Rekonstruktion der mobilen Ausstattung unter Berücksichtigung des wandfesten Interieurs. Dazu hat die Autorin alle ihr zur Verfügung stehenden Quellen, wie die zum Hofzeremoniell, Reisebeschreibungen, Tagebücher, Memoiren, Grundrisse und Inventare, ausgewertet.

Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Im ersten und dritten Teil werden auf Grundlage der Quellen die Appartements, deren Ausstattung und Möblierung beschrieben. Im zweiten Teil widmet sich die Autorin Fragen nach dem Hofzeremoniell und der Raumdisposition sowie deren Wandel im Verlauf von 150 Jahren. Einer dieser Aspekte, der des Hofzeremoniells, wurde in leicht abgewandelter Version im zuvor besprochenen Katalog veröffentlicht. Im letzten Abschnitt widmet sie sich einzelnen Elementen der mobilen Ausstattung, ihrer Entwicklung und dem Wandel im Laufe der Zeit. Ergänzt wird der Text um einen Anhang mit transkribierten Dokumenten zum Zeremoniell und der Ausstattung von Räumen in der Münchner Residenz.

Ein Ergebnis der Arbeit liegt darin, dass entgegen der Meinung der älteren Literatur zur Münchner Residenz die Disposition und Ausstattung der zeremoniell bedeutendsten Räume nicht dem französischen, sondern dem Vorbild des Wiener Hofes verpflichtet sind. Aus Frankreich hingegen rezipiere man, so Graf, nur "modische" Elemente - eine Erkenntnis, die wenig verwundert. Hilfreich wäre an dieser Stelle sicherlich eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der "Mode" gewesen sowie die Heranziehung von anderen weltlichen kurfürstlichen Höfen im Reich als Vergleichsbeispiele. Wünschenswert wären ferner eine tiefergehende Analyse und Diskussion einiger Punkte gewesen, beispielsweise der konkreten Anlässe für Bauvorhaben und Neuausstattungen sowie des Adressatenkreises: Warum wird etwa zu einem bestimmten Zeitpunkt in dieser Form gebaut beziehungsweise ausgestattet und welcher Kreis von Rezipienten - Stichwort: Statuskonkurrenz - ist als Adressat zu benennen? Bedauerlich für den Leser ist zudem, dass auf rekonstruierende Lagepläne mit Legenden verzichtet wurde, die auch dem weniger intimen Kenner der Residenz die Orientierung erleichtert hätten. Unbestritten kommt dem Buch allerdings das Verdienst zu, die Quellen zur Bau- und Ausstattungsgeschichte der Raumfolgen in der Münchner Residenz im 17. und 18. Jahrhundert erschlossen zu haben und auf dieser Grundlage konkrete Angaben zur Nutzung und Ausstattung der Räume zu ermöglichen.

Marc Rohrmüller