Rezension über:

Birgitta Berglund-Nilsson / Barbro Ohlin: Inventaire et index de la Correspondance littéraire secrète dite de Mettra. Avec la collaboration de Ulla Kölving. Préface par Jean Sgard (= Publication du centre international d'étude du XVIIIe siècle; 3-4), Ferney-Voltaire: Centre International d'Étude du XVIIIe Siècle 1999, 2 Bde., XXXVIII + 472 S., VI + 380 S., ISBN 978-2-84559-002-1, EUR 120,00
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Rezension von:
Karin Angelike
Hückelhoven
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Karin Angelike: Rezension von: Birgitta Berglund-Nilsson / Barbro Ohlin: Inventaire et index de la Correspondance littéraire secrète dite de Mettra. Avec la collaboration de Ulla Kölving. Préface par Jean Sgard, Ferney-Voltaire: Centre International d'Étude du XVIIIe Siècle 1999, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/09/3591.html


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Birgitta Berglund-Nilsson / Barbro Ohlin: Inventaire et index de la Correspondance littéraire secrète dite de Mettra

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Louis-Francois Mettra ist einer der zahlreichen Publizisten, Drucker und Verleger, die im Zeitalter der Spätaufklärung ihr wirtschaftliches Auskommen außerhalb Frankreichs im Pressewesen suchen. Mit seinem Namen sind verschiedene Nachrichtenunternehmen verbunden, die in französischer Sprache im deutschen Rheinland erscheinen: die handgeschriebenen "Bulletins de Versailles" (1774-1794), die geheime politische Nachrichten aus dem engsten Kreis des französischen Königshofes transportieren, die gedruckte "Correspondance littéraire secrète" (1785-1793), die bis 1785 ebenfalls im Untergrund erscheint und eine literarische Entsprechung der "Bulletins de Versailles" darstellt, der "Nouvelliste politique d'Allemagne" (1780-1788), eine offiziell privilegierte politische Gazette in Kurköln, und die "Correspondance secrète, politique et littéraire" (1787-1790), bekannt unter dem Namen "Compilation de Londres", in der eine Zusammenstellung von Beiträgen der Jahre 1774 bis 1785 der beiden geheimen und begehrten "Bulletins de Versailles" und "Correspondance littéraire secrète" im Nachdruck erscheint. [1]

Formal beruht die Einheit von "Bulletins de Versailles" und "Correspondance littéraire secrète" (CLS) auf der Textgattung Brief, denn beide Publikationen lehnen sich an die im 18. Jahrhundert weit verbreitete literarische Korrespondenz an, doch erscheinen im Unterschied dazu die einzelnen Ausgaben der CLS nicht handschriftlich, sondern einmal pro Woche gedruckt auf 8 Seiten im Oktavformat. Überdies ist sie seit 1785 (seitdem wird sie in Neuwied herausgegeben) frei auf dem Postweg erhältlich. Sind die politischen Nachrichten stets aus dem Umfeld des französischen Hofs in Versailles datiert, so stammen die Berichte der CLS fast ausnahmslos aus Paris. Der thematische Schwerpunkt der Zeitschrift liegt daher auf den kulturellen Ereignissen der Pariser Gesellschaft: Literatur, Wissenschaft, Kunst, Theater und Moden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den kurzlebigen und zumeist im Untergrund vertriebenen literarischen Werken zu, die gegen die französischen Zensurvorschriften verstoßen und daher umso mehr das Publikumsinteresse ansprechen. Auch die "Bestseller" der Spätaufklärung wie Mercier und Raynal, deren Werke in Frankreich nicht offiziell erscheinen können, werden in der CLS besprochen, genauso wie die von der französischen Zensur verbotenen "Klassiker" der Aufklärung Voltaire, Rousseau und Diderot.

