Rezension über:

John Connelly / Michael Grüttner (Hgg.): Zwischen Autonomie und Anpassung: Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2003, 285 S., ISBN 978-3-506-71941-6, EUR 40,00
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Rezension von:
Christoph Schröder
Herder-Institut, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Schröder: Rezension von: John Connelly / Michael Grüttner (Hgg.): Zwischen Autonomie und Anpassung: Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2003, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/09/3756.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

John Connelly / Michael Grüttner (Hgg.): Zwischen Autonomie und Anpassung: Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts

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Das Verhältnis von diktatorischen Regimen zu den Universitäten wird von einem nur schwer aufzulösenden Gegensatz bestimmt: Die Regierungen sind zwar auf wissenschaftliche Forschung und die Ausbildung von Studentinnen und Studenten angewiesen, um ihre gesellschaftlichen, politischen und militärischen Ziele zu realisieren. Zugleich aber greifen sie in der Praxis ihrer Herrschaftsausübung zwangsläufig in die Unabhängigkeit der Universitäten ein, obwohl diese nach allgemeiner Überzeugung autonom sein müssen, um wissenschaftliche Erfolge erzielen zu können. In seinen einleitenden Bemerkungen formuliert John Connelly dieses Paradox als zentralen Gegenstand der neun Beiträge, die aus einer Tagung in Berkeley im Jahr 2000 hervorgegangen sind. Nicht die wissenschaftlichen Inhalte universitärer Arbeit in diktatorischen Systemen stehen somit im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Frage nach Umfang und Methode der Durchsetzung staatlicher Vorgaben im Hochschulwesen sowie nach Kooperationsbereitschaft und Widerstand auf Seiten der Universitäten.

Michael David-Fox schildert in seinem Beitrag über das "seltsame Schicksal der russischen Universitäten", welche Kehrtwendungen die Hochschulpolitik des jungen sowjetischen Staates im Zeitraum 1917-1932 genommen hat. Nachdem in den Bürgerkriegsjahren die Hochschulpolitik für die neuen Machthaber nur von nachrangiger Bedeutung gewesen war, unterwarf das Universitätsgesetz von 1922 die Hochschulen einer strengen staatlichen Kontrolle, sicherte aber zugleich die Existenz der Universität als Forschung und Lehre umfassende Einheit. Zwischen 1928 und 1931 betrieb dann im Rahmen der "sozialistischen Initiative" eine Koalition aus radikalen Studentinnen- und Studentengruppen und mit Wirtschaftsfragen befassten staatlichen Stellen die Zerschlagung der Universitäten und die Eingliederung ihrer Fakultäten in die Volkskommissariate, um die Ausbildung von Fachleuten in technischen Berufen zu beschleunigen. Dass dieses Konzept seit 1932 nicht weiter verfolgt wurde, führt der Verfasser auf das Bemühen der Staats- und Parteiführung um innere Geschlossenheit, aber auch auf den zähen Widerstand einzelner Universitäten, mit Leningrad an der Spitze, zurück.

Die anschließenden Beiträge von Ruth Ben-Ghiat zum faschistischen Italien, Michael Grüttner zum nationalsozialistischen Deutschland und Miguel Ángel Ruiz Carnicer zum franquistischen Spanien behandeln jeweils die gesamte Herrschaftsdauer der Diktatur. In seinem essayistischen Beitrag über die Entwicklung in Ungarn betont György Péteri die Notwendigkeit, "Universität" und "Diktatur" flexibel zu definieren. So sei bereits vor der endgültigen Machtübernahme durch die Kommunisten 1948 die Autonomie der Universitäten aufgehoben worden, da sich ein breites gesellschaftliches Spektrum dafür eingesetzt habe, die Universitäten besser auszustatten und zugleich einer strengeren staatlichen Aufsicht zu unterstellen.

