Rezension über:

Raingard Eßer: Die Tudors und die Stuarts 1485-1714, Stuttgart: W. Kohlhammer 2004, 255 S., ISBN 978-3-17-015483-4, EUR 18,00
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Jürgen Klein: Elisabeth I. und ihre Zeit (= Beck'sche Reihe; 1586), München: C.H.Beck 2004, 200 S., ISBN 978-3-406-50841-7, EUR 12,90
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Rezension von:
Beat Kuemin
Department of History, University of Warwick
Redaktionelle Betreuung:
Ute Lotz-Heumann
Empfohlene Zitierweise:
Beat Kuemin: Die Entwicklung Großbritanniens in der Frühen Neuzeit (Rezension), in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2 [15.02.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/02/5551.html


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Die Entwicklung Großbritanniens in der Frühen Neuzeit

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Wer über englische Geschichte auf Deutsch publiziert, darf jenseits des Kanals keine große Wirkung erwarten - fremdsprachige Titel werden dort kaum zur Kenntnis genommen, geschweige denn in der akademischen Lehre verwendet. Raingard Eßer und Jürgen Klein bezwecken daher, ein deutschsprachiges Publikum mit der dynamischen Entwicklung Großbritanniens in der frühen Neuzeit vertraut zu machen. Beide stellen Politik und Herrscherfiguren in den Vordergrund, streben also nicht eine umfassende, auch Wirtschaft, Gesellschaft und Religion im Detail erfassende Darstellung an. [1] Trotz dieser gemeinsamen Ausgangsposition handelt es sich aber in Ton und Schwerpunktsetzung um ganz unterschiedliche Werke.

Jürgen Klein wählt einen klassisch-biografischen Ansatz. Zusammen mit ihrem Vater, Heinrich VIII. gehört Elisabeth I. zu den "A-list celebrities" der englischen Geschichte, die eine ungebrochene Faszination auf die Öffentlichkeit ausüben und in wissenschaftlichen wie populären Darstellungen immer wieder neu ergründet bzw. erfunden werden. [2] Im Klappentext heißt es, die Virgin Queen habe "die Geschicke Englands in der Renaissance und das Selbstbewusstsein ihrer Nation geprägt". Und weiter: "In einer patriarchalischen Epoche hat sie als einzige Frau in Europa Weltpolitik gemacht. Unter Elisabeth I. erlebte England nicht nur einen machtpolitischen Aufschwung, sondern auch eine Blüte der Wissenschaften und mit Shakespeare einen unglaublichen Aufstieg der englischen Dichtung in den Rang der Weltliteratur." Genau diese Themen stehen im Buch im Vordergrund. Geboten wird die Erfolgsgeschichte einer erwachenden Nation, eine Detailanalyse innen- wie außenpolitischer Leitlinien (besonders der Machtkampf mit Spanien und das Verhältnis zur schottischen Rivalin Maria Stuart) und ein Überblick über die Leistungen der englischen (Hoch-)Kultur, nicht zuletzt auch die Inszenierung der Königin selbst. Dies geschieht in sehr kompetenter, wenn auch teilweise apodiktischer Weise. Klein scheut sich nicht, klare Verdikte zu fällen und eindeutige Tendenzen zu erkennen. England erscheint als "modernes" Staatsgebilde (10), worin die Religion "längst nicht mehr im Zentrum des Interesses" stand (73) und die öffentliche Ordnung utilitaristisch legitimiert wurde (121). Passt das aber wirklich auf die erbitterten kirchlichen Auseinandersetzungen, die wenige Jahre später mit zu den Auslösern des Bürgerkrieges gehörten? Darf man von einer "integrierten Gesellschaft, deren Lebenssituation günstig erschien" sprechen (136), wenn breite Bevölkerungsschichten in den 1590er Jahren wegen Missernten und Armut in eine existenzielle Krise gerieten? Im Lichte der jüngeren angelsächsischen Forschung erscheint das Podest, auf das die Königin hier gestellt wird, generell etwas überproportioniert. Nicht nur vor dem Hintergrund ihrer schon oft konstatierten Entscheidungsschwäche oder problematischer Aspekte wie der Katholikenverfolgung, sondern weil England im späten 16. Jahrhundert politisch ein vielschichtiges Gebilde war, das von oben nur teilweise steuerbar war. Wir haben es - so Patrick Collinson in seiner umfassenden Würdigung - mit einer "monarchical republic" zu tun: "Elizabeth's subjects were also citizens of a commonwealth, ultra-conscious in the unstable and dangerous conditions of the time, the second phase of the Reformation, an age of religious wars and assassinations, that they were as much responsible for the safety of the state as their unmarried and heirless monarch." [3] Klein lässt diese Dimensionen in einer knappen Übersicht über "Gesellschaftliche und politische Grundlagen der Herrschaft" (Kapitel 3) zwar anklingen, die Gesamtinterpretation des Zeitalters scheinen sie jedoch kaum zu beeinflussen.

