Rezension über:

Sigrid Dittrich / Lothar Dittrich: Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14. - 17. Jahrhunderts (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; Bd. 22), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2004, 672 S., 27 Farb-, 135 s/w-Abb., ISBN 978-3-937251-18-9, EUR 135,00
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Rezension von:
Brage Bei der Wieden
Hannover
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Brage Bei der Wieden: Rezension von: Sigrid Dittrich / Lothar Dittrich: Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14. - 17. Jahrhunderts, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2004, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 5 [15.05.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/05/5340.html


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Sigrid Dittrich / Lothar Dittrich: Lexikon der Tiersymbole

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Die Kunstgeschichte hat im 20. Jahrhundert durch die Ikonografie entscheidende Impulse erfahren; die Ikonologie öffnete ein ganz neues Erkenntnisportal. Die Geschichtswissenschaft nähert sich verwandten Fragestellungen verstärkt seit der Postmoderne. Beide Wissenschaften bemühen sich, Symbole in ihren Kontext zu setzen, um Einsichten in frühere kulturelle Systeme zu gewinnen. Dazu ist erprobtes Werkzeug erforderlich, wie es für Bildsymbole zum Beispiel das "Lexikon der christlichen Ikonographie", für Zahlen das "Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen" darbieten. Ein ähnliches Kompendium legen Sigrid und Lothar Dittrich jetzt für die Tiersymbolik vor.

Die Quellen, die die Verfasser der Interpretation erschließen, sind die Werke der europäischen Tafelmalerei. Damit ziehen sie einerseits Grenzen, räumlich (Norditalien, Oberdeutschland, Niederlande als Kernregion) und zeitlich (14.-17. Jahrhundert). Sie verklammern andererseits mittelalterliche Allegorese mit barocker Emblematik und wagen also, wovor andere, zum Beispiel Lottlisa Behling ("Die Pflanze in der mittelalterlichen Tafelmalerei"), zurückgescheut waren. Anders als diese wie auch das Werk von Claudia List ("Tiere: Gestalt und Bedeutung in der Kunst"; fehlt im Literaturverzeichnis) ordnen die Autoren den Stoff als Lexikon an. Der Aufbau gestaltet sich so: Einer knappen Einleitung folgt der "Katalog der Sinnbildtiere". Auf 570 Seiten behandeln die Verfasser 121 Lemmata von Adler bis Ziege, zunächst die Zoologie, dann die Symbolbedeutungen, die sie schließlich an Beispielen näher erläutern.

Da gibt es manche Einsicht zu bewundern, manche Erkenntnis zu gewinnen. Dem Pferd maßen beispielsweise bereits die Kirchenväter - in malam partem - die Eigenschaft "Superbia" zu. In der niederländischen Malerei seit Mitte des 16. Jahrhunderts vertiefte sich diese Bedeutung, indem Skelette oder auch nur Schädel ehemals stolzer Rosse die Eitelkeit der Superbia betonten. In der Rhetorik würde man diesen Übertragungsmechanismus Synekdoche nennen. Dittrichs können weiterhin mehrfach nachweisen, dass Tierarten durch andere Tierarten zu substituieren waren: der Eisvogel zum Beispiel durch den Bienenfresser oder - im Studio des Alchimisten - das von der Decke hängende Krokodilpräparat durch einen Leguan oder eine Fischhaut.

In den Bildbeschreibungen erproben Dittrichs die bekannten Deutungen und erschließen weitere in der Interpretation. Dabei drängen sie zur Abstraktion: Fast sämtliche Symbole zielen auf Tugenden und Laster. An Ereignissen sind allein zu notieren "Mariä Empfängnis", "Passion Christi", "Auferstehung Christi". Auslegungen auf Personen beziehungsweise Personengruppen betreffen Christus (14 Tierarten), die Juden (Esel, Eule, Fledermaus, Rind, Schwein, Ziege), Hera (Fasan), den Teufel (acht Tierarten), Maria (Pfau, Schwalbe, Taube), den heiligen Geist (Taube). Da stellt sich rasch die Frage, ob von Attributen der Heiligen oder der mythologischen Gestalten immer eine Moralanwendung abzuleiten sei, die Significatio also tatsächlich über die Personen hinausweise.

Betrachtet man die Reihe der besprochenen Tiere, so fällt auf, dass Tierarten, denen die Literatur Bedeutungen zugemessen hatte, und andere, die den Malern gut bekannt gewesen sein müssen, fehlen, zum Beispiel Haselmaus, Hyäne, Luchs, Maulwurf, Möwe, Ratte, Seehund, Steinmarder oder Wespe. Über die sicher sehr unterschiedlichen Gründe muss hier nicht spekuliert werden. Fabeltiere haben Dittrichs bewusst ausgeschieden, ebenso bestimmte Bildthemen wie "Schöpfung", "Adam bezeichnet die Tiere" und "Noahs Arche". Hinsichtlich der Insekten macht sich bemerkbar, dass die Verfasser (anders als Arthur E. Imhof in seinen Untersuchungen zu Leben und Vergänglichkeit) keine holländischen Blumenstücke mit der Lupe studieren konnten. Die Zahl der bestimmbaren Arten hätte sich sonst wahrscheinlich vermehren lassen.

Beim Buch der Dittrichs handelt es sich um ein bemerkenswertes Beispiel des Fleißes, der genauen Beobachtung und hermeneutischer Fähigkeiten; ein umfangreiches Material wird darin fachkundig dargeboten. Zu den besonderen Vorzügen zählt die sichere Identifizierung der Tierarten (Lothar Dittrich hat viele Jahre lang einen der größten deutschen Zoos geleitet). Weiterführende Fragestellungen lassen sich zahlreich entwickeln, und schmerzlich vermisst man angesichts dieser Leistung ein vergleichbares Werk zur Kulturgeschichte einzelner Tierarten, das wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte einbezieht. Kein Zweifel: Das Lexikon der Tiersymbole wird seinen Platz in den Präsenzbeständen der geisteswissenschaftlichen wie zoologischen Bibliotheken erhalten.

Brage Bei der Wieden