Rezension über:

W. Scott Hoerle: Hans Friedrich Blunck. Poet and Nazi Collaborator, 1888 - 1961 (= Studies in Modern German Literature; Vol. 97), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003, 271 S., ISBN 978-3-03910-023-1, EUR 47,30
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Rezension von:
Volker Dahm
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Volker Dahm: Rezension von: W. Scott Hoerle: Hans Friedrich Blunck. Poet and Nazi Collaborator, 1888 - 1961, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/5053.html


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W. Scott Hoerle: Hans Friedrich Blunck

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Hans Friedrich Blunck, in seinem Selbstverständnis kein Schriftsteller, sondern ein Dichter, der im Spektrum der Weimarer Literatur dem völkisch-national-konservativen Lager zuzurechnen ist, hinterließ ein umfangreiches, heute weitgehend vergessenes literarisches Werk an Gedichten, Balladen, Erzählungen und Romanen. Am bekanntesten wurden seine Nacherzählungen von Sagen und Märchen aus dem niederdeutschen Raum (vor allem "Märchen von der Niederelbe", 3 Bände, Jena 1923-1931) und Geschichtsdichtungen. Wie alle Völkischen litt Blunck an der Moderne und wie alle Nationalkonservativen am Zustand des Reiches nach dem verlorenen Krieg. Er suchte das Heil einerseits im Niederdeutschen, das er für das eigentliche Deutschtum hielt, und andererseits in einer mythologisierten Vergangenheit. Dazu gehörte auch seine Überzeugung, dass es eines genialen Volksführers bedurfte, um Deutschland wieder aufzurichten. Deshalb seine in der Vorgeschichte ("Werdendes Volk", 3 Bände 1934), in germanischer Zeit ("König Geiserich" 1936), und im Mittelalter (die niederdeutsche Trilogie "Die Urvätersaga", 3 Bände 1934) angesiedelten Heldenepen.

Formalästhetisch ein Traditionalist, gilt Blunck wegen seines eskapistischen Antimodernismus', seiner Stoffe und Themen und seiner Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten nach 1933 als ein NS-naher Autor. Was ihn bei allen Bezügen vom Nationalsozialismus trennte, war seine Haltung in der "Rassenfrage". Zwar praktizierte er einen zeitgeistigen kulturellen und selektiven Antisemitismus, indem er zwischen "guten" (das heißt deutsch denkenden und handelnden) und schlechten, "undeutschen" Juden unterschied, jedoch war ihm eine konsequente rassistische Geschichts- und Weltbetrachtung, die Kern und Spezifikum nationalsozialistischen Denkens war, fremd, weshalb er von den Nationalsozialisten auch nicht als einer der ihren akzeptiert wurde.

Trotzdem wurde Blunck von Goebbels im Herbst 1933 zum ersten Präsidenten der Reichsschrifttumskammer berufen, weil in der Konstituierungsphase der Reichskulturkammer weniger linientreue Parteifunktionäre gefragt waren als bekannte, unpolitische Vertreter ihres Fachs, die der Fiktion, im "Dritten Reich" würden sich die Künste unter dem Patronat des Nationalsozialismus selbst verwalten, Glaubwürdigkeit verleihen sollten. Aber schon im Laufe des Jahres 1935, als die so genannte "Entjudung" der Fachkammern der Reichskulturkammer massive Formen annahm, wurde Blunck hauptsächlich wegen seiner widerspenstigen Haltung in der "Judenfrage" von seinem Amt entbunden, ebenso wie Richard Strauss, Präsident der Reichsmusikkammer. Aber anders als Strauss, der sich fortan ganz auf seine musikalische Arbeit konzentrierte, mochte Blunck auf den politischen Dienst am neuen Deutschland nicht verzichten. In Zusammenarbeit mit dem Propagandaministerium und dem Auswärtigen Amt gründete er die "Vereinigung der zwischenstaatlichen Verbände" und das "Deutsche Auslandswerk", scheinbar partei- und staatsferne Einrichtungen, die sich der auswärtigen Kulturpropaganda widmeten. Blunck leitete diese bis zum Schluss und unternahm selbst zahlreiche Reisen ins Ausland, um dort die Kultur des "neuen Deutschlands" ins rechte Licht zu rücken.

