Rezension über:

Diodoros: Griechische Weltgeschichte Buch XVIII-XX. Übersetzt von Otto Veh und Gerhard Wirth. Eingeleitet und kommentiert von Michael Rathmann. Teilband A: Einleitung und Übersetzung (= Bibliothek der griechischen Literatur; Bd. 63 A), Stuttgart: Anton Hiersemann 2005, VI + 314 S., ISBN 978-3-7772-0516-8, EUR 149,00
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Diodoros: Griechische Weltgeschichte Buch XVIII-XX. Übersetzt von Otto Veh und Gerhard Wirth. Eingeleitet und kommentiert von Michael Rathmann. Teilband B: Kommentar und Anhang (= Bibliothek der griechischen Literatur; Bd. 63 B), Stuttgart: Anton Hiersemann 2005, VI + 211 S., ISBN 978-3-7772-0517-5, 110,00
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Rezension von:
Johannes Engels
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Engels: Diodoros: Griechische Weltgeschichte Buch XVIII-XX (Rezension), in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/9386.html


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Diodoros: Griechische Weltgeschichte Buch XVIII-XX

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Die Bücher 18-20 der "Historischen Bibliothek" des sizilischen Historikers Diodor von Agyrion bieten uns heute aufgrund der nur fragmentarischen Überlieferung zeitgenössischer Geschichtswerke des ausgehenden 4. und frühen 3. Jahrhunderts v. Chr. die umfangreichste zusammenhängende antike Darstellung der kritischen Epoche der Formierung der polyzentrischen Welt der Diadochenstaaten auf dem Gebiet des in blutigen Koalitionskriegen zwischen 323 und 301 zerfallenden Alexanderreiches. Diodors Ausführungen zur italischen, sizilischen und karthagischen Geschichte in diesen Büchern werden von seinem Interesse an der wechselvollen Karriere des 'Tyrannen' Agathokles dominiert. Bereits der Inhalt der Bücher 18-20 rechtfertigt eine neue, verlässliche Übersetzung mit kurzen Kommentarnotizen, die hier von Otto Veh, Gerhard Wirth und Michael Rathmann vorgelegt wird.

Bekanntlich wird der Quellenwert der einzelnen Bücher der "Historischen Bibliothek" erheblich davon bestimmt, welche Hauptquellen Diodor jeweils für seine universalhistorische Kompilation ausgewählt hat. In den Büchern 18-20 stützt er sich vor allem auf das erstrangige Geschichtswerk des Hieronymos von Kardia (FGrHist 154), eines wohlinformierten, wenn auch zu Gunsten des Eumenes und des Antigonos Monophthalmos parteiischen Zeitzeugen. Duris von Samos (FGrHist 76) und Timaios von Tauromenion (FGrHist 566) sind Diodors Hauptquellen für den Agathoklesbericht. Infolge dieser glücklichen Quellenauswahl gehören die Bücher 18-20 zu den besten Werkteilen der "Historischen Bibliothek".

Der Teilband A: Einleitung und Übersetzung beginnt mit einer äußerst knapp gehaltenen Einleitung von Michael Rathmann (1-8), auf die deutsche Übersetzungen der Bücher 18 und 19 von Otto Veh (11-203) und des Buches 20 von Gerhard Wirth (205-314) folgen. Die vorliegende Übersetzung überzeugt durch ihr hohes Niveau. Sie kann den jüngeren Übertragungen der Bücher 18-20 in französischer und italienischer Sprache als gleichrangig an die Seite gestellt werden. [1] Die Übersetzung von Veh und Wirth wird in Lehrveranstaltungen den heute üblichen Rückgriff auf die weit verbreitete englische Übertragung von Russel M. Geer in der "Loeb Classical Library" ersetzen können. [2] Veh und Wirth legen eine flüssig zu lesende, zugleich dem griechischen Original präzise und sensibel folgende Übersetzung vor. Druckversehen, die das Verständnis der Übersetzung oder des Kommentars stören, sind in den redaktionell sorgfältig betreuten Teilbänden äußerst selten.

