Rezension über:

Viktoria von der Brüggen: Zwischen Ölskizze und Bild. Untersuchungen zu Werken von John Constable, Eugène Delacroix und Adolph Menzel (= Ars Faciendi. Beiträge und Studien zur Kunstgeschichte; Bd. 12), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, 226 S., 24 Abb., ISBN 978-3-631-50207-5, EUR 42,50
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Rezension von:
Albrecht Pohlmann
Stiftung Moritzburg - Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, Halle/S.
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Albrecht Pohlmann: Rezension von: Viktoria von der Brüggen: Zwischen Ölskizze und Bild. Untersuchungen zu Werken von John Constable, Eugène Delacroix und Adolph Menzel, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/8024.html


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Viktoria von der Brüggen: Zwischen Ölskizze und Bild

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Ölskizze und sichtbarer Pinselstrich sind in den letzten Jahren wieder stärker in den kunsthistorischen Fokus gelangt, wenngleich das 19. Jahrhundert hierbei eher in Ausstellungen, als in eingehenden Untersuchungen Beachtung gefunden hat.

Viktoria von der Brüggens Arbeit widmet sich drei Künstlern, deren Praxis der Ölskizze letztlich den Weg zu einer Verschmelzung von skizzenhafter Malweise mit dem Anspruch eines vollendeten Gemäldes bahnte, wie sie nachmals im Impressionismus manifest wurde.

Die Autorin geht hierbei umsichtig zu Werke: einem Überblick des Forschungsstandes folgt die Darstellung der bisher üblichen - etwa von Rudolf Wittkower eingeführten - Einteilungskriterien der Ölskizzen in ihrer "überraschenden formalen Bandbreite - von zeichnungshafter, kurzer Notiz bis zur detaillierten, beinahe bildhaften Ausführung" (21). Daraus geht eine Entwicklungsgeschichte der Ölskizze hervor, die folgerichtig zur Pleinairskizze führt - eine erst bedingt autonome Bildgattung an der Schwelle zum autonomen, "skizzenhaft" gemalten Bild.

Ihrer Aufgabe gerecht, "die unterschiedlichen Verbindungen zwischen Ölskizze und Bild [...] aufzuzeigen" (31), untersucht von der Brüggen exemplarische Arbeiten von Constable, Delacroix und Menzel.

Zu diesen drei Künstlern existieren bis heute erstaunlich wenige kunsttechnologische Arbeiten. Die umfangreichsten und substanziellsten stammen aus England, wo von Sarah Cove das Constable Project betrieben wird. Untersuchungen zu Delacroix und Menzel widmen sich hingegen maltechnischen Selbstzeugnissen oder einzelnen Bildern. Es ist der Autorin hoch anzurechnen, dass sie - entgegen einer immer noch gängigen kunsthistorischen Praxis - diese kunsttechnologischen bzw. restauratorischen Erträge für ihre Arbeit herangezogen hat.

Dennoch tut sich genau an dieser Stelle eine Kluft auf. Kunsttechnologische Untersuchungen beschränken sich meist auf positivistische Faktenerhebung und möchten die weiterführenden Schlussfolgerungen den Kunsthistorikern überlassen. Diese wissen aber oft den - naturwissenschaftlich fundierten - Detailreichtum nicht zu interpretieren, wodurch eine Lücke zwischen den Forschungsergebnissen entsteht. Der Leser erfährt trotz Sarah Coves ausführlicher Untersuchungen - und trotz zahlreicher Belege in Constables Selbstzeugnissen - wenig über die materiell-technische Seite seiner künstlerischen Praxis. So stellt Cove in einer späteren Arbeit [1] dar, inwieweit Auswahl und Modifizerung der Bindemittel für das Zustandekommen der Constableschen Ölskizzen wesentlich waren - etwa, um im Freien rascher arbeiten oder die Struktur des Pinselstrichs besser hervorheben zu können. Es wäre dies auch die Stelle gewesen, um die stereotype Technikbezeichnung "Öl auf ... " zu modifizieren - so bliebe die Verwendung des weniger gilbenden Mohnöls anstelle von Leinöl (wie sie bisher vor allem für Barbizon und die Impressionisten bekannt war) bei Constable zu würdigen, wie auch die Manipulationen durch Zusätze von Wachs, Ei, Harz sowie durch das Erhitzen des Öls, um seine Trocknungszeit zu verkürzen.

Bemerkenswert sind die sehr ausführlichen Bildanalysen, so von Constables "Weymouth Bay" (64-70). Mit Recht wird hier auf die Rolle der warmtonigen (nach vorn drängenden) Imprimitur (hier durchgängig in der älteren Bezeichnung "Imprimatur") verwiesen, die in vielen Skizzen stehen bleibt oder hindurchscheint und im Falle der Wolken des genannten Bildes im dynamischen Kontrast zur kühlen (nach hinten drängenden) Übermalung für Plastizität und räumliche Tiefe sorgt, was der Autorin entgeht (67).

