Rezension über:

Joseph Leo Koerner: The Reformation of the Image, London: Reaktion Books 2004, 494 S., 215, teilw. farb. Abb., ISBN 978-1-86189-172-3, GBP 29,95
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Rezension von:
Ariane Mensger
Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Ariane Mensger: Rezension von: Joseph Leo Koerner: The Reformation of the Image, London: Reaktion Books 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/7448.html


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Joseph Leo Koerner: The Reformation of the Image

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"The Reformation of the Image" ist Joseph Leo Koerners beeindruckende Fortführung seiner Forschungen zur deutschen Kunst, die mit "Caspar David Friedrich and the Subject of Landscape" und "The Moment of Self-Portraiture in German Renaissance Art" bereits zwei viel beachtete Werke hervorgebracht hat.

Thema der 444 Textseiten starken Publikation ist die Erneuerung ("reformation") des christlichen Bildes durch Martin Luther, die der Autor über zahlreiche Bildbeispiele und Schriftquellen detailliert nachzeichnet. Im Zentrum steht die Analyse vor allem eines Werkes: Lucas Cranachs d. Ä. Sakraments-Altar aus der Stadtkirche zu Wittenberg, der zwar erst 1547, ein Jahr nach Luthers Tod, fertig gestellt wurde, der aber mit großer Sicherheit noch unter Mitwirkung des Reformators konzipiert worden war.

In seiner ebenso umfangreichen wie komplexen Darstellung verfolgt Koerner gleich mehrere Thesen, die sich zusammen mit Fakten, Analysen und Zitaten wie ein kunstvoll geknüpftes Netz über den gesamten Text ziehen.

Zum Einstieg ("Introduction", 19-80) werden der durch die Reformation eingeleitete grundsätzliche Paradigmenwechsel im christlichen Glauben und die daraus resultierenden unterschiedlichen Bildauffassungen von Katholiken und Protestanten thematisiert. Der Wechsel von den sichtbaren Heilsträgern (Ritus, Reliquien, Bilder) zum Unsichtbaren, dem Heilsversprechen allein durch inneren Glauben, erhält das religiöse Bild eine vollständig neue Funktion und Bedeutung. Reformationskunst ist didaktische Kunst, die ihr visuelles Potenzial zu Gunsten der Schrift bewusst einschränkt. Sie spiegelt im Idealfall genau das wider, was im kirchlichen Alltag ohnehin stattfindet - eine selbstverleugnende Redundanz, die laut Koerner das Wesen des protestantischen Bildes ausmache.

Im erste Teil des Buches ("Cleansing", 83-168) beleuchtet Koerner Wesen und Praktiken des Ikonoklasmus. Eingehend widmet er sich den Argumentationslinien von Ikonoklasten und Ikonophilen und ihrem grundsätzlichen Dissens bei der Bewertung der Medialität des religiösen Bildes: Wem gilt die Verehrung im Umgang mit dem Kultbild - dem Zeichen selbst, wie die Bilderkritiker der Gegenseite unterstellen, oder dem Bezeichneten? Koerner interessiert sich dabei besonders für die Bilder, die der Ikonoklasmus wiederum hervorbringt. Er führt außerdem aus, dass das christliche Bild in seiner paradoxen Sprache von Anfang an "self-defacing " gewesen sei: Im Bild des geschundenen und gedemütigten Gekreuzigten etwa zeige es nur, was Christus, der triumphierende Gottessohn, eigentlich nicht ist. Laut Koerner trage daher das christliche Bild den Ikonoklasmus per se in sich.

Im Zentrum des zweiten Teils ("The Word", 171-318) steht die berühmte Predella des Wittenberger Altars mit der Darstellung Luthers als Prediger vor der Wittenberger Gemeinde. Anhand dieses einen bemerkenswerten Bildes eruiert Koerner, wie es Cranach gelingt, Luthers Botschaft eines unsichtbaren Glaubens an einen nicht-darstellbaren Gott zu visualisieren. Schlüsselmotive für diese Analyse sind der Gekreuzigte und die Geste des zeigenden Fingers. Cranachs oberflächliche, stereotype Malweise, die traditionell als Folge des vergrößerten Werkstattbetriebs ausgelegt wird, deutet Koerner als kongeniale Umsetzung von Luthers Anliegen. Auch des Reformators Auffassung von Predigt, Katechismus und der Allgegenwart Gottes spiegeln sich im Bild der Predella wider.

Im dritten Teil ("Sacrament", 321-440) wendet sich der Autor den übrigen Tafeln des Wittenberger Altarretabels zu: dem Abendmahlsbild und den Darstellungen der Taufe und der Beichte. Koerner analysiert die Bilder in Hinblick auf Luthers Verständnis der Sakramente, denen als äußere, sichtbare Zeichen eine bedeutende Rolle im protestantischen Glauben zukommen. Ausführlich geht er auf die geänderte Abendmahlspraxis ein, die den reformierten Gläubigen in direkter Nachfolge der Apostel einbezieht. Ferner widmet sich der Autor den zeitgenössischen Porträts reformierter Gelehrter und Landesherren und richtet seinen Blick dann auf den sekulären Rahmen, in den sich die lutherische Kirche einschreibt. Er schließt mit einer Untersuchung zum protestantischen Kirchenraum, der nicht nur Bild eines neuen Glaubens, sondern auch einer neuen soziale Ordnung ist.

