Rezension über:

Sheilagh Ogilvie: A Bitter Living. Women, Markets, and Social Capital in Early Modern Germany, Oxford: Oxford University Press 2003, XVIII + 394 S., ISBN 978-0-19-820554-8, GBP 55,00
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Rezension von:
Dagmar Freist
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Dagmar Freist: Rezension von: Sheilagh Ogilvie: A Bitter Living. Women, Markets, and Social Capital in Early Modern Germany, Oxford: Oxford University Press 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 10 [15.10.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/10/4939.html


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Sheilagh Ogilvie: A Bitter Living

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Das jüngste Werk Sheilagh Ogilvies ist keine allgemeine Studie über die wirtschaftliche Tätigkeit von Frauen im frühneuzeitlichen Deutschland, wie der Titel zunächst vermuten lässt, sondern eine mikrohistorische Untersuchung über die wirtschaftlichen Möglichkeiten von Frauen in Wildberg, einem kleinen Verwaltungsbezirk in Württemberg. Gleichwohl betont die Autorin den repräsentativen Charakter ihrer Ergebnisse, und dies nicht zu Unrecht. Die ausgewiesene Wirtschaftshistorikerin wendet sich dezidiert gegen eine Methodik, bei der die qualitative Auswertung unterschiedlicher Quellen die Grundlage historischer Schlussfolgerungen bildet und aus einer Summe von Einzelbeobachtungen die Vergangenheit rekonstruiert wird. "An individual case can illustrate what is possible - and this can be useful in refuting a misleading hypothesis - but it cannot show what is typical" (23).

Nur mithilfe eines Datenbank-gestützten mikrohistorischen Zugangs, so Ogilvie, lässt sich das bislang eher impressionistische Wissen über die wirtschaftliche Rolle von Frauen am Vorabend der Industriellen Revolution auf eine empirisch gesicherte Grundlage stellen. Aus Steuerregistern, vor allem aber aus Kirchenkonventsprotokollen, trägt die Autorin über einen Zeitraum von 150 Jahren (1647/48-1800) sämtliche Daten zusammen, die Auskunft über die wirtschaftliche Tätigkeit von Frauen und Männern in Wildberg und dem Dorf Ebhausen geben. Während die Aussagekraft von Steuerregistern für die wirtschaftliche Rolle von Frauen eher begrenzt ist, da hier in erster Linie Hausvorstände erfasst werden, bieten Kirchenkonventsprotokolle Einblick in wirtschaftliche Tätigkeiten verschiedener sozialer Gruppen, vor allem auch von Frauen. So werden beispielsweise wenig greifbare wirtschaftliche Transaktionen und Dienstleistungen einzelner Personen durch die Verletzung des Arbeitsverbots an Sonn- und Feiertagen sichtbar.

Die Repräsentativität der Ergebnisse sieht Ogilvie in der besonderen wirtschaftlichen und politischen Konstellation des Schwarzwaldes in Württemberg begründet, die gewissermaßen exemplarisch - oder "typisch" - ist für andere Regionen des Untersuchungszeitraumes. Die Schwarzwaldregion ist auf der einen Seite gekennzeichnet von einer frühen, exportorientierten proto-industriellen Transformation, auf der anderen Seite von dem Fortleben regional verankerter Wirtschaftsstrukturen. Beide Wirtschaftsbereiche, so der derzeitige Forschungsstand, waren für die wirtschaftliche Tätigkeit von Frauen von Bedeutung. Auch der Einfluss sozialer Netzwerke sowie frühneuzeitlicher Staatsbildung auf wirtschaftliche Zusammenhänge lassen sich in dieser Region analysieren. Wildberg wiederum bietet in vielerlei Hinsicht eine gute Ausgangslage für ein derartiges quantitativ angelegtes Unterfangen. Neben bereits geleisteten Vorarbeiten zur demografischen Entwicklung und zur wirtschaftlichen Infrastruktur der Region rechtfertigen vor allem die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen die Auswahl. In Wildberg lässt sich aufgrund des Textilgewerbes schon im 16. Jahrhundert eine exportorientierte Proto-Industrialisierung ausmachen, die sich in einer ausgesprochen landwirtschaftlich geprägten Gegend entfalten konnte.

