Rezension über:

Jan Peters: Mit Pflug und Gänsekiel. Selbstzeugnisse schreibender Bauern. Eine Anthologie (= Selbstzeugnisse der Neuzeit; Bd. 12), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, 357 S., 57 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-15102-7, EUR 29,90
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Rezension von:
Michael Kaiser
Historisches Seminar, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kaiser: Rezension von: Jan Peters: Mit Pflug und Gänsekiel. Selbstzeugnisse schreibender Bauern. Eine Anthologie, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 1 [15.01.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/01/4513.html


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Jan Peters: Mit Pflug und Gänsekiel

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In der Schriftenreihe "Selbstzeugnisse der Neuzeit" machen Editionen von bislang unveröffentlichten Quellen einen Großteil der Veröffentlichungen aus. Eine Anthologie derartiger Texte, wie sie Jan Peters hier vorlegt, stellt ein Novum dar. Ziel dieser Zusammenstellung ist es, "ein in sich kohärentes Text- und Arbeitsbuch" (11) zu schaffen. Dies stellt an sich eine dankenswerte Serviceleistung dar, da viele Editionen in einem regionalgeschichtlichen Kontext entstanden und mitunter nur schwer greifbar sind. Gleichwohl handelt es sich um mehr als nur eine bequeme Handreichung. Denn wenn die einzelnen Editionen gar nicht anders können, als die Einzigartigkeit des jeweiligen Dokuments herauszustellen, so ermöglicht diese Zusammenstellung vieler Textausschnitte viel eher einen vergleichenden Zugriff. Wie nun die verschiedenen Zeugnisse von höherer Warte zu betrachten sind, vielleicht sogar auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können, ist eine interpretatorische Herausforderung, der sich diese Anthologie auch stellen möchte.

Diesen Versuch hat mit Jan Peters einer der Wegbereiter der Erforschung von Selbstzeugnissen unternommen. Als er in den späten 1980er-Jahren mit einer Edition von Bauerntagebüchern hervortrat, konnte niemand ahnen, dass sich eine eigene wissenschaftliche Subdisziplin etablieren würde, die solche Zeugnisse in den Mittelpunkt rückt. [1] Gleichzeitig ist Peters als Experte für die ländliche, bäuerlich geprägte Welt der Vormoderne ausgewiesen und hat im Rahmen der Potsdamer Arbeitsgruppe "Ostelbische Gutsherrschaft als sozialhistorisches Phänomen" der Max-Planck-Gesellschaft in den vergangenen Jahren wichtige Forschungsimpulse gegeben.

Die Anthologie präsentiert insgesamt 26 Texte, die alle bis auf einen von Männern geschrieben wurden; Marie Schiering ist die einzige tagebuchschreibende Frau. Wenige Texte beziehen sich noch auf das 16. Jahrhundert, einige mehr sind im 17. Jahrhundert angesiedelt, die Mehrzahl hat im 18. und auch im 19. Jahrhundert ihren Berichtszeitraum. Die vorgelegte Auswahl fußt auf bereits vorliegenden Editionen. Nur drei Selbstzeugnisse sind bislang unediert; neben den zwei schwedischen Beispielen, Jonas Olsson und Jesper Jacobsson, gilt dies auch für den Sorben Hanso Nepila, für dessen Handschriften derzeit eine Ausgabe vorbereitet wird.

Wenig hilfreich erscheint, dass die Dokumente unter den verschiedenen Staaten rubriziert sind - also Schweiz, Österreich (je ein Dokument), Deutschland (15), Dänemark (5) und Schweden (4). Gerade für die überwiegenden Zeugnisse aus dem deutschen Sprachraum wäre die Zuordnung zu den zeitgenössischen Territorien sinnvoller als der problematische Oberbegriff "Deutschland" gewesen. Zudem ist der bei Mülhausen lebende Elsässer Wührlin doch eher ein eidgenössischer Untertan gewesen, bevor er im Gefolge der Revolutionskriege unter eine französische Obrigkeit gelangte, und der bei Flensburg lebende Breckenfeld lebte die längste Zeit seines Lebens unter dänischer Herrschaft. Die im Original schwedischen, dänischen und sorbischen Texte sind hier in Übersetzungen vorgelegt. Die Beschränkung auf Texte aus dem deutschsprachigen Raum bei gleichzeitiger Einbeziehung skandinavischer Dokumente ist nicht wirklich nachvollziehbar. Einerseits wird dafür der unterschiedliche Forschungsstand angeführt (12, Anmerkung 3), andererseits aber auf die umfängliche Literatur zu Selbstzeugnissen in anderen Ländern verwiesen (306, Anmerkung 8). Zumindest die nicht nur geografisch, sondern auch kulturell dem stark vertretenen norddeutschen Raum nahe stehenden Niederlande wären sinnvoll einzubeziehen gewesen, zumal auch das Konzept der "Ego-Dokumente" anhand niederländischer Beispiele entwickelt wurde.

