Rezension über:

Conrad Black: Franklin Delano Roosevelt. Champion of Freedom, New York: Public Affairs 2003, VIII + 1280 S., ISBN 978-1-58648-184-1, USD 39,95
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Rezension von:
Stefan Grüner
Department of History, University of Toronto
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Grüner: Rezension von: Conrad Black: Franklin Delano Roosevelt. Champion of Freedom, New York: Public Affairs 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 11 [15.11.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/11/5361.html


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Conrad Black: Franklin Delano Roosevelt

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"Er hat mir Eindruck gemacht. Seit 10 Jahren völlig gelähmt und dabei diese Energie und experimentelle, um nicht zu sagen: revolutionäre Kühnheit. Er hat viele Feinde, unter den Reichen, denen er zu Leibe geht, und unter den Hütern der constitution wegen seiner diktatorischen Züge. Aber kann man gegen eine aufgeklärte Diktatur heute noch viel einwenden?" [1] In diesen Worten kommentierte Thomas Mann seine erste persönliche Begegnung mit Franklin D. Roosevelt (1882-1945), der den frisch gekürten Träger eines Ehrendoktorats der Universität Harvard im Juni 1935 ins Weiße Haus geladen hatte.

An der Anziehungskraft und der polarisierenden Wirkung, die der Politiker bereits zeitgenössisch ausstrahlte, hat sich bis heute nur wenig geändert. So liegt mittlerweile eine kaum mehr zu überschauende Fülle von historischen Darstellungen vor, die sich mit Person und Werk Roosevelts oder mit Aspekten seiner Politik beschäftigen. Mehrbändige Biografien stammen aus der Feder von Autoren wie Arthur M. Schlesinger, James MacGregor Burns, Frank Freidel oder Kenneth S. Davis. Wichtige Beiträge haben daneben Detlef Junker, Robert Dallek, William E. Leuchtenburg, Anthony J. Badger, Alan Brinkley oder Jordan Schwarz verfasst - um nur ganz wenige herauszugreifen. Und bei allen oft kontroversen Deutungen im einzelnen bestreitet heute kaum ein Historiker, dass Roosevelt als einer der bedeutendsten amerikanischen Präsidenten des 20. Jahrhunderts anzusehen sei. In der Erinnerungskultur der Vereinigten Staaten hat seine politische Person ohnehin bereits monumentale Züge angenommen. So erwies ihm das offizielle Washington mit der Eröffnung des "Franklin Delano Roosevelt Memorial" im Jahr 1997 eine Ehrung, die vor ihm erst drei anderen amerikanischen Präsidenten zuteil geworden war.

Die Studie Conrad Blacks versucht, Roosevelt einmal mehr biografisch nachzuspüren. Ihr Verfasser selbst ist in Nordamerika kein Unbekannter. Begründer eines international agierenden Pressekonzerns und von der britischen Königin in den Adelsstand erhoben, geriet Black jüngst in die Kritik von Anteilseignern und Aufsichtsbehörden, die ihn schließlich zum Rücktritt von der Leitung seines Wirtschaftsimperiums zwangen. Mit Verwunderung wurde dabei unter anderem zur Kenntnis genommen, dass der Medienunternehmer im Jahre 2001 Teile des politischen Nachlasses von Franklin D. Roosevelt gegen eine Millionensumme erworben hatte. In der Tat hat sich Conrad Black annähernd zehn Jahre lang mit dem politischen Werk des 32. Präsidenten der USA beschäftigt.

Das Resultat seiner Bemühungen, eine nahezu 1300 Seiten umfassende Studie, ist chronologisch angeordnet und in fünf Abschnitte geteilt. Die Darstellung folgt zunächst eingehend dem Werdegang des Sohns aus wohlhabendem Haus, der sich nach dem Studium am Harvard College und an der Columbia Law School als Anwalt in New York niederließ. Bereits im Alter von 28 Jahren konnte Roosevelt seinen ersten Wahlsieg für die Demokratische Partei feiern. Rasch folgten nach der Wahl in den Senat des Staates New York (1910) weitere Karriereschritte: die Ernennung zum Marinestaatssekretär unter Präsident Wilson 1913, die Nominierung als Kandidat für das Vizepräsidentenamt 1920, schließlich 1928 die Wahl zum Gouverneur von New York. Bereits in diesen Abschnitten deutet Black an, worin seine Stärke liegt: in der eloquenten und geschliffenen, streckenweise witzigen Erzählung, die ihre Würze nicht zuletzt aus den pointierten Urteilen des Verfassers bezieht. So entsteht eine dicht gewobene Darstellung auch da, wo es darum geht, den privaten Roosevelt und die bis dahin größte Katastrophe in seinem Leben in ihrer Tragweite deutlich zu machen: die Erkrankung an schwerer Kinderlähmung im Jahr 1921, die sich in der Folge mit der dauernden Bewegungsunfähigkeit seiner Beine und dem jahrelangen Rückzug aus der Politik verband.