Ogilvie rechtfertigt ihre Themenwahl politisch mit der Unterdrückung von Frauen in Vergangenheit und Gegenwart, dem Ausmaß weiblicher Armut und der strukturellen wirtschaftlichen Benachteiligung von Frauen in allen historischen Epochen. Zu dem zentralen Anliegen der Studie zählt daher auch die Suche nach den Gründen, die zu der Asymmetrie der Geschlechter im wirtschaftlichen Leben geführt haben. Um dieser Frage nachzugehen, widerlegt Ogilvie mithilfe ihrer empirisch gewonnenen Daten die bislang in der Forschung dominierenden Erklärungsansätze, die vor allem die reproduktiven Aufgaben von Frauen (technological approach), normative Vorstellungen weiblichen Verhaltens (cultural approach) oder Professionalisierung und Gesetzgebung (institutional approach) für die mangelnde Repräsentanz von Frauen im (frühneuzeitlichen) Wirtschaftsleben verantwortlich machen.

Die nachweislich lange Lebensphase, in der Frauen im 17. und 18. Jahrhundert ledig oder verwitwet waren, sowie die Tatsache, dass Kinder sehr früh den elterlichen Haushalt verließen, sprechen beispielsweise gegen eine größere Bedeutung reproduktiver Aufgaben im Alltag. Statt geschlechtsspezifisches Arbeitsverhalten auf bestimmte strukturelle und kulturelle Muster zu reduzieren, plädiert Ogilvie methodisch dafür, die Wechselwirkung dieser Einflussfaktoren zu untersuchen und durch einen so genannten "time allocation approach" zu ergänzen: Die wirtschaftliche Asymmetrie der Geschlechter soll als das Ergebnis individueller Entscheidungen über die Nutzung von Zeit, soweit dies innerhalb der vorgegebenen Strukturen möglich war, konzeptualisiert und analysiert werden (13-15).

In den insgesamt sieben Kapiteln einschließlich der Einleitung etabliert Ogilvie zunächst die sozialen und demografischen Rahmenbedingungen, die die wirtschaftliche Tätigkeit von Frauen beeinflussten (Kapitel 2). Auf diesem Hintergrund geht es in den nachfolgenden Kapiteln (3, Töchter und Dienstmägde; 4, Ehefrauen; 5, Witwen; und 6, unabhängige ledige Frauen) um die wirtschaftlichen Tätigkeitsfelder und Handlungsoptionen von Frauen, die gesellschaftliche Anerkennung von Frauen, und schließlich um die tatsächlichen Entscheidungen (time allocation approach), die Frauen zu unterschiedlichen Zeiten des weiblichen Lebenszyklus im frühneuzeitlichen Wildberg trafen. Im siebten Kapitel, überschrieben "A Bitter Living", resümiert Ogilvie noch einmal die Einzelergebnisse ihrer Studie.

Während einige Ergebnisse wie die größere gesellschaftliche Anerkennung, die jungen Frauen im Vergleich zu gleichaltrigen Männern gezollt wurde, überraschen, bestätigen andere Beobachtungen - beispielsweise das hohe Heiratsalter von Frauen, die Verdrängung von Frauen aus den Zünften oder niedrigere Löhne für weibliche Arbeitskräfte - bereits bekannte Forschungsergebnisse der historischen Familienforschung oder der Geschlechtergeschichte. Die Stärke dieser gut strukturierten Arbeit liegt unstrittig in der Verbindung quantitativer und qualitativer Methoden, dem Wissen um die begrenzte Aussagekraft auch statistischer Daten sowie der Kontextualisierung der Ergebnisse im europäischen Vergleich. Damit gelingt es Ogilvie, die Bedeutung von mikrohistorisch gewonnenen Ergebnissen auf eine breitere Basis zu stellen und gleichzeitig durch die detaillierte Quellenauswertung und die Multiperspektivität ihres Ansatzes Abweichungen "vom Normalen", um das es ihr eigentlich geht, aufzuzeigen. Nicht Gesetzesmäßigkeiten charakterisieren menschliches Handeln, sondern, so haben Kulturtheoretiker schon im späten 19. Jahrhundert argumentiert, die Abweichungen von der Norm. Ogilvie gelingt es, trotz ihres Interesses am "Typischen" nicht reduktionistisch vorzugehen und die Vielschichtigkeit der weiblichen Arbeitswelt in der Frühen Neuzeit herauszuarbeiten.

Dagmar Freist