Raingard Eßer nimmt mit den Tudors und Stuarts einen längeren Zeitraum in den Blick. Auch sie setzt sich zum Ziel, allgemeine Geschichte aus der Perspektive der monarchischen Spitze zu schreiben. Dies überzeugt, weil die beiden Dynastien als Bindeglied zwischen den hier parallel verfolgten Entwicklungen in England, Schottland und Irland dienen können. Mit sicherer Hand führt die an der University of the West of England in Bristol lehrende Autorin den Leser in chronologischer Folge durch das Dickicht der religiösen und politischen Konflikte (immer wieder geht es um die Abwehr absolutistischer Herrschaftstendenzen und katholischer Emanzipationsbestrebungen) bis zum endgültigen Triumph des Parlamentes im Anschluss an die Glorreiche Revolution. Im frühen 18. Jahrhundert dachte die letzte Stuart-Königin Anna gar nicht mehr daran, den Einfluss des Parlaments und das sich abzeichnende Parteiensystem einzudämmen, vielmehr gab sie "ambitionierten Männern aus dem Adel und der Wirtschaft Handlungsspielräume zum weiteren Ausbau ihrer politischen und ökonomischen Macht" (201). Die hochkomplexe Forschungslage wird jeweils - wenn auch sehr knapp - skizziert und mit eigenen Wertungen zusammengefasst. Die Regierungszeit von Elisabeth I. erscheint differenziert als "Erfolgsstory", an der "allerdings nicht alle Untertanen im Lande" partizipierten (90). "Die Schuld am Versagen der Stuartmonarchie", heißt es sodann mit Blick auf die Ursachen der Revolution von 1649, "muss in der Tat zu einem großen Teil Karls [I.] Regierungsstil zugeschrieben werden" (135). Karten, eine Zeittafel und Register erleichtern die gezielte Benutzung des Bandes, nur eine abschließende Rekapitulation und Würdigung hätte man sich noch gewünscht.

Vergleicht man die beiden Darstellungen, so liefern die Titelbilder erste Anhaltspunkte: Bei Klein ist es eine machtbewusste Monarchin in farbenfroher Pracht, bei Eßer finden wir Elisabeth I. und Jakob I. in nüchterner, ja schon fast resignierender Stimmung. Inhaltlich erschließt Klein das kulturgeschichtliche Profil eines Zeitalters aus den Leistungen herausragender Persönlichkeiten, allen voran der Englands Aufstieg personifizierenden Gloriana, Eßer thematisiert dagegen die strukturelle Einbettung und graduelle politische Entmachtung der Krone. Beide lokalisieren in ihren Untersuchungsperioden zentrale Weichenstellungen für das moderne England (starkes Parlament, religiöser Pluralismus, globale Handelsaktivitäten), und beide betonen die fortwährende Relevanz "klassischer" politischer Geschichte aus der Sicht "von ganz oben". "Elisabeth I. und ihre Zeit" dürfte vor allem bei einem breiteren, belletristisch interessierten Publikum gut ankommen, "Die Tudors und die Stuarts" eignet sich hervorragend für Fachhistoriker und universitäre Einführungsveranstaltungen zur Geschichte der Frühen Neuzeit.


Anmerkungen:

[1] Eine stärker sozioökonomisch und religiös fundierte Handbuchdarstellung bietet Kaspar von Greyerz: England im Jahrhundert der Revolutionen 1603-1714. Stuttgart 1994. Das Standardwerk zur englischen Gesellschaftsgeschichte bleibt Keith Wrightson: English Society 1580-1680, 2. Aufl., London 2004.

[2] Aus literarischer Perspektive zuletzt Cornelia Wusowski: Elisabeth I.: Der Roman ihres Lebens, München 2004.

[3] Patrick Collinson: Elizabeth I (1533-1603), in: H. C. G. Matthew / Brian Harrison (Hg.), Oxford Dictionary of National Biography, Oxford 2004 [http://www.oxforddnb.com/view/article/8636, besucht am 23. Dezember 2005]. Es handelt sich um den längsten von insgesamt über 50.000 Einträgen in der Neuauflage dieses Standardwerkes.

Beat Kuemin