Rezension über:

Jörg Rathjen: Soldaten im Dorf. Ländliche Gesellschaft und Kriege in den Herzogtümern Schleswig und Holstein 1625-1720. Eine Fallstudie anhand der Ämter Reinbek und Trittau, Kiel: Verlag Ludwig 2004, 323 S., ISBN 978-3-933598-93-6, EUR 34,90
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Rezension von:
Stephan Deutinger
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Deutinger: Rezension von: Jörg Rathjen: Soldaten im Dorf. Ländliche Gesellschaft und Kriege in den Herzogtümern Schleswig und Holstein 1625-1720. Eine Fallstudie anhand der Ämter Reinbek und Trittau, Kiel: Verlag Ludwig 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/5566.html


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Jörg Rathjen: Soldaten im Dorf

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Die ländliche Gesellschaft und der Krieg: Nicht erst seit seiner (Wieder-) Entdeckung durch die Neue Militärgeschichte gehört dieses Thema zu den fruchtbaren Feldern der Frühneuzeitforschung. Eine beachtliche landesgeschichtliche Forschungstradition hat vielmehr bereits eine ganze Reihe von tief schürfenden Monografien hervorgebracht, die das Verhältnis von Kriegführung und bäuerlichem Wirtschaften, von frühmoderner Staatsbildung und Landwirtschaft in vielfältigen Facetten dargestellt haben. Unbefriedigend ist der an sich nicht unerfreuliche Forschungsstand gleichwohl in zweierlei Hinsicht: Zum einen konzentrieren sich die vorliegenden Studien stark auf Süddeutschland und lassen andere historische Regionen des Reiches weithin unausgeleuchtet. Zum anderen erscheint gerade bei zunehmender Einsicht in die "Bellizität" der Gesamtepoche die hergebrachte Fixierung auf den Dreißigjährigen Krieg und seine Folgen der Erfassung des Phänomens immer weniger angemessen.

Weiterführend und erfreulich ist es deshalb, wenn Jörg Rathjen mit seiner Kieler Dissertation gleich beide blinde Flecken auf einmal angeht. Seine gründliche Studie über die beiden schleswig-holsteinischen Ämter Reinbek und Trittau erschließt das Thema aus norddeutscher Sicht und liefert zugleich reichhaltiges Material für territoriale Vergleiche; dazu spielt sie die besondere Stärke des landesgeschichtlichen Zugriffs aus, indem sie das Thema in der langfristigen Perspektive eines vollen Jahrhunderts angeht. Im ersten Teil der Arbeit zeichnet Rathjen minuziös alle militärischen Konflikte vom Kaiserlichen Krieg 1625/29 bis zum Großen Nordischen Krieg 1700/20 auf lokaler Ebene nach, insoweit sie Auswirkungen auf das Untersuchungsgebiet hatten, und rekonstruiert alle erfassbaren Kosten und Schäden. Der zweite Teil thematisiert die demografischen und wirtschaftlichen Auswirkungen sowie die Bewältigungsstrategien von Bauern und Obrigkeiten. In einem dritten Teil schließlich wird dem differenzierten Beziehungsgefüge zwischen den örtlichen Beamten, der Landbevölkerung und den Soldaten nachgegangen, das in den ganz unterschiedlichen Interaktionsformen von Konflikt, Koexistenz oder aber auch Kooperation wirksam werden konnte.

Die von Rathjen zu Tage geförderten Ergebnisse bestätigen im Großen und Ganzen die Befunde aus anderen Regionen des Reiches, sind aber dennoch wichtig, um die noch vielfach anzutreffenden, durch unzulässige Rückprojektionen verzerrten Vorstellungen von der Realität des frühneuzeitlichen Krieges zu korrigieren. Obwohl das Untersuchungsgebiet zu keinem Zeitpunkt eigentlicher Kriegsschauplatz war, waren die Belastungen für die Untertanen durch Truppendurchzüge und Einquartierungen enorm. Bemerkenswerterweise spielte es dabei kaum eine Rolle, ob die Bevölkerung mit fremden Einheiten oder mit Truppen des eigenen Landesherrn konfrontiert wurde. Letztere entwickelten sich im ausgehenden 17. Jahrhundert sogar zur schwereren Bürde, da sie - wie auch in anderen deutschen Territorien - Anlass und Mittel für steigende finanzielle Abschöpfungen darstellten. Die geradezu unglaubliche Regenerationsfähigkeit der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft, die schon frühere Studien aufzeigten, kann Rathjen mit langen Zahlenreihen eindrucksvoll unterstreichen. Ebenso wenig wie die Belastungen des Krieges sich jeweils nachhaltig negativ auswirkten, sind längerfristige demografische Nachwirkungen festzustellen. Mitausschlaggebend hierfür war das äußerst flexible Verhalten der Landbevölkerung beim Anrücken größerer Heeresverbände. Rasch organisierte Flüchtungsaktionen retteten vielfach Leben und Besitz, gewaltsamer Widerstand und Partisanentätigkeit blieben seltene Ausnahmen. Fehlte die Möglichkeit zum Ausweichen, war man bemüht, die Lasten nach Möglichkeit auf andere abzuwälzen, wobei man dann innerhalb der Dorfgemeinschaften auch alte Rechnungen beglich. Die Unübersichtlichkeit der Situation konnten die Untertanen bisweilen sogar zu ihrem eigenen Vorteil nutzen: Bei Übergriffen auf die obrigkeitlichen Wälder, die sie geradezu als Notfallreservoir betrachteten, scheuten sie nicht davor zurück, mit dem ungeliebten Militär gemeinsame Sache zu machen.

Die handwerklich saubere und nichtsdestoweniger neue methodische Anregungen geschickt aufgreifende Arbeit besticht durch die besondere Darstellungskunst des Autors, dem es - bis auf gewisse Längen im ersten Teil - gelingt, den Leser die Sprödigkeit des zu Grunde liegenden Quellenmaterials vergessen zu machen. Die verarbeitete Literatur reicht von den Großdarstellungen der Epoche bis hinab in die lokalgeschichtlichen Niederungen. Dass die Quellen über den langen Untersuchungszeitraum hinweg nicht immer in wünschenswerter gleichmäßiger Dichte und vergleichbarer Qualität sprudeln, wird man nicht dem Autor anlasten wollen. Auf die Lücken und Unschärfen, die der beabsichtigte zeitliche Längsschnitt in der Folge aufweist, muss man dennoch hinweisen. Anzumerken ist auch, dass der Autor nicht immer der Versuchung widerstanden hat, das Bild durch Rückgriff auf Material aus teils weit entfernten Regionen etwas zu glätten. Unerklärlich ist der Verzicht auf eine Detailkarte, ohne die es kaum möglich ist, sich räumlich zu orientieren; auch ein Register fehlt.

Diese geringen Monita ändern freilich nichts daran, dass Rathjens Vorhaben, eine offenkundige Lücke der schleswig-holsteinischen Landesgeschichte dauerhaft zu schließen, als geglückt zu bezeichnen ist. Gleichzeitig ist dem Autor zu danken für einen auch überregional aussagekräftigen, material- und kenntnisreichen Beitrag zum Verhältnis von ländlicher Gesellschaft und Krieg in der Frühen Neuzeit.

Stephan Deutinger