Rezension über:

Christopher L.H. Barnes: Images and Insults. Ancient Historiography and the Outbreak of the Tarantine War (= Historia. Einzelschriften; Heft 187), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, 168 S., ISBN 978-3-515-08689-9, EUR 34,00
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Rezension von:
Bruno Bleckmann
Historisches Seminar, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Bruno Bleckmann: Rezension von: Christopher L.H. Barnes: Images and Insults. Ancient Historiography and the Outbreak of the Tarantine War, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 4 [15.04.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/04/9213.html


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Christopher L.H. Barnes: Images and Insults

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Römische Kriege sind gerechte Kriege. Sie beginnen mit großer Regelmäßigkeit immer wieder damit, dass die Ehre verletzten Gesandtschaftsrechts wieder hergestellt werden muss. Ein besonders drastisches Beispiel hat die römische Geschichtsschreibung im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Tarentiner ausgesponnen, die später den Pyrrhus herbeirufen sollten. Als der würdige Hocharistokrat L. Postumius Megellus während seines Gesandtschaftsaufenthalts in Tarent von einem verworfenen Individuum in unflätigster Weise beleidigt wird, findet dies bei den im Theater versammelten Volksmassen begeisterte Zustimmung. Römische Sittenstrenge und Würde kontrastieren hier augenfällig mit der Zuchtlosigkeit demokratischer Pöbelherrschaft.

Ausgehend von der richtigen Erkenntnis, dass Details in der antiken Historiografie ihre Existenz rhetorischen Verfahren der inventio und exaedificatio verdanken, verfolgt Christopher Barnes das Projekt, die Entwicklung der Geschichte von der Begegnung zwischen Postumius und dem tarentinischen Pöbel nachzuvollziehen. Das geschieht durch eine detaillierte Darstellung und Untersuchung der Versionen von Polybios bis hin zu Zonaras. Barnes stellt dabei in Abrede, dass die Ausmalungen und detaillierten Schilderungen, die bei allen Polybios folgenden Autoren auffallen, auf die jüngere Annalistik zurückgehen. Vielmehr ist seiner Ansicht nach bei Dionysios von Halikarnassos, den er als ersten nachpolybianischen Autor eingehend untersucht, die Inspiration durch die griechische Literatur des vierten vorchristlichen Jahrhunderts zu greifen, in der die Tarentiner als zuchtloser und permanent betrunkener Pöbel charakterisiert werden (Plato, Nomoi 637 b; Theopomp, Fragmente der Griechischen Historiker 115 F 233). Dionysios habe sich durch diese Topoi zu seiner breiten Schilderung inspirieren lassen, bei der er auch einige Personen wie Philocharis oder Meton frei erfunden habe. Gleichzeitig verrate Dionysios seine Kenntnis der römischen Historiografie, die ebenfalls zur Inspirationsquelle geworden sei. So sieht Barnes sicher zutreffende Parallelen zwischen der Tatsache, dass man sich bei Dionysios von Halikarnassos in der tarentinischen Volksversammlung über das schlechte Griechisch des Postumius mokiert, und den bekannten Entschuldigungen des griechisch schreibenden Annalisten Postumius Albinus für seine unzureichende Beherrschung der griechischen Sprache (Die Frühen Römischen Historiker 1 a und 1 b = Historicorum Romanorum Fragmenta 1). Gerade diese und weitere Parallelen zwischen Postumius Albinus und seinem Vorfahren Megellus (beide haben als Gesandte besondere Beziehungen zu griechischen Polisstaaten) entsprechen aber in typischer Weise einem für die Annalistik üblichen Muster, in der ähnliche Dinge bei Vertretern verschiedener Generationen einer gens sich wiederholten. Prominente Beispiele sind etwa die ständigen Selbstopferungen der Decier. Die Beobachtungen von Barnes zu den Griechischkenntnissen von Postumius Megellus und zu den Entschuldigungen des Postumius Albinus sind letztlich also ein Beleg dafür, dass Dionysios sich nicht nur punktuell durch einige Passagen der Annalistik inspirieren lässt, sondern in der gesamten Struktur seines Berichtes annalistischer Feinmalerei verpflichtet ist und deren Dublettentechnik übernimmt.

Vielleicht hätte Barnes die Beziehungen des Dionysios zur Annalistik angemessener würdigen können, wenn er auf einschlägige auch jüngere Untersuchungen, die diesem Problemfeld gelten und deutlich machen, wie Dionysios die Annalistik lediglich griechisch verpackt hat, eingegangen wäre. Als erste Orientierung ist zu verweisen auf N. Luraghi und den voluminösen Sammelband von S. Pittia. [1]

Insgesamt steht der Rezensent dem methodischen Vorgehen der Untersuchung von Barnes, nämlich einer genauen und mikroskopischen Klärung dessen, was in den Texten steht, mit viel Sympathie gegenüber. Im Einzelnen gelingen Barnes dabei zweifelsohne interessante Feststellungen, die deutlich machen, dass der direkte Kontakt mit dem Text immer fruchtbar bleibt. Gleichwohl hätte die Untersuchung über ein Themengebiet, das eine so große wissenschaftliche Tradition aufweist wie das Feld der Geschichtsschreibung zur frühen und mittleren Republik, mit einem viel größeren gelehrten Aufwand geschehen müssen. Weiter misst Barnes seinen Autoren insgesamt eine viel zu große Originalität in der historiografischen Erfindung zu. Zu den originellen Autoren gehört am Ende der insgesamt knappen Untersuchung sogar Zonaras, der angeblich in Einzelfällen Alternativversionen zur dionischen Vorlage konstruiert (der auf Seite 129 f. vorgestellte Fall ist meines Erachtens anders zu bewerten).


Anmerkung:

[1] N. Luraghi: Dionysios von Halikarnassos zwischen Griechen und Römern, in: U. Eigler u.a. (Hg.): Formen römischer Geschichtsschreibung von den Anfängen bis Livius. Gattungen - Autoren - Kontexte, Darmstadt 2003, 268-286; S. Pittia (Hg.): Fragments d'historiens grecs autour de Denys d'Halicarnasse, Rom / Paris 2002.

Bruno Bleckmann