Es ist das Verdienst schwedischer Romanisten, sich erstmals mit der Person und dem Wirken Louis-Francois Mettras befasst zu haben. Sie haben damit begonnen, sowohl Klarheit über seinen Werdegang als auch eine erste Sichtung und Analyse seines journalistischen Schaffens zu präsentieren. [2]

Insbesondere Birgitta Berglund-Nilsson hat sich seither intensiv mit der CLS beschäftigt und legt nun in Zusammenarbeit mit Barbro Ohlin und Ulla Kölving ein umfassendes Inventar dieser geheimen literarischen Korrespondenz vor. Als Quellenmaterial dient ihnen dabei die fast vollständige Sammlung der Korrespondenz, die in der Bayerischen Staatsbibliothek in München archiviert ist und der Universitätsbibliothek Göteborg als Kopie vorliegt; die darin vorhandenen Lücken konnten größtenteils durch verschiedene Sammlungen in deutschen Bibliotheksbeständen aufgefüllt werden.

Das Werk gliedert sich in zwei Teile. Der erste Band enthält ein chronologisch aufgestelltes Verzeichnis aller besprochenen Themen: Brief für Brief (vom 7. Januar 1775 bis zum 22. Dezember 1793) finden erwähnte oder zitierte Werke, öffentliche Ereignisse ebenso wie 'faits divers', Diskussionen, Reflexionen und Gerüchte ihren Eintrag. Dabei wird folgende Reihenfolge beachtet: 1. der Name des Autors, 2. Titel des Werks, 3. Name des Übersetzers, des Herausgebers oder Ähnliches, 4. das 'Incipit', sofern es sich um Versstücke handelt, 5. eine kurze Beschreibung des behandelten Themas oder Ereignisses, sofern kein eindeutiger Bezug zu einem bestimmten Werk besteht, 6. bibliografische Hinweise.

Die Autorinnen bemühen sich insbesondere, die inhaltlichen Verschränkungen im Werk Mettras aufzudecken, indem sie die Übereinstimmungen der CLS mit dem Nachdruckunternehmen "Correspondance secrète, politique et littéraire", der so genannten "Compilation de Londres", offen legen. Darüber hinaus verweisen sie auf Anlehnungen an die "Correspondance littéraire" von Grimm und Meister, die Mettra des Öfteren als Quelle seiner eigenen Korrespondenz gedient hat. [3]

Ihrem ausführlichen Inventar schließen die Autorinnen einen Vergleich der CLS mit der "Chronique scandaleuse, ou mémoires pour servir à l'histore de la génération présente" (1783) an. Dieses Werk erscheint anonym und erregt aufgrund seiner freizügigen und libertinösen Berichte Aufsehen, sodass der Herausgeber in den Jahren 1785, 1787, 1789 und 1791 weitere Ausgaben mit Erfolg verbreiten kann. Die "Chronique scandaleuse" wird Imbert de Boudeaux, einem ehemaligen Benediktinermönch und Mitarbeiter Mettras bei der Herausgabe der CLS, zugeschrieben. Tatsächlich existieren zahlreiche inhaltliche Parallelen zwischen den beiden Werken, sodass die Autorinnen entschieden haben, eine Liste aller Artikel der "Chronique scandaleuse" anzufertigen, die zuvor bereits in der CLS erschienen sind. [4] Dieser vergleichenden Übersicht schließt sich eine vollständige Inventarisierung der "Chronique scandaleuse" in ihrer ersten Ausgabe an.

Der zweite Band umfasst fünf Indizes, die den Inhalt der CLS systematisch erfassen. Die Indizes beinhalten 1. jedes 'Incipit' der behandelten Versstücke, 2. die in der CLS erwähnten Lieder, 3. die Namen der besprochenen Autoren, 4. Personennamen, sowohl die der erwähnten Autoren und Übersetzer als auch jeder weiteren genannten Person mit kurzem Hinweis auf den jeweiligen Kontext, 5. ein Sachregister, das politische wie kulturelle Ereignisse und 'faits divers', Vereinigungen und Namen der Theater oder anderer Gebäude und vieles mehr auflistet.