Die Studie des US-Amerikaners Hoerle beruht hauptsächlich auf dem umfangreichen Nachlass Bluncks in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Der Autor verfolgt Bluncks Lebensweg von den Kindheitstagen in Altona bis zu seinem Tod 1961 in Hamburg. Neben den diachronischen Kapiteln gibt es zwei eher systematische, eines, das den für die Weimarer Literatur charakteristischen Gegensatz von Großstadt und Land thematisiert ("Blunck versus Berlin"), ein anderes, das Bluncks "Weltanschauung" beschreibt. Dem Autor geht es nicht um eine umfassende Darstellung von Leben und Werk Bluncks, sondern um die als exemplarisch verstandene Vita eines Dichters, der mit den Nationalsozialisten kollaborierte, und die Offenlegung der Motive und Bedingungen dieser Kollaboration.

Bestimmend waren hierfür neben der deutlichen Verbesserung seiner persönlichen Lebensumstände die schon angedeuteten ideellen Affinitäten, wenn diese auch zu einem guten Teil auf Missverständnissen und Illusionen beruhten, in denen Blunck gegen alle Evidenz in der Realität gefangen blieb. Der historische Reichsgedanke, an dessen Wiederbelebung und Verwirklichung er glaubte, hatte mit Hitlers rassenimperialistischer Konzeption so wenig zu tun, wie dessen unumschränkte persönliche Diktatur über eine Massengesellschaft mit einer autoritären Demokratie, wie sie Blunck vorbildlich bei den Sachsen des 5. Jahrhunderts verwirklicht sah. An seinem Credo, dass Deutschlands Zukunft aus seiner Vergangenheit gewonnen werde, hielt er eisern fest, obwohl Hitler schon auf dem Reichsparteitag 1933 nicht nur mit der künstlerischen Avantgarde abgerechnet hatte, sondern auch mit den rückwärts gewandten, deutschtümelnden völkischen Künstlern, die nicht begriffen, dass der Nationalsozialismus eine moderne, wissenschaftlich fundierte Weltanschauung sei. Auch in seinem Glauben, dass die nationalsozialistische "Revolution" zu einer neuen Blüte der deutschen Stammeskulturen, insbesondere der niederdeutschen Sprache und Literatur, führen würde, ließ er sich durch die Realität nicht beirren - weder durch die Aufhebung der Länder noch durch die zentralistisch-unitaristische Kulturpolitik von Partei und Staat. Schließlich hielt er auch an seiner emphatischen Überzeugung fest, dass die Reichskulturkammer die berufsständische Selbstverwaltung der Künste ermögliche und dass dies ein historisches Verdienst des Nationalsozialismus sei.

Mit einem gewissen Recht konnte Blunck es dem "neuen" Staat zuschreiben, dass die völkisch-nationale, traditionalistische und provinzialistische Literatur, die weitgehend im Schatten der Weimarer Klassik gestanden hatte, nach 1933 eine gewisse Konjunktur erfuhr. Blunck selbst hat davon mehr profitiert als andere. Er wurde mit Ämtern und Auszeichnungen überhäuft, verkaufte deutlich mehr Bücher als zuvor, erhielt als noch relativ junger Mann von der in Parteibesitz befindlichen Hanseatischen Verlagsanstalt eine fürstlich honorierte 10-bändige Gesamtausgabe seiner Werke und alles in allem jenes öffentliche Ansehen, das er solange entbehrt hatte. Dass sich die politische Urteilsfähigkeit unter solchen "integrativen" Bedingungen eher eintrübt als schärft, liegt auf der Hand.

