Rezension über:

Alexander von Vegesack / Jochen Eisenbrand (Hgg.): Airworld. Design und Architektur für die Flugreise, Weil am Rhein: Vitra Design Museum 2004, 295 S., 292 Abb., ISBN 978-3-931936-48-8, EUR 59,90
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Rezension von:
Annette Vowinckel
Kulturwissenschaftliches Seminar, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Lars Blunck
Empfohlene Zitierweise:
Annette Vowinckel: Rezension von: Alexander von Vegesack / Jochen Eisenbrand (Hgg.): Airworld. Design und Architektur für die Flugreise, Weil am Rhein: Vitra Design Museum 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/02/7521.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Alexander von Vegesack / Jochen Eisenbrand (Hgg.): Airworld

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Seit Mai 2004 zeigt das Vitra Design Museum in Weil am Rhein die Wanderausstellung 'Airworld. Design und Architektur für die Flugreise'. [1] Der Ausstellungstitel wie auch der gleichnamige Sammelband, der anlässlich der Ausstellung von Alexander von Vegesack und Jochen Eisenbrand herausgegeben wurde, nehmen Anleihe bei einem Roman von Walter Kirn, der die Welt des Fliegens als ein in sich "geschlossenes ästhetisches System" beschreibt: "Ich nenne es Airworld; die Szene, den Ort, den Stil. Airworld ist eine Nation innerhalb der Nation, mit ihrer eigenen Sprache, Architektur, Stimmung, sogar ihrer eigenen Währung - der Scheinwirtschaft der Bonusmeilen der Fluggesellschaften, die mir mehr bedeuten als Dollars." [2]

Diese Flugwelt nimmt der Sammelband, der schon beim ersten Blättern durch seinen enormen Reichtum an Bildern besticht, akribisch unter die Lupe. Gezeigt werden historische Aufnahmen von längst überholten und Entwürfe für noch gar nicht gebaute Flugzeugtypen, Interieurs, Bordgeschirr, Sitz- und Schlafmöbel, Uniformen von Piloten und Stewardessen, Tickets, Adressanhänger, Flughafenlounges, Werbeplakate, architektonische Pläne und Luftaufnahmen von Flughäfen. Damit legen die Herausgeber dem deutschen Publikum erstmals eine Monografie vor, die einen repräsentativen Überblick über die Dingwelt der Airworld bietet. [3] Sie ist eine Fundgrube für alle jene, die sich gern auf Flughäfen herumtreiben und für die das Fliegen aller Routine zum Trotz seine Faszination noch nicht verloren hat - aber auch für Wissenschaftler, die sich mit verschiedenen Aspekten der Kulturgeschichte des Fliegens befassen. Die einzelnen Beiträge, deren Niveau fast durchgehend hoch ist, decken folgende Bereiche ab: Luftfahrt und Tourismus in historischer Perspektive (Hasso Spode), Flughafenarchitektur (Koos Bosma), Kabinengestaltung (Barbara Fitton Hauß), Entwicklung von Flugzeugsitzen, Fluggesellschaften und Corporate Design, Essen an Bord (alle drei von Jochen Eisenbrand), Flugmode (Joanne Entwistle), Plakatkunst (Mathias Remmele) und das 'Leitbild Luftfahrt' in Kunst, Design und Architektur (Christoph Asendorf).

Etwas enttäuschend ist allein Mathias Remmeles Beitrag über die 'Plakatkunst im Dienst der zivilen Luftfahrt'. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen betont er in seinem über weite Strecken deskriptiven Text eher die Gemeinsamkeiten des Flugplakats mit dem allgemeinen Tourismusplakat, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, stattdessen das Spezifische des Flugplakats herauszustellen. Vergeblich wartet der Leser auf eine kunsthistorische Einordnung oder wenigstens einen Verweis auf Werke der italienischen Aeropittura, bei der so manch ein Plakat ganz offensichtlich Anleihe genommen hat. Stattdessen fühlt Remmele sich immer wieder bemüßigt, Plakate für "gelungen" oder "nicht gelungen" zu erklären, was der Sache kaum dienlich und für den Leser zuweilen auch nicht nachvollziehbar ist.