Die ausführliche Bestandsaufnahme wird durch eine kurze Charakterisierung der Korrespondenz und ihres Herausgebers eingeleitet: Die Autorinnen präsentieren Aufbau und Inhalt der CLS, rekonstruieren den Druckort der Korrespondenz während ihrer zehnjährigen Phase im Untergrund (soweit die Forschungslage dies zulässt), charakterisieren das Lesepublikum und verweisen auf die möglichen Mitarbeiter Mettras.

Bemerkenswert ist die Ausrichtung der CLS am ausländischen, insbesondere deutschen Publikumsgeschmack, denn in ihrem programmatischen 'Avis' vom 7. Januar 1775 wendet sich die Zeitschrift ausdrücklich an die Bildungselite außerhalb Frankreichs: "les personnes bien élevées des deux sexes, celles qui habitent dans les Pays étrangers" [5], deren "goût" und "esprit" vom literarischen Leben in Paris fasziniert seien. [6] Die gedruckte Korrespondenz ist rar und teuer: Ihre Auflage ist gering und das Abonnement kostet im Jahr 1787 in Neuwied 11 Gulden. [7]

Auch wenn der Inhalt der CLS vorwiegend literarisch ausgerichtet ist, so ist ihr Erscheinen eindeutig ein Politikum - politische Konstellationen haben daher Einfluss auch auf den Inhalt der CLS. Auf diese Zusammenhänge gehen die Autorinnen in ihrer kurzen Einführung leider nicht ein, obwohl dies mit wenigen Sätzen zu leisten gewesen wäre. So beschreiben sie den inhaltlichen Wandel der CLS in den Jahren 1785 (die CLS erscheint nunmehr offiziell in Neuwied) und 1793 (die CLS erscheint unter einem neuen Titel und wird zu einem konterrevolutionären Organ [8]), ohne auf den politischen Kontext einzugehen. [9]

Diese nur unzureichende Berücksichtigung der politischen Konstellation wiegt natürlich angesichts der detaillierten Erschließung eines derartig umfangreichen Periodikums nicht schwer! Wer sich je mit der Erforschung von Zeitungen und Zeitschriften beschäftigt hat, weiß, wie mühsam es ist, allein die Textgrundlage systematisch zu sichten - zumal, wenn ein Werk wie im Fall der CLS kontinuierlich über 18 Jahre hinweg erscheint! Man kann daher nur erahnen, mit welcher Mühe und Detailtreue die Herausgeberinnen über Jahre hinweg an dieser Zusammenstellung gearbeitet haben. Besonders hilfreich sind die Querverweise sowohl auf das Nachdruckunternehmen, die so genannte "Compilation de Londres", als auch auf die "Chronique scandaleuse". Auf diese Weise lassen sich die inhaltlichen Verschränkungen im umfangreichen Werk Mettras bestens nachvollziehen. Mit ihren Verweisen auf die Korrespondenz von Grimm und Meister berücksichtigen die Herausgeberinnen zudem eine wichtige Quelle der CLS.

Mit der nun vorliegenden umfangreichen Inventarisierung der CLS, die sowohl einen chronologischen als auch einen systematischen Zugriff auf die Korrespondenz ermöglicht, bieten die Autorinnen all jenen Forschern eine große Hilfe, die sich mit der Geistes- und Kulturgeschichte des späten 18. Jahrhunderts befassen und dabei auf Zeitungen beziehungsweise Zeitschriften als Quelle des "Zeitgeistes" zurückgreifen möchten. Gerade die auf Aktualität bedachten Periodika spüren aktuellen Diskussionen, flüchtigen Trends und skandalträchtigen Ereignissen nach, die oftmals keine Spuren im Kanon der Geschichtsschreibung gefunden haben - für die Zeitgenossen waren diese Ereignisse gleichwohl interessant und bedeutsam.

Mithilfe dieser umfassenden Bestandsaufnahme werden Forscher in die Lage versetzt, Einzelanalysen zu den nachrichtenwirksamen Diskussionen und Ereignissen des späten 18. Jahrhunderts zu verfassen und darüber hinaus die Themen aufzuspüren, welche die frankophile Bildungselite in Deutschland mit Interesse verfolgt - auch die in den letzten Jahren intensiver betriebene Forschung über den deutsch-französischen Kulturtransfer im Zeitalter der Revolution kann von dieser Arbeit profitieren.