Bei weitem den umfangreichsten Teil des Buches, nämlich mehr als vier Fünftel, widmet Black jedoch der zweiten, wieder aufgenommenen Karriere Roosevelts und der Präsidentschaft zwischen 1933 und 1945. Im Mittelpunkt stehen naturgemäß jene beiden fundamentalen Krisenphasen in der Geschichte der USA und der Welt, die seine Amtszeit prägten: die Große Depression und der Zweite Weltkrieg. Der Wirtschaftspraktiker Black versteht es, den Leser schrittweise in die Genesis des New Deal einzuführen. Sukzessive zeichnet er das Bild eines in seinen gesellschaftspolitischen Zielen durchaus festgelegten Präsidenten, der in der Umsetzung äußerst flexibel, taktisch geschickt und vielfach tatsächlich "experimentell" vorging. Um die Wirtschaftskrise und ihre sozialen Folgen zu bekämpfen, initiierte Roosevelt in den Jahren zwischen 1933 und 1938 eine Fülle von Reformmaßnahmen zur Neuordnung des nationalen Bankenwesens, zur Börsenregulierung oder zur Arbeitsbeschaffung. Durch Ansätze inflationärer Geldpolitik, durch massive Eingriffe zu Gunsten der Landwirtschaft oder in die industriellen Arbeitsbeziehungen sollten Profit und Kaufkraft wiederhergestellt werden. Einen bedeutenden sozialpolitischen Schritt vorwärts bildete außerdem die Einführung einer Alters- und Arbeitslosenversicherung im Jahr 1935.

So komplex und teilweise widersprüchlich sich die Gesamtheit der Roosevelt'schen Wirtschaftsmaßnahmen im Rückblick darstellt, so wenig Anstrengungen unternimmt doch Black, um die Masse des Stoffes systematisch aufzubereiten. Die komplizierte Rezeptions- und Historiographiegeschichte des New Deal erscheint als Hintergrund seiner Urteilsbildung so gut wie nicht. Problemstellungen, die die Forschung buchstäblich seit Jahrzehnten und bis in die jüngste Gegenwart beschäftigen, werden nicht diskutiert, sondern im Erzählprozess en passant entschieden. Das gilt etwa für die umstrittene Frage nach den tatsächlichen Wirkungen des New Deal und dem Anteil der amerikanischen Rüstungsanstrengungen am Wiederaufschwung. Während die Forschung bisher mit guten Gründen zwei bis drei Phasen des New Deal konstatierte, identifiziert Black ohne nähere konzeptionelle Erläuterung deren fünf (823): Den Prozess der amerikanischen Aufrüstung ab 1940 vereinnahmt er bezeichnenderweise wie selbstverständlich als vierten Abschnitt einer gezielten Roosevelt'schen Wirtschaftspolitik (606).

Black neigt bereits in diesen Teilen des Buches dazu, seinem Protagonisten universale staatsmännische Vorausschau und Effektivität zuzuschreiben. Geradezu die Qualität eines durchgehenden Deutungsmusters nimmt dieses Verfahren jedoch in den Abschnitten zur Außenpolitik der USA nach 1933 an. Gewiss hat Roosevelt schon sehr früh die besondere Bedrohung erkannt, die Hitler für den Weltfrieden darstellte. Nach allem, was die neuere Forschung herausgearbeitet hat, war der Präsident in der Frage des amerikanischen Kriegseintritts jedoch bei weitem zurückhaltender als Black unterstellt. Wie viele seiner Landsleute hoffte Roosevelt mindestens bis in den Herbst 1940 darauf, dass die amerikanischen Hilfslieferungen an die Gegner Hitlers hinreichend sein würden, um den eingeschlagenen Neutralitätskurs beibehalten zu können. Erst die Niederlage Frankreichs untergrub diese Annahme und bahnte den Aufrüstungsmaßnahmen im eigenen Land spät den Weg.

Gänzlich unplausibel werden Blacks Ausführungen dort, wo er Roosevelt als Praktiker einer harten außenpolitischen Linie gegenüber Stalin darstellt und seine Rolle während der Konferenz von Jalta zu verteidigen sucht. Die Zugeständnisse, die Roosevelt dem sowjetischen Diktator auf der Krim und bereits in Teheran machte, entsprangen gewiss bündnisstrategischem Kalkül. Sie verweisen aber auch auf den ausgeprägten Glauben des amerikanischen Präsidenten an die Bündnisfähigkeit Stalins und auf seine hartnäckige Unterschätzung der machtpolitisch und ideologisch motivierten, expansiven Absichten des Kremlherrn.

Conrad Black macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Roosevelt, den er als die "bedeutendste Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts" (1122) charakterisiert. Er lässt überzeugend das Bild eines konservativen Reformers entstehen, der um des Systemerhalts willen zu weit reichenden - in manchen Augen "diktatorischen" - Eingriffen in das Wirtschaftsleben der USA bereit war. Eben dadurch aber konnte er das Vertrauen vieler Amerikaner in das Krisenlösungspotenzial ihres demokratisch-repräsentativen Regierungssystems wiederherstellen. Als Außenpolitiker und Kriegsstratege, dies hebt Black hervor, wusste Roosevelt nicht nur den Großmachtstatus der USA zu erhalten, sondern zugleich einen zentralen Part in der Verteidigung der westlichen Zivilisation gegen ihre totalitären Herausforderer einzunehmen. Black hätte seinen Lesern gleichwohl das Phänomen Roosevelt noch ein gutes Stück näher bringen können, wenn er sich weniger von seinen Sympathien und von der "biographischen Illusion" (Pierre Bourdieu) eines durchwegs stringenten, retrospektiv konsistenten Lebensentwurfs hätte leiten lassen, sondern der distanzierten Analyse von Handlungsspielräumen und -grenzen seines Protagonisten mehr Raum gegeben hätte.


Anmerkung:

[1] Thomas Mann an René Schickele, 25.7.1935, in: Thomas Mann, Briefe 1889-1936. Hg. v. Erika Mann, Frankfurt/Main 1961, 396f.

Stefan Grüner