Besonders anregend sind hingegen die Beiträge von Barbara Fitton Hauß über die Flugzeugkabine und Joanne Entwistle über die Kleidung des Flugpersonals. Sehr anschaulich beschreibt Fitton Hauß die Entwicklung der Formensprache im Flugzeugbau und versäumt es dabei auch nicht, die historische Entwicklung des Passagierflugs im Hinblick auf Tourismus, Geschäftswesen, soziale Konventionen und so weiter in die Darstellung einzubeziehen. So erinnert sie daran, dass Flugzeuge in ihrer Gestaltung ursprünglich eher dem Schiff ähnelten, da auf Grund der geringeren Geschwindigkeiten die Reisen um ein vielfaches länger dauerten als im modernen Düsenjet und zudem ein soziales Ereignis darstellten. Besonders eindrücklich wird hier auch ein Projekt vorgestellt, das nie realisiert wurde: 1929 konstruierte Norman Bel Geddes auf dem Reißbrett einen riesigen Nurflügler mit 160 Metern Spannweite (zum Vergleich: eine Boeing 747 misst 65 Meter), mit mehreren Decks, Schlafkabinen, Tennisplätzen, Frisörläden und Kinos an Bord. Das Projekt scheiterte, obwohl es aus heutiger Sicht durchaus realisierbar gewesen wäre. Gleichwohl sind auch alle aktuellen Projekte vom Typ des Blended Wing Body unter anderem deshalb auf Eis gelegt worden, weil die Passagiere sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen können, im Flügel zu sitzen - was für viele einen Platz ohne Fenster bedeuten würde.

Joanne Entwistle leistet Vergleichbares auf dem Gebiet des Modedesign. Unter steter Einbeziehung der allgemeinen Entwicklungen in Sachen Mode und Lifestyle stellt sie verschiedene Kollektionen von Uniformen für Stewardessen vor und verweist dabei immer wieder auch auf die sozialen Statusveränderungen dieser Berufsgruppe, die ursprünglich in der Funktion der Krankenschwester ihren Dienst angetreten hatte und die seither in größeren Wellenbewegungen mal zum Sexsymbol oder zum Trophy Wife für Geschäftsreisende, mal zur adretten Dienstleistungsexpertin in offizieller Uniform stilisiert worden ist.

Zu einigen Beiträgen gäbe es ergänzende Anmerkungen zu machen. So wundert es ein wenig, dass Koos Bosma in seinem Beitrag über Flughafenarchitektur ausschließlich westeuropäische und nordamerikanische Flughäfen vorstellt und selbst den jüngst vor der japanischen Küste auf einer künstlichen Insel ins Meer gebauten Flughafen von Osaka, dessen Abflughalle von Norman Foster entworfen wurde, mit keinem Wort erwähnt. Angesichts der außerordentlichen Lesbarkeit und vor allem angesichts des überragenden Bildangebots ist solche Kritik allenfalls drittrangig. Das große Verdienst des Bandes ist es, den Leser von den viel beredeten ökonomischen und sozialen Problemen des Flugtourismus abgelenkt und darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass Flugzeuge nicht nur Transportmaschinen, Flughäfen nicht nur Durchgangsstationen sind. Vielmehr sind sie ästhetische Mikrokosmen, die in den vergangenen hundert Jahren eine eigene Form- und Symbolsprache entwickelt haben, und deren Bestandteile wir auch außerhalb der eigentlichen 'Airworld' zu identifizieren gelernt haben.

Der etwas exzentrische, mit einem unbequemen Relief versehene weiße Kunststoffeinband lässt ahnen, dass eine der Zielgruppen dieser Publikation sich aus Airportjunkies, Kerosinschnüfflern und passionierten Vielfliegern zusammensetzt; gleichwohl ist dieser in seiner grafischen Gestaltung ansprechende und sehr sorgfältig lektorierte Band auch eine Bereicherung für all jene Gelegenheitsflieger, denen die Faszination für die Überwindung der Schwerkraft in einer Blechkiste noch nicht ganz abhanden gekommen ist - vom Nutzen für die kulturhistorische und -theoretische Erforschung des Passagierflugs ganz zu schweigen.


Anmerkungen:

[1] Ausstellungsdaten: 15.05.2004-27.02.2005 (Vitra Design Museum, Weil am Rhein), 18.03.2005-19.06.2005 (Design Museum, Gent), 18.10.2005-08.01.2006 (Museo de les Arts Decoratives), 01.03.2006 - 01.06.2006 (Technisches Museum Wien).

[2] Siehe auch Walter Kirn: Up in the Air, New York 2001, 7, hier zitiert nach 'Airworld', 6 f. Airworld, darauf verweisen die Autoren der Einleitung zum Ausstellungsband, ist auch der Name eines von Jennifer und Kevin McCoy initiierten digitalen Kunstprojekts (http://www.airworld.net)

[3] Vergleichbar ist bisher einzig der Katalog zu einer Ausstellung im Art Institute of Chicago: John Zukowsky (Hg.): Building for Air Travel. Design and Architecture for Commercial Aviation, New York 1996.

Annette Vowinckel