Rezension über:

Arno Mentzel-Reuters: Arma spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen; Bd. 47), Wiesbaden: Harrassowitz 2003, 451 S., 3 Tab., ISBN 978-3-447-04838-5, EUR 128,00
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Rezension von:
Anette Löffler
Universitätsbibliothek Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Anette Löffler: Rezension von: Arno Mentzel-Reuters: Arma spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden, Wiesbaden: Harrassowitz 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 12 [15.12.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/12/7577.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Arno Mentzel-Reuters: Arma spiritualia

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Seit geraumer Zeit wird in der Forschung zur Geschichte des Deutschen Ordens bemängelt, dass über die Ordensbibliotheken und den entsprechenden Buchbesitz nur einige wenige isolierte Aufsätze Auskunft geben. Dieser Lücke hat sich Arno Mentzel-Reuters, der Leiter der Bibliothek der Monumenta Germaniae Historica (MGH), in seiner im Jahr 2000 an der Erlanger Friedrich-Alexander Universität abgeschlossenen Habilitation angenommen.

Nach einer kurzen Einleitung, in der Mentzel-Reuters auf Themenstellung und Methode eingeht, ist das 1. Großkapitel dem Selbstverständnis des Ordens und der Bildung der Brüder gewidmet (17-104); das 2., "Ordensbrüder und Bibliotheken" tituliert, geht im Besonderen auf Bibliothekstypen und die Verwaltung der Bücher ein (105-208). Im 3. Großkapitel schließlich beleuchtet Mentzel-Reuters die einzelnen Ordenshäuser und ihren Besitz (209-382), den Abschluss bilden eine Zusammenfassung, drei Tabellen sowie ein Literaturverzeichnis und Register (383-451).

Im Folgenden soll wegen seiner besonderen Bedeutung die Behandlung des Aspekts Liturgie und liturgische Bücher des Deutschen Ordens beispielhaft herausgegriffen werden. Bereits in der Einleitung weist Mentzel-Reuters darauf hin, dass es sich bei Bibliotheken um das Rüstzeug für die Priesterbrüder handelte. In den Statuten des Deutschen Ordens existierte keine Regelung, die über die Ausbildung der Priesterbrüder Auskunft gibt, was Mentzel-Reuters als deren Geringschätzung deutet (25, 44). Hier konnte jedoch erst jüngst Bernhart Jähnig mit seiner Ausstellung "Kirche im Dorf" zeigen, dass eine wesentliche Möglichkeit zur Einflussnahme im seelsorgerischen Bereich über die Priesterbrüder und Pfarrstellen-Inhaber gegeben war.

Über den Bildungsstand der Ritter- und Priesterbrüder wurde oft diskutiert. Dennoch meine ich, dass man David N. Bells grundlegende Untersuchung über Bücher in englischen Nonnenklöstern aus unterschiedlichen Orden nicht auf den Deutschen Orden übertragen kann. [1] Die von Mentzel-Reuters zitierte Einteilung der Schriftlichkeit (47) richtet sich auf Latin literacy. Lateinische Liturgie aber ist von der Intention her doch als etwas grundsätzlich Anderes zu bezeichnen. Dass Priesterbrüder des Deutschen Ordens nicht einmal die zweite Stufe von Bells Schema erreicht hätten (read and understand a common liturgical text), erscheint mir angesichts des liturgischen Reichtums an Quellen, beispielsweise an verschiedenen Offizien zu ein und demselben Fest, mehr als fraglich. "Sorgfältig angelegte, an Abkürzungen arme Handschriften" (47) wurden sicher nicht deshalb ohne Abbreviaturen geschrieben, weil der Priesterbruder zu ihrer Auflösung nicht in der Lage war.

An vielen Stellen werden Liturgica von Mentzel-Reuters pauschal oder als einzelne liturgische Handschriften behandelt. Wie in der liturgischen Forschung seit langem bekannt, bestanden vor allem in der Frühzeit des Deutschen Ordens recht intensive Beziehungen zu den Dominikanern, die sehr bald in der Übernahme der dominikanischen Liturgie mit päpstlicher Genehmigung gipfelten.

