Rezension über:

Bernd Pappe / Juliane Schmieglitz-Otten (Bearb.): Miniaturen der Revolutionszeit (1798-99) aus der Sammlung Tansey, München: Hirmer 2005, 420 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7774-2475-0, EUR 75,80
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Rezension von:
Ekaterini Kepetzis
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Ekaterini Kepetzis: Rezension von: Bernd Pappe / Juliane Schmieglitz-Otten (Bearb.): Miniaturen der Revolutionszeit (1798-99) aus der Sammlung Tansey, München: Hirmer 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 7/8 [15.07.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/07/8299.html


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Bernd Pappe / Juliane Schmieglitz-Otten (Bearb.): Miniaturen der Revolutionszeit (1798-99) aus der Sammlung Tansey

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Mit den "Miniaturen der Revolutionszeit" legt die Stiftung der Miniaturensammlung Tansey im Bomann-Museum Celle den dritten Katalogband der Sammlung vor [1]; den Leser erwartet - dies sei vorweggeschickt - erneut ein lehrreiches Lesevergnügen und ein Augenschmaus. Eine Einführung und zwei Aufsätze von Bernd Pappe, Bern, ein Beitrag von Juliane Schmieglitz-Otten, Celle, sowie ein Überblick über Chronologie und Verlauf der französischen Revolution vom Sturm auf die Bastille bis hin zu Napoleons Machtergreifung von Philippe de Carbonnières, Musée Carnavalet, sind dem 167 Nummern starken Katalog vorangestellt; Kurzbiografien der Miniaturisten - Künstler, die zum Teil selbst bei Schidlof nicht erfasst sind [2] -, ein umfassendes Literaturverzeichnis und ein benutzerfreundlicher Index runden den Band ab.

Im Katalogteil - alphabetisch nach Künstlern geordnet, nicht zugeschriebene Werke am Schluss - werden jeder Miniatur zwei Seiten gewidmet: Rechts findet der Leser die in Originalgröße abgebildeten und stets mit Rahmen gezeigten, vorzüglich fotografierten Werke, links die technischen Angaben, Literaturhinweise, Informationen zu Künstlern, Technik, Ikonografie und - soweit bekannt - zeitkritische Stimmen und Vergleichswerke in anderen Sammlungen. Auch Querverweise auf Objekte aus dem eigenen Bestand werden gegeben. In wissenschaftlicher Hinsicht lässt der Katalog keine Wünsche offen; so konnte beispielsweise eine als Porträt des Freiherrn Olof Rudolf Cederstroem erworbene qualitätvolle Elfenbeinminiatur des Domenico Bossi als Bildnis Friedrich Franz I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin identifiziert werden (Kat. 12, 80). Die exzeptionell bestückte Sammlung des Ehepaares Tansey besticht ohnehin; es finden sich nicht weniger als fünf Werke Jean-Baptiste Isabeys, des bedeutendsten französischen Miniaturmalers der Zeit, drei seiner wichtigsten Konkurrenten Jean-Baptiste Augustin, zwei Bildnisse Marguérite Gérards, der Schwägerin Fragonards, um nur die Bekanntesten zu nennen. Die Bildnisse zeigen in der Regel keine Prominenten, sondern Bürger, die sich unprätentiös und "realistisch" dem Betrachter zuwenden, dem sich so ein beeindruckendes Panorama des stürmischen Revolutionsjahrzehnts bietet.

In seiner Einleitung erläutert Pappe die besondere Bedeutung des Miniaturbildnisses in diesen Jahren; es handelt sich um Werke, die "handlicher, verhältnismäßig rasch gemalt und in der Herstellung preisgünstiger waren" als Gemälde. Sie halfen, "Trennungen von Familienangehörigen durch Auswanderung, Gefangennahme oder gar durch gewaltsamen Tod" zu lindern, Isabey selbst bezeichnete solche Darstellungen folgerichtig als "Portrait de consolation" (9). Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf französischen Werken, jedoch finden sich auch englische, deutsche, österreichische, schweizerische sowie einzelne italienische und russische Beispiele.

Pappes Aufsatz über drei in diesen Jahren in Paris entwickelte Sonderformen des Miniaturenbildnisses - das "Großformat", die "Physionotraces" und die Zeichnungen "à la manière noire" - zeichnet umfassend die besondere Blüte und Produktivität dieser Kunstform nach. Aufgrund der bereits skizzierten Bedeutung der Porträts in diesen Jahren findet nicht nur ein quantitativer Aufschwung statt, der sich in den livrets der Salons niederschlägt; die Künstler entwickeln Strategien, ihrer bislang wenig geachteten Profession zu größerem Ansehen zu verhelfen. Die gilt vor allem für "großformatige" Miniaturen, die nicht umsonst häufig Selbstbildnisse mit programmatischem Anspruch sind. Mit der "Physionotrance" stellt Pappe ein halbmechanisches Verfahren des Übertragens von Profilbildnissen vor. Mithilfe des vermutlich von Gilles-Louis Chrétien erfundenen Apparates war die rasche Anfertigung eines Bildnisses möglich, das anschließend gestochen und druckgrafisch vervielfältigt werden konnte. Die realistische Wiedergabe und die Reproduzierbarkeit machen dieses Verfahren zu einem Vorläufer der Fotografie. Die Zeichnungen "à la manière noire" schließlich sind mit speziellen Stiften in Schwarz und Grau angefertigte Blätter, die Mezzotinto-Drucke imitieren und zeitweise große Popularität erlangten; hier tat sich besonders Isabey hervor. Pappe führt aus, dass diese Werke in den Kritiken zu den einzelnen Salons hohe Beachtung erfuhren, einzelne Bilder gar in Gedichten verewigt wurden; ein Verzeichnis der in den Salons der Zeit ausstellenden Miniaturisten ist dem Beitrag angefügt.