Am Ende des Buches erwartet den Leser die erstaunliche Analyse einer bisher wenig beachteten Altartafel, in der diverse, im Buch entwickelte Aspekte gleichsam in konzentrierter Form nachzuvollziehen sind (431-440). So zeigt die von Heinrich Göding d. Ä. gemalte Predella des Mühlberger-Altars aus dem Jahr 1568 wiederum eine Predella, die sich als Bild im Bild in einer endlosen Flucht selbst spiegelt. Koerner deutet dies als selbst-referentiellen Kommentar über die Maximen des lutherischen Bildverständnisses: die Nicht-Darstellbarkeit Gottes und die bis zur Selbstauslöschung getriebene Redundanz in der Wiedergabe des sakramentalen Alltags.

Eine Stärke des Buches, die große Komplexität, mit der das Thema aufgerollt wird, stellt gleichzeitig auch seinen Schwachpunkt dar. Der Text sperrt sich dagegen, auszugsweise oder "quer" gelesen zu werden, sodass man "The Reformation of the Image" entweder ganz oder überhaupt nicht liest - was sich bei über 400 Seiten leider häufig auf eine Frage der zeitlichen Kapazitäten reduzieren dürfte.

Die Schwierigkeiten in der Rezeption des Textes verdanken sich zu einem guten Teil den knappen Kapitelüberschriften, die - meist eher assoziativ als deskriptiv gehalten - den Kapitelinhalt nur bedingt erahnen lassen ("Actions", "Fictions", "Beliefs", "Communications" etc.). Auch wird man häufig von interessanten Analysen und Exkursen überrascht, für die man sich eigene Überschriften gewünscht hätte. So erwarten den Leser unter der Überschrift "Crude Painting" (212-251) nichts weniger als eine Interpretation herzförmiger Bildtafeln als Äquivalent zu Luthers Diktum des "Bildes Christi im Herzen", Überlegungen zu Darstellungen des Gekreuzigten zwischen Texttafeln, eine ausführliche Analyse von Cranachs Longinus-Bild, die semantische Interpretation von Cranachs unkünstlerisch-stereotyper Malweise in Relation zu Luthers Bildbegriff und schließlich Überlegungen zu Cranachs künstlerischen Selbstdarstellung im Bild. Eine Einteilung in kleinere Paragrafen wäre hier sicher hilfreich gewesen.

Wenn man jedoch die Struktur des Buches - das Auffächern der Thematik, die anschließende Fokussierung auf ein Werk und die erneute Öffnung des Blickwinkels - nachvollzogen hat, wird der Leser vollständig entlohnt. Denn "The Reformation of the Image" ist eigentlich nicht ein Buch, sondern viele Bücher, die sich zu einem faszinierenden Kompendium mit universalem Anspruch zusammenfügen.

Es ist ein Buch über das christliche Bild an sich und über die Frage, wie das eigentlich Nicht-Darstellbare zur Darstellung kommen kann. Es ist ein Buch über den Bildergebrauch und den Bildersturm - zwei anthropologische Größen, die trotz ihrer scheinbaren Unvereinbarkeit in dialektischer Weise untrennbar miteinander verbunden sind. Es ist vor allem ein Buch über die Erneuerung, die "Re-Formation", des christlichen Bildes durch Luther, die dieser in doppelter Abgrenzung zur päpstlichen Seite einerseits und zu den Radikalreformern andererseits vornimmt. Es ist also ein Buch über Luthers Bildbegriff, in dem sich praktisch das gesamte Glaubensbekenntnis und Gesellschaftsbild einer neuen Kirche verdichtet wieder findet. Gleichzeitig ist es ein Buch über Cranach und seine Kunst, welche die lutherischen Vorstellungen kongenial in das Medium der Malerei übersetzt.

In seinem universalen Ansatz geht Koerner weit über das bisher zur Reformationskunst Geschriebene hinaus. Ohne die Ergebnisse bisheriger Publikationen prinzipiell in Frage zu stellen, setzt er auf einer tieferen, grundsätzlicheren Ebene an: den Funktionsweisen und -bedingungen des Bildes als Zeichen. Dabei gelingt es Koerner auch mit Rekursen auf Soziologen wie Niklas Luhmann oder den Anthropologen Dan Sperber den kunsthistorischen Horizont gewinnbringend zu erweitern. Er hat ein gleichermaßen faszinierendes wie essenzielles Werk geschaffen, das in seiner Wirkung über die Forschung zur deutschen Kunst des 16. Jahrhunderts weit hinausreichen wird.

Ariane Mensger