Rezension über:

Jakob Hort: Bismarck in München. Formen und Funktionen der Bismarckrezeption (1885-1934) (= Münchner Studien zur neueren und neuesten Geschichte; Bd. 24), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, 220 S., ISBN 978-3-631-52252-3, EUR 39,00
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Rezension von:
Matthias Stickler
Institut für Geschichte, Bayerische Julius-Maximilians-Universität, Würzburg
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Stickler: Rezension von: Jakob Hort: Bismarck in München. Formen und Funktionen der Bismarckrezeption (1885-1934), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 12 [15.12.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/12/7163.html


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Jakob Hort: Bismarck in München

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Heutigen, v. a. jungen Deutschen ist kaum noch bewusst, welche enorme identitätsstiftende Bedeutung der Bismarckkult für das deutsche Nationalbewusstsein noch bis in die frühe Bundesrepublik hinein hatte. Wie nüchtern auch das wieder vereinigte Deutschland in dieser Hinsicht ist, zeigte nicht zuletzt der 100. Jahrestag von Bismarcks Tod im Jahr 1998, der bemerkenswert unspektakulär begangen wurde - obschon damals noch der promovierte Historiker Helmut Kohl Bundeskanzler war. Bayern stellte im Umgang mit dem Erbe Bismarcks stets einen besonders interessanten Fall dar, weil die Reichsgründung angesichts der im 19. Jahrhundert entstandenen, weite Kreise der Bevölkerung erfassenden neubayerischen Staatstradition keineswegs auf ungeteilten Beifall stieß, Bismarck vielmehr auch als Totengräber der bayerischen Eigenstaatlichkeit gedeutet werden konnte.

Jakob Hort hat es in seiner bei Wolfram Siemann (München) angefertigten, preisgekrönten Magisterarbeit unternommen, den bisher vergleichsweise wenig untersuchten Aspekt der Bismarckrezeption in Bayern zwischen 1885 und 1934 am Beispiel der Landeshauptstadt zu analysieren. Dabei nimmt er zum einen Bismarckehrungen und Huldigungen zu Lebzeiten des "Eisernen Kanzlers" in den Blick, zum anderen Trauer- und Gedächtnisfeiern und drittens die Bismarckdenkmäler am Starnberger See und in München. Horts Studie zeigt, dass der seit den 1880er-Jahren entstehende Bismarckkult immer mehr zu einer tendenziell alle Bevölkerungsschichten und politischen Lager erfassenden Bewegung wurde. Ihr konnten sich zuletzt auch der - infolge von kleindeutscher Reichsgründung, Kulturkampf und Sozialistengesetze traditionell bismarckkritische - politische Katholizismus und die Sozialdemokratie nicht oder nur schwer entziehen.

Die Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag Bismarcks (1885) auf dem Königsplatz dominierten noch eindeutig bürgerliche Honoratioren vornehmlich liberaler bzw. nationalliberaler Provenienz sowie an den Hochschulen die studentischen Corps, Burschenschaften und Landsmannschaften; das katholisch-konservative Bürgertum und das katholische Verbindungswesen standen demgegenüber abseits. Ähnlich verhielt es sich 1892 bei Bismarcks Besuch in München. Als neuer Aspekt kam damals noch das Zerwürfnis zwischen dem 1890 entlassenen Reichskanzler und Kaiser Wilhelm II. hinzu, vor dessen Hintergrund der Jubel über den Gast als Kritik am "Neuen Kurs" aufgefasst werden konnte. Die Polarisierung zwischen dem kleindeutsch-reichspatriotisch gesinnten liberalen Establishment und dem abseits stehenden Zentrum bzw. der Sozialdemokratie wiederholte sich anlässlich der Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag Bismarcks. Aus diesem Anlass verlieh die Stadt dem Reichsgründer die Ehrenbürgerwürde, wobei in Magistrat und Gemeindebevollmächtigtenkollegium die Sozialdemokratie und Teile des Zentrums den Beschluss nicht mit trugen.