Jeder einzelne Text wird eigens vorgestellt: Angaben zur Person des Schreibers und dessen historischem Umfeld, zur Beschreibung und Überlieferung des Dokuments und der Forschungssituation bieten einen kontextualisierenden Rahmen für die anschließende Auswahl aus der Gesamtquelle. [2] Die inhaltliche Kurzcharakterisierung hilft zudem die im Anschluss dargebotenen Textpassagen einzuordnen. Diese sind nicht in chronologischer Reihung angeführt, sondern nach thematischen Gesichtspunkten geordnet. Angaben zur Schreibmotivation finden sich praktisch überall, immer wieder trifft man auf Notizen zu Konflikten mit der Obrigkeit, zu Episoden aus Kriegszeiten oder zu familiären Todesfällen. Neben diesen gängigen Themenkreisen berücksichtigt die Auswahl ebenso exzeptionelle Beobachtungen in den Selbstzeugnissen: Hier finden sich beispielsweise Notizen zu Hexenprozessen (78), Reaktionen auf die Religionspolitik des revolutionären Frankreich (148), aber auch Traumwahrnehmungen (183 f.) und penibel registrierte Vogelstimmen (259).

Ein Sachregister, mit dessen Hilfe die teils sehr divergierenden, teils aber auch ähnlichen Befunde abzugleichen wären, fehlt leider. Ein gleichwertiger Ersatz dafür kann und will das Nachwort nicht sein (303-357), auch wenn es in großer Ausführlichkeit die vielen einzelnen Beobachtungen in den Selbstzeugnissen zusammenzuführen bemüht ist. Dass Peters diese Ausführungen als Nachwort positioniert hat, resultiert wohl aus dem Bemühen, die Selbstzeugnisse als die eigentlichen Texte im Vordergrund zu belassen und nicht durch eine Vorabanalyse zu entzaubern. Diese Haltung entspräche jedenfalls der großen und evidenten Sympathie, die der Herausgeber den Selbstzeugnissen entgegenbringt. Festzuhalten bleibt gleichwohl, dass das Nachwort eine vorzügliche Einführung in die Erforschung der Selbstzeugnisse darstellt. In zwanzig Abschnitten umreißt Peters hier den Forschungsstand, stellt die bäuerlichen Schreibebücher als besondere Quellengruppe vor, bietet methodische und quellenkundliche Reflexionen und führt dann zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung über. Zugute kommt diesen Ausführungen die große Empathie des Autors für die bäuerliche Lebenswelt, wie dies bei den Fragen nach der Schreibpraxis und des Schreibklimas und überhaupt der Legitimation des Tagebuchschreibens (es galt bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als unnütz) deutlich wird. Umfassende Themen sind die bäuerliche Arbeitswelt, ebenso die soziale Konfiguration der ländlichen Gesellschaft, die Selbstpositionierung des schreibenden Bauern in dieser Lebenswelt, die Wahrnehmung seiner selbst und der anderen, das gemeindliche Bewusstsein, das Verhältnis zur landesherrlichen und grundherrlichen Obrigkeit und schließlich die Themen Religiosität, Naturerfahrung und Gefühlswahrnehmung. In diesen Passagen gelingt es Peters, verbreitete Klischees über die Bauern zu korrigieren. Aufschlussreich sind hier etwa seine differenzierenden Einschätzungen der geradezu sprichwörtlichen Modernitätsfeindlichkeit der Landbevölkerung und des bäuerlichen Konservatismus.

Die Versuche, die verschiedenen Aspekte zu systematisieren, stoßen allerdings schnell und immer wieder an Grenzen. Denn den oftmals divergenten Phänomenen einheitliche Interpretamente zuzuweisen, erweist sich als höchst schwierig. Peters widersteht dabei der Versuchung, Diskrepanzen zu glätten; vielmehr belässt er es bei der frappierenden Vielfalt dessen, was schreibende Bauern kennzeichnet, und ist gleichwohl um Erklärungsansätze für einzelne Befunde bemüht.

Mit diesem behutsamen interpretatorischen Vorgehen kann er eine große Sensibilität für die Problematik der Selbstzeugnisse befördern, was ihm umso eindringlicher und überzeugender gelingt, als dies mit konkretem Bezug zu den vorab präsentierten Selbstzeugnissen geschieht. Chancen und Risiken bei dieser komparatistischen Analyse aufzuzeigen macht den Wert dieser Einführung aus, und dies nicht nur mit Blick auf Selbstzeugnisse schreibender Bauern, sondern für jegliche Forschungsbemühungen um historische Individualität. Zudem hat Peters ein Arbeitsbuch vorgelegt, das auch die Beschäftigung mit Selbstzeugnissen im akademischen Unterricht vielfach erleichtern wird.

Anmerkungen:

[1] Jan Peters / Hartmut Harnisch / Lieselott Enders: Märkische Bauerntagebücher des 18. und 19. Jahrhunderts. Selbstzeugnisse von Milchviehbauern aus Neuholland (= Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam; Bd. 23), Weimar 1989.

[2] Das Muster, wie es von Benigna von Krusenstjern: Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis (= Selbstzeugnisse der Neuzeit; Bd. 6), Berlin 1997, entwickelt worden ist, hat hier zweifelsohne Pate gestanden.

Michael Kaiser