In der Herausarbeitung dieser Zusammenhänge, die Blunck bis an sein Lebensende als wirklichkeitsflüchtigen Träumer erscheinen lassen, liegt die Stärke des Buches von Hoerle. Ärgerlich wird es, wo der Autor seine biografischen Befunde kontextualisiert. Etwa wenn er die "traditionalistische" und "neoromantische" Literatur aus der Provinz, die Blunck nach seiner Meinung repräsentiert, für den Aufstieg des Nationalsozialismus mitverantwortlich macht: "The literary tide that helped sweep the National Socialists to power flowed, in no small way, from the provinces." (214). Hitler hätte sich über den Gedanken, dass er seine Macht nicht zuletzt Blunck und Konsorten oder überhaupt der Literatur zu verdanken habe, sicherlich amüsiert. Ebenso über die apodiktische Behauptung, der Nationalsozialismus sei eine Reaktion des traditionellen gegen das moderne Deutschland gewesen (214).

Solche auf das überholte geistesgeschichtliche Erklärungsmodell zurückgehenden Simplifizierungen verraten eine solide Unkenntnis der Forschung, auf die schon das schmale Literaturverzeichnis hindeutet. Verräterisch auch der ständige positive Bezug zum zeitgeschichtlichen Strukturfunktionalismus von Martin Broszat (dessen "Staat Hitlers" aber im Literaturverzeichnis fehlt). Ältere und neuere Gesamtdarstellungen des Nationalsozialismus (Bracher, Thamer, Frei, Herbst, Kershaw et cetera ) kennt der Autor ebenso wenig wie die wesentliche Literatur zur Weimarer Republik, zur "Machtergreifung" oder etwa auch die Modernitätsdebatte der letzten Jahrzehnte.

Auch die Spezialliteratur zur Kultur-, Schrifttums- und Judenpolitik ist unzureichend rezipiert. So kommt die Behauptung zu Stande, die Reichsschrifttumskammer (RSK) komme in der Forschung nicht vor (13). Zwar fehlt noch die vom Verfasser dieser Rezension vor vielen Jahren begonnene Monografie über die RSK, doch gibt es einige Arbeiten, die sich ausführlich mit der Kammer befassen, Barbians "Literaturpolitik im Dritten Reich" vor allem [1], aber etwa auch Dahms "Das jüdische Buch im Dritten Reich" [2] - letzteres wäre auch hinsichtlich der vom Autor im Zusammenhang mit Bluncks Haltung thematisierten "Entjudung" der Kammer zu konsultieren gewesen. Barbian wurde offenbar zu spät entdeckt; er wird einige Male zitiert, aber weder im Literaturverzeichnis aufgeführt noch im einleitenden Forschungsbericht ("Blunck and the historical literature", 14-20) erwähnt. "Forschungsbericht" ist eigentlich das falsche Wort, denn es handelt sich um eine Aneinanderreihung eklektischer Lesefrüchte, die in der einen oder anderen Weise auf den Fall Blunck bezogen werden können und zu seinem Verständnis nützlich sein sollen.

Um seiner Wissensnot abzuhelfen, tendiert der Autor dazu, den Nachlass Bluncks wie ein Nachschlagewerk zu benutzen. Das "Außenpolitische Amt" Rosenbergs, immerhin ein Reichsleitungsamt der NSDAP, figuriert so als "Außenpolitische Stelle" (178 ) und die "Reichsschrifttumsstelle" im Propagandaministerium schlicht als "Schrifttumsstelle" (159) Der Schriftsteller Will Vesper avanciert zum "Head of the RSK's Landesleitung" (161), die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Aus einem Brief Bluncks an Hanns Johst liest der Autor heraus, die Reichsschrifttumskammer sei Rosenbergs "Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums" inzwischen untergeordnet (158). In dieser Auslegung einer vermutlich taktischen Äußerung Bluncks kulminiert eine maßlose Überschätzung Alfred Rosenbergs, der zwar Goebbels erhebliche Schwierigkeiten machte und ihn zu einer schärferen Gangart in der Kulturpolitik zwang, selbst aber machtpolitisch nichts gewinnen konnte.

Fazit: Ein zwar anregendes, intelligentes, mit der amerikanischen Leichtigkeit des Seins geschriebenes Buch; höheren zeitgeschichtlichen Ansprüchen genügt es nicht.


Anmerkungen:

[1] Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im Dritten Reich. Frankfurt am Main 1993 (Taschenbuchausgabe München 1995)

[2] Volker Dahm: Das jüdische Buch im Dritten Reich. München 1993 (2. überarb. Aufl.)

Volker Dahm