Das gespaltene Abstimmungsverhalten des Zentrums war Symptom eines allmählichen Wandels, der nach dem Tod Bismarcks immer deutlicher wurde. Jetzt setzte auch in München ein im ganzen Reich zu beobachtender Prozess ein: Die Bismarck-Verehrung löste sich immer mehr vom historischen Reichskanzler, und dieser avancierte zu einer Art säkularer Erlösergestalt im Dienste nationaler Identitätsstiftung. In Bayern speiste sich, wie Hort zutreffend herausarbeitet, der Bismarckkult offensichtlicher als in anderen Teilen des Reiches aus einer deutlich erkennbaren Opposition zu den unitarischen, auf die Schaffung einer wilhelminischen Reichsmonarchie abzielenden Tendenzen Kaiser Wilhelms II. Bismarck erschien hierbei als Garant der Wahrung der föderativen Verfasstheit des Deutschen Reiches und damit der Eigenstaatlichkeit Bayerns; eine Perspektive, die sich auch und vor allem das bayerische Zentrum zu Eigen machen konnte. Überaus deutlich wird dieser Prozess der nachträglichen Aussöhnung des katholischen Konservatismus mit Bismarck vor allem bei dem Projekt der Errichtung des Bismarckturms am Starnberger See.

Conrad Graf von Preysing, ein enger Freund des Prinzregenten Luitpold und Exponent des altkonservativen Flügels des bayerischen Zentrums, hatte noch 1895 scharf gegen derartige Pläne protestiert und davor gewarnt, dass der Standort als Provokation im Hinblick auf das Andenken des nur neun Jahre zuvor im Starnberger See ertrunkenen Königs Ludwigs II. empfunden werden müsse. Diese Haltung änderte sich in den folgenden Jahren, wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil der Prinzregent höchstselbst das Projekt unterstützte. So nahmen etwa bei der Einweihung des Turmes 1899 offizielle Vertreter des Münchener CV (Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen) teil, die weltanschaulich und politisch dem bayerischen Zentrum eng verbunden waren. Wie rasch das Denkmal gerade auch bei der ortsansässigen katholisch-konservativen Bevölkerung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der mit dem einsetzenden Tourismus verbundenen wirtschaftlichen Vorteile, angenommen wurde, zeigt anschaulich die von Hort zitierte Äußerung eines Bauern: "Ja, dös is was g'waltig Schöns, was do her baut hab'n. Unsere Anwesen sind a scho mehra werth, seit der Thurm do steht. Mir verdiena jetzt leichter vier Mark, als vor Sechsasechzge an Gulden. Uns soll Oaner kimma und über'n Bismarck schimpfa, der werd schö zuadeckt." (155).

Während insofern die Integration des Münchner katholischen Konservativismus in den neuen Nationalkult gelang, blieb das Verhältnis der Sozialdemokratie zur Bismarckverehrung schwierig. Dies nicht zuletzt deshalb, weil schon seit dem späten 19. Jahrhundert - analog zu entsprechenden Entwicklungen in anderen Teilen des Reichs - die antisemitisch-völkische Bewegung immer mehr Besitz von ihr ergriff. Die frühen 1920er-Jahre waren vor diesem Hintergrund von vergeblichen Bemühungen der Münchener SPD gekennzeichnet, mit der Tradition der Bismarck-Feiern zu brechen. Dies misslang auch deshalb, weil die Regierung Held (BVP) den Mythos Bismarck im Sinne einer Reföderalisierung des Reiches zu instrumentalisieren suchte. Die Zeit seiner Kanzlerschaft erschien nun als Blütezeit bayerischer Eigenstaatlichkeit, die es wiederherzustellen gelte.

Im letzten Kapitel der überaus gelungenen Studie beschreibt Hort das umstrittene Projekt der Errichtung eines repräsentativen Bismarck-Denkmals in München nach dem Vorbild des "Hamburger Roland". Dass das Vorhaben in dieser Form scheiterte - die Einweihung des schon von den Zeitgenossen als künstlerisch misslungen eingeschätzten Monuments fand 1931 als Privatveranstaltung in einer Nacht- und Nebelaktion statt -, macht deutlich, wie sehr der Bismarckkult in der Weimarer Republik seinen Zenit bereits überschritten hatte. Und dass die Nationalsozialisten das Denkmal 1934 an einen anderen Standort verlegten, kam einer Entsorgung nahe und fügt sich in die 1933 einsetzende, nahezu vollständige Absorption des Bismarckkults durch den nationalsozialistischen Hitlerkult. Dieser ließ den "Eisernen Kanzler" für die neuen Machthaber zunehmend entbehrlich werden.

Matthias Stickler