Jan Havránek behandelt die Entwicklung in der Tschechoslowakei unter dem Titel "Die tschechischen Universitäten unter der kommunistischen Diktatur", wobei nicht hinreichend deutlich wird, ob er die Slowakei gezielt ausspart oder doch die Geschehnisse im Gesamtstaat bewerten möchte. Obwohl der Staat die Universitäten seiner vollständigen administrativen Kontrolle unterwerfen konnte, gelang es ihm nicht, Hochschullehrerinnen und -lehrer sowie Studentinnen und Studenten in nennenswerter Zahl auf seine Seite zu ziehen - "politische Apathie" wechselte sich ab mit offener Auflehnung in den Jahren 1968 und 1989. Die Hochschulen gehörten so "zu den politischen Schwachpunkten der Diktatur".

In seinem Beitrag zu Polen beschränkt sich Connelly auf den Zeitraum 1944-1968 und konzentriert sich auf die Frage, ob sich die Universitäten der "intellektuellen Komplizenschaft" mit dem Regime schuldig gemacht haben. Anders als in der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und der DDR wurde die kommunistische Machtübernahme in Polen nicht von "Säuberungen" innerhalb der Dozentenschaft begleitet. Der Verfasser beschränkt sich auf die vorsichtige Einschätzung, dass die Universitätsabsolventinnen und -absolventen wegen ihrer Bedürfnisse an sozialer Sicherheit eher zu Kompromissen gegenüber dem Staat bereit waren als die Studentinnen und Studenten, bei denen die "romantische Tradition" und in den 1980er-Jahren der Mangel an qualifizierten Arbeitsplätzen leichter eine oppositionelle Haltung aufkeimen ließen.

Am stärksten ins Detail geht der Beitrag von Douglas A. Stifter zur Sowjetisierung und Umstrukturierung der Universitäten in China 1949-1952. Trotz seiner anschaulichen Beispiele für die anfangs beträchtlichen kulturellen Unterschiede zwischen dem revolutionären China und der stalinistischen Sowjetunion hält er es für nachvollziehbar, dass die Übernahme des kommunistischen Systems an den Hochschulen gelang: Die entsprechenden Reformen, so die bessere geografische Verteilung der Hochschulen und ein neuer Zuschnitt der Lehrfächer, seien im Grunde nur die Fortsetzung der Politik des Guomindang-Regimes gewesen.

Ralph Jessen schließlich wirft bei der Beschreibung des Hochschulwesens in der DDR vergleichende Blicke auf die Entwicklung in den ostmitteleuropäischen Nachbarstaaten: Anders als in Polen und auch der Tschechoslowakei stellten die Universitäten zu keinem Zeitpunkt Zentren des Widerstandes dar, sondern waren "ein Hort routinierter Anpassung und Loyalität". Neben dem antifaschistischen Gründungsmythos der DDR und dem in der deutschen Geschichte unterschwellig vorhandenen Ideal des staatstreuen, aber unpolitischen Gelehrten wirkte sich die Teilung Deutschlands dahingehend aus, dass oppositionell eingestellten Hochschullehrer/inn/en die Übersiedelung in die Bundesrepublik als Option nie völlig verschlossen blieb.

Abgeschlossen wird der Band mit einem ausführlichen Resümee Grüttners, das die Ergebnisse der einzelnen Beiträge miteinander vergleicht. Er identifiziert dabei fünf Wege, die von den Diktaturen eingeschlagen wurden, um die Hochschulen ihrer Kontrolle zu unterwerfen: Neuausrichtung von Forschung und Lehre, "Säuberung" des Lehrkörpers, Reglementierung der Studienzulassung unter politischen Gesichtspunkten, Beschneidung der universitären Selbstverwaltung sowie die Einschränkung des wissenschaftlichen Austausches mit dem Ausland.

Die einzelnen Beiträge beschreiben das eingangs vorgestellte Paradox und liefern mehrheitlich einen wertvollen Überblick über die jeweilige Hochschulentwicklung. Am anregendsten aber erscheinen die Beiträge von David-Fox und Stifter, die sich auf einen engen zeitlichen Rahmen beschränken und so ein lebendigeres Bild von den Spannungsverhältnissen zwischen Hochschulen und Staatsapparat zeichnen können. Ein einheitlicher Typus von Universitäten - dies zeigen alle Beiträge - lässt sich aber weder in Rechts- noch in Linksdiktaturen nachweisen.

Christoph Schröder