Bei Delacroix und Menzel erweist es sich, dass die Skizzenhaftigkeit nie so weit geht, auf eine Untermalung zu verzichten. Die Ausführungen zur ébauche, der - meist monochromen - ersten Anlage des Bildes, sind in diesem Zusammenhang erhellend. Anders als in der akademischen Malerei, wo die ébauche im Ausführungsgrad dem fertigen Bild schon sehr nahe kommt, war sie für Delacroix "integrativer Bestandteil des endgültigen Bildes, ihr abstrakter, offener Charakter sollte die Wirkung [...] entscheidend mitbestimmen" (88) - was schließlich zur "Synthese von ébauche und Bild" führt, wie die Autorin ein Unterkapitel überschreibt (105-108). Zur Differenzierung von gezeichneter Skizze und "Klecksbild" zitiert sie aus Alexander Cozens Malereitraktat (1785): "'To sketch is to delineate ideas; blotting suggests them' [...] Wie der Klecks gewährte die ébauche der Imagination auf Grund der vagen Form eine große Freiheit." (108) - Tatsächlich vergrößert die Trennung in zwei diskrete Arbeitsphasen, die sich in den Schichten von ébauche und Übermalung manifestieren, den gestalterischen Spielraum. Die wachsende Bedeutung der ébauche wird ein Maß für die Freiheit von zeitgenössischen Seh- und Darstellungsusancen, die sich im Werk Adolph Menzels - der Arbeiten Constables kannte - noch einmal gesteigert findet.

Gerade bei Menzel muss man dann wohl von einer planvollen Improvisation sprechen - nur scheinbar ein Paradoxon, denn die Zweischichtigkeit ist wohl überlegt. Die Funktion der ébauche übernimmt hier eine pinselstriemige Untermalung, die offensichtlich relativ rasch erfolgt und dem Zufall viel Raum überlässt. Die deckende bis halb-lasierende Übermalung schafft dann Tiefe und Plastizität. Die grob hingebürstete Untermalung ist dabei mitunter der streifigen Imprimitur bei Rubens vergleichbar, die in weiten Partien unter den Lasuren sichtbar bleibt - sehr schön sichtbar in den Berliner Hinterhäusern im Schnee von 1847/48 (149). In dieser, stärker noch in anderen Ölskizzen erscheinen bei Menzel immer wieder Bildbereiche, in der die grobe Untermalung mit ihren Zufälligkeiten stehen bleibt - exemplarisch im Hintergrund der Ölskizze Hinterhaus und Hof (1844), die die Autorin lediglich erwähnt. Dem Zufall werden hier erstaunlich große Residuen eingeräumt, die für eine mitunter unversöhnliche Disparatheit des Bildeindrucks sorgen. Arbeiten derart experimentellen Charakters zeigen den Künstler als freien Geist, den Konventionen kaum noch einzuengen vermögen. Das Offene, mitunter Abgründige, welches die frühen Ölskizzen nackt präsentieren, schärft erst den Blick die späteren Arbeiten, in denen sich verwandte, aber stärker integrierte Partien finden.

Mit den meisten Untersuchungen zur Ölskizze teilt die Arbeit ein Benennungsproblem: gerade ihr deutlichstes Charakteristikum ist am schwersten begrifflich zu fassen. Die Pinselführung erfährt mit "Pinselduktus" (44) oder "Pinselschrift" (161) zwar abwechslungsreiche, aber in der Bedeutung kaum zu unterscheidende Kennzeichnung - die Gefahr, dass jeder etwas anderes darunter versteht, ist groß. Ganz zu schweigen von Differenzierung zwischen verschiedenen Arten des Pinselstrichs: Form, Breite und Struktur könnten hierbei erste Anhaltspunkte sein; Kreuzungspunkte etwas über die Abfolge der Arbeitsschritte aussagen. Nur wenig Fortsetzung hat bis jetzt die noch immer vorbildliche Methode von Leif Einar und Unn Plather gefunden, lediglich durch genaue Beobachtung der Überlappungen von Schichten und Pinselstrichen den Arbeitsprozess zu rekonstruieren. [2]

Der Abbildungsteil des Buches berührt ein Problem, was nicht der Autorin angelastet werden kann, da es für derartige Buchausgaben von Dissertationen notorisch ist: schlechte, grob gerasterte Schwarzweißabbildungen sollen als Anschauungsmaterial dienen, um detaillierte Bildanalysen nachzuvollziehen. Wer dies ernst nimmt, muss sich zusätzlich bessere Abbildungen verschaffen - andernfalls bleibt das Buch nur eingeschränkt verständlich. So ist etwa Constables "Branch Hill Pond, Hampstead Heath" (Abb. 8) nicht einmal annähernd in seinen Tonwerten wiedergegeben, durch zu starke Aufhellung verschwindet ein Großteil der Wolken, von denen die Autorin ausführlich spricht (71). Resultat einer verlegerischen Praxis, die die Druckvorlagenerstellung meist komplett dem Autor überlässt, der nicht selten auch noch die Druckkosten trägt.


Anmerkungen:

[1] Cove, Sarah: Mixing and mingling: John Constable's oil paint mediums c. 1802-1837, including the analysis of the 'Manton' paint box, in: Roy Ashok und Perry Smith (Hg.), Painting Techniques: History, Materials and Studio Practice. Contributions to the Dublin Congress 7-11 September 1998, London IIC 1998, 211-216.

[2] Plather, Unn / Einar, Leif: Die Ölstudien Johan Christian Dahls auf Papier - eine technische Untersuchung, in: Althöfer, Heinz (Hg.), Das 19. Jahrhundert und die Restaurierung, München 1987, 143-163.

Albrecht Pohlmann