Ich möchte in dieser kurzen Besprechung die Übersetzung einer Textstelle herausgreifen (Diod. 20,43,7), die für die hellenistische Stillehre und die Diskussion über den 'mimetischen' Charakter der Historiografie bedeutsam ist. Rathmann vermutet in seiner Anmerkung (466), dass Diodor diesen Gedanken von Duris von Samos übernommen habe. Das ist eine plausible Hypothese, doch war das Thema in der hellenistischen Rhetorik und Historiografie so populär, dass man auch andere Vorlagen nicht ausschließen kann. Diodor erörtert an dieser Stelle zunächst das narrative Problem der sprachlichen Darstellung gleichzeitig ablaufender historischer Ereignisse. Dieses Dilemma stellt sich gattungsbedingt für einen Universalhistoriker schärfer als etwa für einen Lokalhistoriker oder den Verfasser einer Kriegsmonografie. Unter Diodors Vorgängern hatten bereits Ephoros, Polybios und Poseidonios eigene Darstellungsmöglichkeiten ausprobiert. Ich zitiere aus Wirths Übersetzung (248): "So könnte denn einer wohl der Geschichte einen Vorwurf machen, der beobachtet, wie im Leben viele verschiedene Ereignisse zur gleichen Zeit sich abspielen, wie aber denen, die sie darstellen, die Notwendigkeit auferlegt ist, ihre Erzählungen zu unterbrechen und in unnatürlicher Weise das, was zur gleichen Zeit geschah, in Abschnitte zu teilen." Die folgende Satzkonstruktion überträgt Wirth so: "Daher wohnt dem wirklichen Verlauf der Dinge Leidenschaft inne. Die schriftliche Darstellung hingegen vermag, einer solchen Wirkung beraubt, das Geschehen nur wiederzugeben, bleibt aber hinter dem tatsächlichen Ablauf weit zurück". Die dem kursiv hervorgehobenen Text entsprechende griechische Phrase lautet: "hoste ten men aletheian ton pepragmenon to pathos echein". Russel M. Geer jedoch hatte diesen Satzteil anders verstanden: "with the result that, although the actual experience of the events contains the truth, yet the written record, deprived of such power, while presenting copies of the events, falls far short of arranging them as they really were" (261, kursive Hervorhebungen von Johannes Engels). Beide Übersetzer geben damit der methodischen Aussage Diodors über die Nachahmung der historischen Wirklichkeit als Ziel der Geschichtsschreibung eine andere, historiografisch folgenreiche Bedeutungsnuance.

Der Teilband B wurde von Michael Rathmann verfasst. Er gliedert sich in kommentierende Anmerkungen zu den Büchern 18-20 (315-494), welche sich in ihrem Umfang etwa gleichmäßig auf die drei behandelten Bücher aufteilen, eine nützliche tabellarische Übersicht über die Chronologie Diodors in den Büchern 18-20 (496-497) und eine vergleichende Übersicht über die Verteilung der wichtigen Gebiete des Alexanderreiches in den beiden 'Reichsteilungen' von Babylon 323 und Triparadeisos 320 v. Chr. (498-499). Die konzeptionellen Vorgaben der "Bibliothek der griechischen Literatur" des Hiersemann Verlages lassen über die kurzen fortlaufenden Kommentare hinaus keinen Raum für eine vertiefende Diskussion epochentypischer Phänomene und historiografisch-methodischer Probleme, die für die Bücher 18-20 oder für die gesamte "Historische Bibliothek" Diodors relevant sind. Rathmann verzeichnet systematisch und verlässlich antike Parallelquellen zu den Diodorpassagen und nennt ausgewählte, weiterführende Literaturhinweise. Ein ausführlicher Kommentar zu den Büchern 18-20 des Diodor bleibt jedoch weiterhin ein dringendes Desiderat. Für eine solche Aufgabe wäre sicherlich Rathmann gut geeignet. Denn außer seinen hier vorliegenden Anmerkungen hat er kürzlich bereits eine ausgezeichnete Studie über Perdikkas und die Jahre von 323-320 v. Chr. veröffentlicht. [3]

