Rezension über:

Fik Meijer: Gladiatoren. Das Spiel um Leben und Tod. Aus dem Niederländischen von Wolfgang Himmelberg, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2004, 228 S., 10 Abb., ISBN 978-3-7608-2303-4, 19,90
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Stefan Schrumpf
Seminar für Alte Geschichte mit Papyrusabteilung, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Schrumpf: Rezension von: Fik Meijer: Gladiatoren. Das Spiel um Leben und Tod. Aus dem Niederländischen von Wolfgang Himmelberg, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2 [15.02.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/02/9560.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Fik Meijer: Gladiatoren

Textgröße: A A A

Gladiatoren faszinierten bereits in der Antike die Massen. Vieles von dieser Faszination hat sich bis heute erhalten. Die Aura von Todesnähe und blutverschmierten Waffen, die inhärent mit den Kämpfern verbundene Brutalität und die schwüle Erotik verschwitzter und spärlich bekleideter muskulöser Leiber, all dies vermag auch die Menschen der Gegenwart zu fesseln, wie sich an der hohen Zahl von Adaptionen dieser Thematik in Film, Fernsehen und Büchermarkt ablesen lässt. Der Gladiator gehört zu den Segmenten der Althistorie, die ein hohes Interesse in der Allgemeinheit garantieren.

Ein gesteigertes öffentliches Interesse verlangt eine populäre Aufbereitung der Materie - der interessierte, aber selten fachlich vorgebildete Leser will nicht mit trockener Wissenschaft gelangweilt, sondern auf möglichst unterhaltsame Weise informiert werden. Das ist nachvollziehbar, und umso begrüßenswerter ist es, wenn diese Aufgabe ausgewiesenen Fachleuten zufällt, als dass, wie so oft, fachfremde Vielschreiber oberflächlich angelesene Plattitüden von sich geben. Eine Synthese aus Wissenschaftlichkeit und verständlicher Darstellung für ein breites Publikum herzustellen, weist nichtsdestotrotz eine ganz eigene Problematik auf. Der Grat zwischen notwendigerweise weitgehend summarischer Beschreibung und banaler Wiederholung längst bekannter Allgemeinplätze ist schmal, erst recht der zwischen notwendiger Verkürzung und einer die Realität entstellenden Vereinfachung.

Der Amsterdamer Althistoriker Fik Meijer konnte mit seinem gleichfalls populärwissenschaftlichen Vorgängerbuch "Kaiser sterben nicht im Bett" (2003) zeigen, dass dieser Spagat zu bewältigen ist. Dieses Kompliment gilt für die vorliegende Abhandlung nicht.

An der Zielgruppe jedenfalls lassen bereits weder Titelbild (Gêromes unvermeidliches "Pollice verso"; in der Neuauflage durch ein ungleich blutigeres Filmfoto ersetzt), noch Klappentext (mit deutlichem Verweis auf eine Darstellung des gladiatorischen Liebeslebens, die realiter knappe 5 der insgesamt 228 Seiten füllt) irgendeinen Zweifel: Das verbreitete Interesse an 'Sex und Gewalt' soll zumindest latent angesprochen werden - obgleich Meijer dies in seiner Einleitung kritisiert und sich mit seinen wertenden Aussagen etwa zum Boxsport oder zur Gerichtsbarkeit fremder, d. h. "weniger zivilisierter" (13) Kulturen am Rande der Sachlichkeit bewegt.

Gut und durchdacht ist die Systematik des Buches. Nach einführenden Worten (9-19) folgen meist in Unterkapitel aufgeteilte Abschnitte. Zunächst sind dies ein historischer Abriss zu Ursprung und Entwicklung der Gladiatorenspiele bis zum Bau des Kolosseums (20-41) sowie eine Erläuterung der Lebensumstände von Gladiatoren außerhalb der Arena, ihres Trainings, der armaturae usw. (42-86). Im Mittelpunkt des Buches aber steht das Kolosseum. Meijer bietet zunächst Allgemeines zur Architektur dieses und vergleichbarer Bauten, wie auch zum symbolischen Gehalt (87-105). Im Anschluss zeichnet er den Ablauf eines fiktiven Veranstaltungstages im Kolosseum nach, der morgens mit venationes begann, mittags Hinrichtungen bot, bis am Nachmittag die eigentlichen Stars, die Gladiatoren, die Arena betraten (116-149) - unterbrochen von einem Exkurs über die logistischen Schwierigkeiten, die aus dem enormen Bedarf an exotischen Tieren erwuchsen (106-115).

Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit dem außergewöhnlichen Spektakel der Naumachien (150-156), der Entsorgung von Leichen und Kadavern nach der Vorstellung (157-165), dem Ende der Gladiatorenspiele (166-177) sowie dem Schicksal des Kolosseums nach dem Fall des Römischen Reiches (178-187). Ein Nachtrag über die Darstellung von Gladiatoren im Medium Film (188-198), ein Epilog (199-202), ergänzt durch ein knappes Glossar, sparsame Literaturhinweise, eine Zeittafel sowie eine Liste bedeutender Amphitheater runden das Werk ab.

Insgesamt bietet sich dem schnellen Leser das Bild einer leicht verdaulichen, gleichwohl detailreichen Abhandlung. Genaueres Hinsehen trübt den anfänglich positiven Eindruck allerdings mehr und mehr. So ist die Schreibweise zwar flüssig, überschreitet aber immer wieder die Grenze zum Saloppen. Mag man das Faktum, dass es "Messalina mit vielen Männern trieb" (71) auch ebenso wenig anzweifeln, wie den Umstand, dass Rekruten einer Gladiatorenkaserne zu "Kampfmaschinen geschunden" wurden (56), die sprachliche Gestaltung bliebe zu überdenken. Ebenfalls Geschmackssache bleibt, ob man die Märtyrerakten, die aus ideologischen Gründen kein grausames Detail öffentlicher Hinrichtungen ausließen, als "einfühlsame Zeugnisse" beschreiben muss (128).

Manche Formulierungsweisen verdunkeln geradezu den Sinn der Aussage. Wenn Meijer etwa das Deponieren von Leichen an abgelegenen Orten beschreibt (was im Übrigen für das kaiserzeitliche Rom sicher ausgeschlossen werden kann), und diese abgelegenen Orte ausdrücklich in "Nähe der Hauptstraßen" vermutet (158), so ergibt sich ein Widerspruch. Ebenso ist der Laco Fucino, Schauplatz der gigantischen Naumachie des Claudius, sicher nicht unter die "eigens für den Zweck dieser Spektakel angelegten" Gewässer zu subsumieren (153) - und der Sinn der Erklärung, Schwerter hätten gegenüber Speeren den Vorteil "deutlich erkennbar" zu sein (81) erschloss sich zumindest dem Rezensenten nicht. Unklar bleibt allerdings, welches Maß an Verantwortlichkeit an diesen (und weiteren, hier nicht aufgeführten) Schwierigkeiten überhaupt beim Autor liegt und nicht eher einer unaufmerksamen Übersetzung anzulasten ist.

Anderes bleibt eine Frage der Interpretation. Ob umherfliegende Schwerter resignierender Kämpfer tatsächlich eine reale Gefahr für Besucher von Amphitheatern waren (96), mag dahingestellt bleiben, die Vermutung aber, "Gladiatorenspiele waren auch deshalb so populär, weil man für die Sicherheit der Zuschauer sorgte" (ebd.), ist angesichts verheerender Tribüneneinstürze (Fidenae 27 n. Chr.) und gewalttätiger Ausschreitungen unter den Zuschauern (Pompeii 59 n. Chr.) sicher gewagt.

Nicht zu erklären sind dagegen faktische Ungenauigkeiten. Die Äußerungen Senecas (gestorben 65 n. Chr.) zu den mittäglichen Metzeleien im Zirkus (epist. mor. 7,1-6) als "Kolosseumsbriefe" zu bezeichnen (202), ist ein glatter Anachronismus. Ebenso erlangte kein Gladiator mit Absolvieren seines ersten Kampfes gleich den Rang eines veteranus (56), sondern musste sich zunächst mit dem des spectatus begnügen (vgl. CIL 06,00631). Zudem sind die gelegentlichen Berichte von Selbstmorden als Beleg für die harten Lebensbedingungen der Gladiatoren (59) ungeeignet: Schon Friedländer erkannte, dass es sich stets um germanische Kriegsgefangene handelte, die dem Ehrverlust einer öffentlichen Hinrichtung entgehen wollten: Weder waren es Gladiatoren, noch lässt sich ihr Verhalten irgendwie verallgemeinern, da es auf den diesem Kulturkreis eigenen gesellschaftlichen Grundüberzeugungen basiert.

Nicht zuletzt ist die Behauptung, es habe ein Bestattungsverbot für hingerichtete Verbrecher existiert (158), unzutreffend: selbst die Reste der zum Tod durch Verbrennen Verurteilten durften von den Hinterbliebenen gesammelt und bestattet werden (Dig. 48,24,1). Dass postmortale Sanktionen am Leichnam vielmehr als absolute Ausnahme empfunden und auch behandelt wurden, ist seit Mommsen unstrittig. [1]