Anmerkungen:

[1] Dieses Nachdruckunternehmen trägt den vollständigen Titel "Correspondance secrète, politique et littéraire, ou mémoires pour servir à l'histoire des cours, des sociétés et de la littérature en France, depuis la mort de Louis XV".

[2] Den Anfang hat Viktor Johansson gemacht mit einer kleinen Monografie: Sur la Correspondance littéraire secrète et son éditeur, Göteborg / Paris 1960. Unter der Leitung von Gunnar von Proschwitz in Göteborg wurden vier Doktorarbeiten zu Mettra und seiner CLS verfasst: Monica Hjortberg: Correspondance littéraire secrète 1775-1793: une présentation (Acta universitatis gothoburgensis), Göteborg / Paris 1987; Tawfik Mekki-Berrada (Hg.): Correspondance littéraire secrète, 7 janvier-24 juin 1775 (Acta universitatis gothoburgensis), Göteborg / Paris 1986; Birgitta Berglund-Nilsson (Hg.): Correspondance littéraire secrète, 1er janvier-22 juin 1776 (Acta universitatis gothoburgensis), Göteborg / Paris 1987; Barbro Ohlin (Hg.): Correspondance littéraire secrète, 29 juin-28 décembre 1776 (Acta universitatis gothoburgensis), Göteborg, Paris 1987.

[3] Die Autorinnen beziehen sich bei ihrem Vergleich auf folgende Textgrundlage: Ulla Kölving / Jeanne Carriat: Inventaire de la Correspondance littéraire de Grimm et Meister, SVEC 225-227, 1984.

[4] Mettra besitzt genügend Geschäftssinn, um den zu erwartenden Publikumserfolg dieser Schrift zu erkennen; daher lässt er sie in seinem derzeit in Kurköln angesiedelten Druckereiunternehmen vervielfältigen und vertreiben.

[5] Jean Sgard (Hg.): Dictionnaire des journaux, Bd. 1, Oxford 1991, N° 235, S. 256.

[6] In ihrer Präsentation der CLS liefert Monica Hjortberg zahlreiche Beispiele für die Berücksichtigung deutscher Leserinteressen; Monica Hjortberg: Correspondance littéraire secrète.

[7] Zum Vergleich: Die bereits sehr kostspieligen frankophonen Gazetten kosten in Deutschland etwa 6 Gulden pro Jahr, wobei sie in der Regel eine Periodizität von 4 Erscheinungstagen pro Woche aufweisen.

[8] Seit dem 27. April des Jahres 1793 nennt sich die Korrespondenz "Correspondance politique et littéraire faisant suite à la Correspondance littéraire secrète".

[9] Bereits 1785 zeichnet sich ein deutlich sachlicherer und neutralerer Stil ab, der sich mehr dem einer privilegierten Gazette denn der aggressiv-ironischen Schreibweise von Pasquillen und Spottschriften angleicht. Der Wandel von der Untergrundkorrespondenz zur landesherrlich genehmigten Publikation zwingt Mettra zu größerer Zurückhaltung in seinen Berichten und Kommentaren (auf diesen Wandel hat bereits Monica Hjortberg: Correspondance littéraire secrète, S. 182 hingewiesen). Der im Frühjahr 1793 vollzogene Wandel der Korrespondenz vom jakobinischen Blatt hin zu einem konterrevolutionären Organ vollzieht sich nur auf stärksten Druck seitens des kaiserlichen Gesandten beim Niederrheinisch-Westfälischen Kreis, Graf von Westphalen zu Fürstenberg, der sich mehrfach mit heftigen Worten beim Fürsten zu Wied über den "Pamphlet Schreiber Mettra" beschwert (StA Leipzig, Libri XLVI, Nr. 43, fol. 3). Die Schriften Mettras werden zeitlebens mit Wachsamkeit und Nervosität beobachtet und gelten als Gefahr für die öffentliche Ordnung.

Karin Angelike