Rezension über:

William Vaughan: Friedrich, Berlin: Phaidon Verlag 2004, 351 S., 180 Farb-, 20 s/w-Abb., ISBN 978-0-7148-4060-4, EUR 19,95
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Rezension von:
Werner Busch
Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Werner Busch: Rezension von: William Vaughan: Friedrich, Berlin: Phaidon Verlag 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 5 [15.05.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/05/7598.html


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William Vaughan: Friedrich

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In deutscher Sprache liegen vier Einführungen in Leben und Werk Caspar David Friedrichs vor, die samt und sonders mehrere Auflagen erfahren haben. Sie verdanken sich alle der zweiten "Wiederentdeckung" Friedrichs im Jubiläumsjahr 1974. Voraussetzung dafür allerdings war die Publikation des bis heute gültigen Werkverzeichnisses von Helmut Börsch-Supan aus dem Jahre 1973. Der Aufschwung der Friedrich-Forschung vollzog sich in Ost und West. Es gab 1974 Ausstellungen in Hamburg und Dresden, eine große Romantik-Konferenz in Greifswald, publiziert 1977, vor allem aber heftige Auseinandersetzungen über den adäquaten methodischen Zugriff im Westen. Während Börsch-Supan den religiösen Friedrich verfocht mit klaren ikonografischen Bedeutungszuordnungen, stellte die Achtundsechziger-Generation mit Vehemenz den politischen Friedrich ins Zentrum mit nicht weniger eindeutigen Bedeutungszuweisungen. Die dritte Position, die in der Folge am meisten Boden gewinnen sollte und die auch heute noch, vor allem nach Poststrukturalismus und Diskurstheorie, die meisten Anhänger findet, wurde zuerst auf der Hamburger Ausstellung 1974 durch Werner Hofmann vertreten; sie bindet Friedrich an die frühromantische Literartheorie, sieht in seinem Werk eine tendenzielle Sinnoffenheit, überantwortet die Sinnbeimessung an den individuellen Betrachter, für den das Werk nur Hinweise bereithält. Die Auseinandersetzung über diese Positionen ist mit Erbitterung betrieben worden, und ein Ende ist nicht abzusehen. Offenbar gibt es im Falle Friedrichs immer noch Kunsthistoriker, deren Bekenntnis ihnen so heilig ist, dass sie blindwütig auf alle Andersdenkenden einschlagen. Insofern scheint Friedrich in der Tat ein deutscher Fall zu sein.

Die Einführungen waren von diesem Gerangel überraschenderweise ausgenommen, obwohl auch sie unterschiedlich genug sind. Drei von ihnen waren große Bildbände mit eher kürzerem einleitendem Text: Börsch-Supan (1973) schrieb seine eindeutige Position fort, Willi Geismeier (1973) lieferte das östliche Gegenstück, Wieland Schmied (1975) dagegen wendete sich deutlich gegen die Annahme einer eindeutigen Zeichensprache bei Friedrich, bemühte den frühromantischen Friedrich, bei dem er eine große Nähe zu Novalis sah. Was allerdings seine Arbeit besonders auszeichnet, ist der Versuch, aus der formalen Struktur der Bilder heraus Kriterien für die Annahme bedeutungsmäßiger Richtungsangaben durch Friedrich zu gewinnen. Irritierenderweise konnte Schmied bei seinen formalen Beobachtungen auf der Dissertation von Börsch-Supan fußen, die derselbe Autor in seinen späteren Arbeiten nicht wirklich fruchtbar gemacht hat, so überzeugend seine frühen Analysen gewesen sind. Der schmiedsche Ansatz wurde lange nicht aufgegriffen, so blieb, so simpel dies klingt, das Form-Inhalt-Verhältnis bei Friedrich ein unbewältigtes Problem. Dem half auch die erfolgreichste Einführung überhaupt, diejenige von Jens Christian Jensen (1974), nicht ab. Er lieferte als einziger einen umfangreicheren Text in Taschenbuchformat und versucht dabei, die Tiefsinnserwartung bei Friedrich zu relativieren, appelliert an die unmittelbare Wirkung der Bilder, schreibt ihnen dann aber doch mehr oder weniger präzise Bedeutungen zu. Offenbar entsprach dies am ehesten den Erwartungen eines breiteren interessierten Publikums.

Jetzt liegt eine neue Einführung vor, und zwar verfasst von William Vaughan, einem der wenigen Engländer, die sich seit langem mit der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts beschäftigen. Er hat sich früh um die Kunst Friedrichs verdient gemacht, vor allem bereits 1972, als er in der Tate Gallery in London die erste Friedrich-Ausstellung außerhalb Deutschlands organisierte. Sein jetzt in englischer und deutscher Sprache vorliegendes Werk, erschienen bei Phaidon in der Reihe "Art & Ideas", ist ein bewundernswert abgewogenes Buch, das zugleich den Anforderungen und dem Selbstverständnis der Phaidon-Reihe gerecht wird: verständlich zu schreiben, den Gegenstand breit in die historischen Umstände einzubetten, auch die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge nicht zu vernachlässigen, für Studenten und kunstinteressierte Laien gleichermaßen geeignet zu sein. Die Größe des englischsprachigen Buchmarktes ermöglicht eine reiche Bebilderung: 190 weitestgehend farbige Abbildungen. Der Band liefert alles, was man braucht: ein Glossar, Kurzbiografien, Hauptdaten, eine Karte, Literaturempfehlungen, einen vernünftigen Index. Er verzichtet auf ein Referat der Forschungsstreitereien - was dem Engländer leicht fallen mag - aus der Einsicht heraus, dass dies die Erzählung, die er unternimmt, ohne Unterlass unterbrechen, ja geradezu verhindern würde. Wie Recht der Autor hat.