Das Vorhandensein einer durchaus spezifisch sich entwickelnden Liturgie führt zum nächsten Punkt, der Ausstattung der Ordenshäuser, -kirchen und -kapellen mit Liturgica. Wie Mentzel-Reuters sehr richtig feststellt, müssen alle diese Einrichtungen eine Grundausstattung besessen haben (122), über deren konkretes Aussehen wir aber mangels Bücherverzeichnissen oder ähnlichem nur eher selten unterrichtet sind. Dass es Kirchen ganz ohne liturgische Ausstattung gegeben haben könnte (Fußnote 434), erscheint extrem unwahrscheinlich.

Die von Mentzel-Reuters gut herausgearbeiteten Bestandszahlen liturgischer Handschriften im Vergleich zu den übrigen Buchbeständen beim Deutschen Orden erwecken den Eindruck, dass in den Ordenshäusern in Preußen ein relativ starkes Übergewicht an Liturgica herrschte (zum Beispiel 146 f.: ein durchschnittlicher Konvent besaß 17 Bücher, davon zehn liturgische), während bei vielen anderen Häusern im Reich gar keine Angaben zu Buchbeständen gemacht werden können. Ein Blick auf die einzelnen liturgischen Handschriftentypen kann hier vielleicht weiterhelfen.

Bei liturgischen Handschriften wird bekanntlich eine Scheidung in Codices des Mess- und des Chordienstes vorgenommen. Wie bereits Virgil Ernst Fiala und Wolfgang Irtenkauf vor vielen Jahren dargelegt haben, ist eine Differenzierung der liturgischen Handschriftentypen untereinander mitunter wegen der fließenden Grenzen sehr schwierig. In der liturgischen Forschung sind bislang keine Kollektualen oder Collectualia (94, 124) bekannt, ebenso gibt es keine Notularien (111, 124). Hier sollte, auch wenn in den Quellen der Begriff "Notulare" verwendet wird, auf die gültige Terminologie zurückgegriffen werden. Beim Deutschen Orden wird für den Liber Ordinarius die Eigenbezeichnung "Notula", gelegentlich auch "Nottel" oder ähnliches, verwendet. Dieser liturgische Normcodex ist eine der wichtigsten Handschriften überhaupt und nicht mit einem Rituale gleichzusetzen (48), in dem hauptsächlich Texte der Sakramentsspendung seitens des Priesters stehen. Auch eine Agenda ist nicht mit einem Liber Ordinarius gleichzusetzen (111).

Die sechs "bucher, do die responsoria inne stehn" aus dem Marienburger Glockenamt werden von Mentzel-Reuters als die nördlich der Alpen eher seltene liturgische Gattung des Responsoriums bezeichnet (250). Eine liturgische Handschrift "Responsorium" gibt es aber nicht, es handelt sich eventuell um ein Responsoriale, wobei nochmals im Rückgriff auf Fiala/Irtenkauf die Grenzen zum Antiphonar äußerst fließend und mitunter schwer fassbar sind. Außerdem sind die von Mentzel-Reuters aufgeführten libri chori (153) keine liturgischen Text-Typen, sondern liturgische Handschriften-Typen.

Mit der Vorlage dieser Arbeit hat Mentzel-Reuters ein Forschungsfeld beschritten, das schon lange einer grundlegenden Betrachtung harrte. Somit hat er die Forschungslücke, die nach den Arbeiten von Karl Helm und Walther Ziesemer entstanden war, geschlossen. Mit diesem wichtigen Thema lassen sich nun erstmals übergreifend Vergleiche zwischen dem Buch-Besitzverhalten des Deutschen Ordens und dem anderer Orden anstellen. Das Augenmerk des Lesers wird auf diese Art und Weise auf die Vielschichtigkeit von Literatur und Bildung gelenkt.


Anmerkung:

[1] David N. Bell: What Nuns Read. Books and Libraries in Medieval English Nunneries, Kalamazoo 1995.

Anette Löffler