Zudem mag es sicher den Zugang zum Thema vereinfachen, alle Ereignisse in Rom stattfinden zu lassen, Probleme verursacht diese starke Fokussierung auf das Kolosseum aber zweifellos. So mag es noch angehen, wenn Meijer den aus mehreren pompeijanischen Graffiti bekannten Gladiator M. Attilius vor den Augen des Kaisers antreten lässt, auch wenn dieser sicher in Pompeii kämpfte (141). Verzerrungen bewirkt dies aber bei Ereignissen, die auf lokalen Besonderheiten basieren und in der dargestellten Form für Rom nur schwer vorstellbar sind. Eine unkommentierte Verlegung von Märtyrergeschichten aus Nordafrika oder Kleinasien ins Flavische Amphitheater ist zumindest bedenklich. Und die ständig wiederholte Aussage, die Leichen Armer und Hingerichteter würden in Rom "in tiefe Schluchten" geworfen (157; 161 usw.), die zudem bereits für das gesamte Reich in Ermangelung einer Quelle problematisch ist, ist in der urbs dagegen aus topografischen Gründen auszuschließen: Solche Schluchten gibt es dort einfach nicht.

Auch argumentative Widersprüche lassen sich finden: so nennt Meijer die "finanzielle Sicherheit" den "Hauptanreiz für Freiwillige" (46), beschreibt andererseits den Verdienst der meisten Gladiatoren als "Trinkgeld" (78), der viele nach ihrer Freilassung zwang, sich erneut zu verpflichten, um nicht der Mittellosigkeit anheim zu fallen (79). Außerdem führt er als einen der Hauptgründe für die christliche Kritik an Gladiatorenkämpfen, im Gegensatz zu den auch bei Kirchenvätern weitgehend akzeptierten öffentlichen Hinrichtungen, den Tod vieler Glaubensbrüder in der Arena an (172), als wenn die Martyrien nicht im Rahmen eben dieser Exekutionen erfolgt wären - abgesehen davon stand die christliche Ablehnung von Theater und Zirkusspielen der der munera in nichts nach.

Die Liste der Ungenauigkeiten ließe sich fortsetzen. Insbesondere in den Abschnitten zur Rezeption der Gladiatoren tritt das subjektive Empfinden an die Stelle wissenschaftlichen Ernstes. So hätte man bei der Behandlung von Gérômes berühmtem "Pollice verso" eine etwas präzisere Kritik erwarten können, als "in der Tat ein herrliches Gemälde" (189). Auch verwundert es, wenn der Film "Gladiator" aufgrund seiner zahlreichen historischen Fehler völlig zu recht kritisiert wird, die offensichtlichen Geschichtsfälschungen bei "Spartacus" dagegen den "positiven Gesamteindruck" des "insgesamt guten Films" nicht beeinträchtigen können (193).

Wie eingangs erwähnt, ist Meijer kein Vorwurf zu machen, dass er auf die Bedürfnisse des avisierten Leserkreises eingeht. Neue Erkenntnisse finden sich nicht, konnten aber auch nicht erwartet werden. Demzufolge ist zu tolerieren, wenn die Darstellung in vielen Kapiteln nicht dem aktuellen Forschungsstand entspricht, wenngleich das Fehlen der Ergebnisse solch zentraler Arbeiten wie Gerhard Horsmanns "Überlegungen zum Charakter der Gladiatur", Francois Hinards "Spectacles des Exécutions et Espace urbain" und vor allem Paul Veynes "Le Pain et le Cirque" schmerzt - zumal Machwerke wie Bakers "The Gladiator. The Secret History of Rome's Warrior Slaves" unter der empfehlenswerten Literatur aufgeführt sind. [2]

Wenn Meijer aber als Ziel seines Buches angibt, er wolle "über die Realitäten informieren" (19), so muss am Ende die Erkenntnis stehen, dass dies nicht erreicht worden ist.


Anmerkungen:

[1] Theodor Mommsen: Römisches Strafrecht, Darmstadt 1955 (photomechan. Nachdruck der Ausgabe von 1899), 987 ff.

[2] Gerhard Horsmann: Sklavendienst, Strafvollzug oder Sport? Überlegungen zum Charakter der römischen Gladiatur, in: Heinz Bellen / Heinz Heinen (Hrsg.): Fünfzig Jahre Forschungen zur Antiken Sklaverei an der Mainzer Akademie 1950-2000, Stuttgart 2001, 225-241; Francois Hinard: Spectacles des Exécutions et Espace urbain, in: L'Urbs. Espace urbain et histoire (1er siécle avant J.-C. - IIIe siécle après J.-C.). Actes du colloque international organisé par le Centre national de la recherche scientifique et l'École Francaise de Rome, Rome 8.-12. Mai 1985, Paris, Rom 1987, 111-125; Paul Veyne: Le pain et le cirque. Sociologie historique d'un pluralisme politique, Paris 1976; Alan Baker: The Gladiator. The secret history of Rome's warrior slaves, London 2000.

Stefan Schrumpf