Es ist nicht vieles neu in diesem Buch, hier und da eine kleine Beobachtung, eine Verbindung, die bisher nicht oder nicht so gesehen wurde, eine Formulierung, die zutreffend zuspitzt, etwa wenn der Autor feststellt, Runges Naturzugriff sei von Konzeption, Friedrichs von Perzeption geprägt (65). Oder wenn er zu Friedrichs "symbolism" schreibt, er bewege sich jenseits des geschlossenen Systems der Allegorie auf eine eher geheimnisvolle, evokative Form der Bedeutung zu, die "remains open and vibrant" (68). Das ist mehr als die wohlfeile Bemerkung, Friedrichs Bilder seien gänzlich sinnoffen oder grundsätzlich polyvalent. Ihnen wird vielmehr Bedeutungseröffnung in bestimmte Richtungen attestiert, die zwar nicht objektiv benennbar ist, aber doch fühlbar bleibt. Eine direkt benennbare Bedeutung tendiert dazu, sich auf der Stelle zu erschöpfen, eine angelegte Bedeutung arbeitet im Betrachter weiter, ohne beliebig zu sein. So wird auch Goethes langanhaltendes Interesse an Friedrich nicht als ein bloßes Missverständnis abgetan, beziehungsweise nicht allein als der Versuch angesehen, Friedrich aus den Klauen der verführerischen Romantik zu retten, sondern verstanden als die durchaus richtige Einsicht darin, dass Friedrich grundsätzlich vom sorgfältigen und überzeugenden Naturstudium ausgeht, sich jedoch mit bloßem Naturalismus nicht zufrieden gibt. Natürlich könnte man an einem solchen Punkt weitergehen, die Beobachtungen von Christa Lichtenstern oder Ernst Osterkamp könnten in dieser Frage den Weg weisen. Doch macht es, wie erwähnt, die Qualität dieses Buches aus, dass es sich nicht in detaillierte Forschungsdiskussionen verstrickt, vielmehr darauf achtet, den Erzählfluss nicht aufzuhalten, jedoch die Denkrichtung, in der es weitergehen könnte, angezeigt zu haben. Möglich ist das nur auf der Basis jahrelanger Beschäftigung mit der Materie und einer daraus erwachsenden Souveränität im Umgang mit deren Fülle. Nachdrücklich betont der Autor, dass er nicht einseitig romantischer Subjektivität das Wort reden möchte; der subjektive Anteil des Rezipienten habe nichts zu tun mit "arbitrary whim", er sei vielmehr zeitbedingt wie jedes Verhältnis von Beschauer und Beschautem (83). Auf der anderen Seite - auch dies betont William Vaughan mehrfach - gibt es kein "carefully worked out iconographical pattern for his images", man würde durch seine Annahme die Eigenständigkeit der Bildwirkung in Friedrichs Werk grob unterschätzen (99).

Kleinigkeiten gibt es zu korrigieren: die eine oder andere Schreibweise von Namen (der Mädchenname von Friedrichs Mutter lautet "Bechly", nicht "Breckly", Seite 15; der nordische Vorname "Johan" schreibt sich nur mit einem "n", etwa Seite 49 oder Seite 58; die beiden "Böhmischen Landschaften" in Dresden und Stuttgart werden noch falsch auf 1810 datiert, sie sind für die Familie Thun-Hohenstein gemalt worden und stehen im Zusammenhang mit dem "Tetschener Altar", sind also 1808 zu datieren; der so genannte "Mondregenbogen" (Abbildung 50) befindet sich nicht in Weimar, sondern im Essener Folkwangmuseum; Goethes Abhandlung gegen die Nazarenerkunst lautet: "Neudeutsche religios-patriotische Kunst", nicht "Neu-religiös-patriotische Kunst", (134 und 161) - doch fällt derartiges nicht wirklich ins Gewicht. Wichtiger sind zweifellos die sorgfältige Einbettung von Friedrichs Werk in die Zeit der napoleonischen Besetzung, die Bemühung, Friedrichs besondere Stellungnahme zu den neuen naturwissenschaftlichen Ergebnissen vor allem auf dem Gebiete der Geologie und Meteorologie zu charakterisieren, die - mit Grave unternommene - Abgrenzung zur Kategorie des Erhabenen oder die Schilderung des Nachlebens und der Rezeption bis in die Gegenwart - wenn hier auch die geradezu radikale Ablehnung Friedrichs in der englischen Presseöffentlichkeit zu kurz kommt. Doch wenn ein Forscher sich in England um die Korrektur dieses einseitigen Bildes bemüht hat, dann William Vaughan, dem für seine souveräne Zusammenfassung nicht nur Bewunderung, sondern auch kulturpolitischer Dank gebührt.

Werner Busch