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Ute Lotz-Heumann: Wie schreibt man Reformationsgeschichte? Einführung, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 11 [15.11.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/11/forum/wie-schreibt-man-reformationsgeschichte-90/

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Wie schreibt man Reformationsgeschichte?

Einführung

Von Ute Lotz-Heumann

'Wie schreibt man Reformationsgeschichte?' Diese Frage beantwortet Maria Craciun in ihrer Rezension des von Ronnie Po-chia Hsia herausgegebenen Sammelbandes mit einem Satz, der auf Allgemeingut der historischen Forschung und zugleich auf den Ursprung des Titels der sehepunkte verweist [1]: "As beauty is in the eye of the beholder, the story of the Reformation is very much in the mind of the historian recounting it." Das vorliegende Forum möchte anhand von drei neueren Publikationen die derzeitigen Möglichkeiten, Überblickswerke zur Reformationsgeschichte zu schreiben, exemplarisch aufzeigen.

Scott Dixon, Ulinka Rublack und Ronnie Po-chia Hsia haben einige Gemeinsamkeiten: Sie lehren im englischsprachigen Raum, sind mit ihren Forschungen jedoch der deutschen Geschichte der Frühen Neuzeit verbunden. [2] Und sie erheben mit ihren hier rezensierten Büchern den Anspruch, Einführungs- und Überblickswerke in die Reformationsgeschichte vorzulegen. [3] Die Unterschiede sind jedoch nicht weniger deutlich. Sie bestehen 'in the eyes of the beholders', in den 'Sehepunkten': Die geografischen Zuschnitte, Fragestellungen und methodischen Zugriffe der hier vorgestellten Bücher unterscheiden sich erheblich. Während Scott Dixon auf knapp über 200 Seiten die deutsche Reformation erklären will, erhebt Ulinka Rublack den Anspruch, auf knapp 300 Seiten europäische Reformationsgeschichte zu schreiben, und Ronnie Po-chia Hsias Sammelband strebt eine 'weltweite' Reformationsgeschichte auf etwa 550 Seiten an.

Scott Dixon orientiert sich, wie Nicole Grochowina darstellt, an der Frage nach der "Beziehung zwischen der Reformation und den Menschen in den Städten und Gemeinden". Sein Überblick stützt sich auf die breite sozialgeschichtliche Forschung zur Reformation, befasst sich aber auch mit kulturgeschichtlichen Fragestellungen. Ulinka Rublack legt, wie Peter Burschel schreibt, "die erste konsequent kulturanthropologisch orientierte Einführung in die Reformation" vor. Für ein Einführungsbuch erfordert dies den Spagat zwischen der Vermittlung von Grundlagenwissen über politische und soziale Entwicklungen einerseits und der Analyse von "Alltagswahrheiten" und "protestantischen Identitäten" andererseits. [4] In beiden Werken stehen die Spielarten der protestantischen Reformation im Vordergrund. [5] Ronnie Po-chia Hsia hat den von ihm herausgegebenen Sammelband dagegen gänzlich anders angelegt: Die "Reformation World" umfasst in seiner Konzeption neben den protestantischen Reformationen das katholische Europa sowie "Christian Europe and the World" [6]. Der Band ist somit als Geschichte Europas und seines Ausgreifens in die Welt im 16. Jahrhundert unter der Fragestellung der religiös-konfessionellen Entwicklung konzipiert. Das Thema, das dabei vor allem zurücktritt, ist dasjenige, das im Buch Scott Dixons im Mittelpunkt steht: die Reformation im Reich.

Die drei Einführungs- und Überblickswerke werfen auch grundsätzliche Fragen der neueren Reformationsgeschichte auf, die hier nur angedeutet werden können: Inwieweit und wie sind die Entwicklungen des Spätmittelalters einzubeziehen, um die Ursprünge der Reformation zu erklären? Wie ist das Ende der Reformation zu definieren? Wie ist sie gegebenenfalls vom konfessionellen Zeitalter abzugrenzen? Und damit eng zusammenhängend: Welche Begrifflichkeit ist anzuwenden? Ist Ronnie Po-chia Hsias Begriff der "Reformation World", der "Catholic Renewal and Confessional Struggles" [7] einschließt, sinnvoll? Oder ist der Reformationsbegriff in den Köpfen zu sehr mit dem Protestantismus verknüpft? Wie kann die mittlerweile intensiv erforschte Frauen- und Geschlechtergeschichte der Reformation in ein Überblickswerk eingearbeitet werden? Ist es sinnvoll, dass die skandinavischen Länder offenbar zu Gunsten des Blicks auf die Reformation in Ostmitteleuropa eher vernachlässigt werden?

Wie schreibt man Reformationsgeschichte? Es bleibt spannend.


Anmerkungen:

[1] Vgl. http://www.sehepunkte.de/editorial/editorial.html

[2] Vgl. C. Scott Dixon: The Reformation and Rural Society. The Parishes of Brandenburg-Ansbach-Kulmbach 1528-1603, Cambridge 1996; Ulinka Rublack: Magd, Metz' oder Mörderin. Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten, Frankfurt a.M. 1998; Ronnie Po-chia Hsia: Society and Religion in Münster, 1535-1618, New Haven 1984; ders.: Social Discipline in the Reformation. Central Europe, 1550-1750, London, New York 1989.

[3] Solche Werke haben in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft - im Gegensatz zur englischsprachigen - weiterhin relativen Seltenheitswert, so dass es nicht verwundert, dass zwei der drei Bücher auf Englisch veröffentlicht wurden und für das dritte (von Ulinka Rucklack) eine englische Version angekündigt ist. (Vgl. Ulinka Rublack: Die Reformation in Europa, Frankfurt am Main 2003, S. 273.)

[4] So die Überschriften des 4. Kapitels und des Epilogs.

[5] Ulinka Rublack bespricht jedoch in einem Kapitel mit der Überschrift "Kaiser und Königsschwestern: Andere Wahrheiten im Zeitalter der Heterodoxie" auch Karl V., Erasmus und Margarete von Navarra und verweist auf das Buch von Ronnie Po-chia Hsia in derselben Reihe als Ergänzung zu ihrer Analyse der protestantischen Reformationen (S. 273). (Vgl. Ronnie Po-chia Hsia: Gegenreformation. Die Welt der katholischen Erneuerung 1540-1770, Frankfurt a.M. 1998.)

[6] So die Überschrift von Part V.

[7] So die Überschrift von Part IV.

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