Der zweite Höhepunkt des Bandes ist der Aufsatz von Schmieglitz-Otten über "Mode der Revolutionszeit". Hier erfährt der Leser zunächst das Wesentliche über Kleidung und Accessoires, welche die Dargestellten in den Miniaturen tragen, sowie über den Wandel der Mode vom Ancien Régime hin zu einer bürgerlichen Gesellschaft. Die eigentliche Bedeutung des Beitrages ist jedoch die Charakterisierung dieser Entwicklung als Symptom und Symbol des gesellschaftspolitischen Umbruchs, denn "auch für die Geschichte der Mode [ist] die Französische Revolution nicht Ursache, sondern Katalysator der neuen Modeentwicklung" (32). Minuziös zeichnet die Autorin die sich in der zweiten Jahrhunderthälfte als Antipoden entwickelnden Modeströmungen in Frankreich und England nach und ordnet diese vor dem Hintergrund zweier unterschiedlicher politischer Systeme ein; ebenso umfassend skizziert sie den Einfluss der Mode à la grecque seit den 1760er-Jahren, in welcher sich eine Sehnsucht nach Natürlichkeit und Empfindsamkeit spiegelt. Vereinfachung in Material und Schnitt, Geometrisierung, Verlust der Farbigkeit und Aspekte der Praktikabilität werden schon vor 1789 zu neuen Faktoren in modischen Fragen. Mit Ausbruch der Revolution erhalten diese Punkte bald eine politische Dimension, die nicht nur die "Sansculotten-Tracht" betrifft - so war das Mitführen einer roten, "phrygischen" Mütze als Zeichen revolutionärer Gesinnung zeitweise angebracht (43), konnte andererseits das Tragen von Kniebundhosen und Perücke als Ausdruck konterrevolutionärer Einstellung gedeutet werden. Spannend umreißt die Autorin den Versuch der Volksvertretung, eine "Nationaltracht" durchzusetzen, zu der David Entwürfe vorgelegt hat. Doch die Ablösung des reglementierten höfischen Modediktats durch eine anders gelagerte neue "Standeskleidung" konnte nicht gelingen; vielmehr setzte sich in diesen Jahren die Bedeutung der Mode als Ausdruck des Individuums endgültig durch - Stutzertum und Jugendwahn sind dabei Kehrseiten, die bis heute virulent geblieben sind.

Der hier vorgelegte Katalog leistet Beindruckendes. Pappe stellt zu Recht fest, "Publikationen, deren Hauptinteresse der Bildnisminiatur aus der Revolutionszeit gilt, gab es bislang nicht. Die Auswahl von Werken aus dieser Zeit eröffnet erstmals eine detaillierte Übersicht" (11). Kleinigkeiten könnte man anmerken; so hätte sich der Leser bisweilen häufiger Querverweise zwischen einzelnen Aspekten des in den Aufsätzen Diskutierten und den Katalognummern gewünscht. Auch wendet sich der Überblick über die Französische Revolution eher an den interessierten Laien, der jedoch ebenfalls zur antizipierten Leserschaft zu zählen ist. Ohne Zweifel aber ist hier ein künftiges Standardwerk zur Bildnisminiatur der Revolutionszeit vorgelegt worden. Zu unterstreichen ist schließlich die Initiative des Sammlerpaares Tansey, das nicht nur die Exponate der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, sondern auch deren Präsentation im Museum sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung finanziell unterstützt hat und unterstützt.


Anmerkungen:

[1] Stiftung der Miniaturensammlung Tansey im Bomann-Museum Celle (Hg.): Miniaturen aus der Sammlung Tansey. Bearbeitet von Bernd Pappe, Juliane Schmieglitz-Otten und Dietrun Otten. München 2000; Stiftung der Miniaturensammlung Tansey im Bomann-Museum Celle (Hg.): Miniaturen des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung Tansey. Bearbeitet von Bernd Pappe, Juliane Schmieglitz-Otten und Dietrun Otten. München 2002; vgl. meine Besprechung in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 2, URL: http://www.sehepunkte.de/2003/02/3023.html.

[2] Leo Schidlof: La miniature en Europe, 4 Bde. Graz 1994.

Ekaterini Kepetzis