Es stellen sich in der Periode von 323-301 v. Chr. bereits aufgrund der spezifischen Datierungsweise Diodors, insbesondere seiner Aufteilung der Ereignisse auf einzelne athenische Archontenjahre, sowie durch den fragmentarischen Zustand anderer wichtiger antiker Quellen schwierige chronologische Probleme. Ausführliche Kommentare würden auch die schnell wechselnden Koalitionen und die Instabilität der territorialen Struktur der entstehenden Reiche, das von Ort zu Ort und nach der politischen Machtlage jeweils anders auszutarierende Verhältnis zwischen königlichem Machtanspruch und städtischem Freiheitswillen oder die Rolle der föderalen Staatsgebilde (Koina) erfordern. Auch typische sprachlich-stilistische Eigenarten Diodors verdienen noch eingehendere Kommentare, da Rathmann sich auf historische Erläuterungen konzentriert. Für solche Studien bietet sich z. B. das Prooimion zum Buch 20 (Diod. 20,1,1-5) als ein geeigneter Ausgangspunkt an. [4]

In das Literaturverzeichnis wurde nur die abgekürzt zitierte Literatur aufgenommen. Dies erschwert es dem Benutzer, schnell zu prüfen, welche Titel aus der sehr umfangreichen Fachliteratur berücksichtigt worden sind. [5] Der Übersetzungs- und der Kommentarband werden durch ein Register der erwähnten Personen-, Orts-, Landschafts- und Inselnamen erschlossen. Sachbegriffe, z. B. Diadem, Eparchie, Satrapie und Silberschildner, sind "nur in einigen wenigen Ausnahmen aufgenommen worden, wenn sie für die hier behandelte Epoche von Bedeutung sind" (505), notwendigerweise eine subjektive Auswahl.

Zusammenfassend kann man die beiden Teilbände allen an Diodors Werk, der griechischen Historiografie und dem frühen Hellenismus interessierten Lesern nachdrücklich empfehlen. Bei dem hohen Preis von zusammen 259 Euro werden die Bände - ähnlich anderen verdienstvollen Übersetzungen aus dieser Reihe - allerdings wohl ihren Weg überwiegend nur in Instituts- oder Universitätsbibliotheken finden.


Anmerkungen:

[1] Paul Goukowsky: Diodore de Sicile, Bibliothèque historique. Livre XVIII, CUF, Paris 1978; Françoise Bizière: Diodore de Sicile, Bibliothèque historique. Livre XIX, CUF, Paris 1975 sowie Anna Simonetti Agostinetti: Diodoro Siculo Biblioteca Storica vol 4: libri 18-20, I classici di storia, Milano 1988.

[2] Russel M. Geer: Diodorus Siculus, vol. IX, books XVIII-XIX,65, London / Cambridge, Mass. 1947 und vol. X, books XIX,66-XX, 1954, mehrfache Nachdrucke.

[3] Michael Rathmann: Perdikkas zwischen 323 und 320. Nachlassverwalter des Alexanderreiches oder Autokrat? (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte; Bd. 724), Wien 2005.

[4] Der Grad der Abhängigkeit Diodors in seinen Prooimien und seinem ganzen Werk von seinen Vorgängern bleibt umstritten, vgl. jüngst Gerhard Wirth: Diodor und das Ende des Hellenismus. Mutmaßungen zu einem fast unbekannten Historiker (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte; Bd. 600), Wien 1993.

[5] Nach Abschluss der Kommentarnotizen erschienen noch zwei Studien zu Kassandros und Lysimachos: Franca Landucci Gattinoni: L'arte del potere. Vita e opere di Cassandro di Macedonia (= Historia-Einzelschriften; Bd. 171), Stuttgart 2004; s. hierzu die Rezension von André Heller, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: http://www.sehepunkte.de/2005/04/6966.html, und Euangelos G. Rozos: Lysimachos, 361-281 p.Ch., Historike biographia, Athen 2005. Zu den führenden athenischen Politikern sei noch auf P. Brun: L'orateur Démade. Essai d'histoire et d'historiographie, Paris / Bordeaux 2000 verwiesen.

Johannes Engels