Rezension über:

Herbert Hömig: Brüning. Politiker ohne Auftrag. Zwischen Weimarer und Bonner Republik, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, 848 S., ISBN 978-3-506-72938-5, EUR 68,00
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Rezension von:
Udo Wengst
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Udo Wengst: Rezension von: Herbert Hömig: Brüning. Politiker ohne Auftrag. Zwischen Weimarer und Bonner Republik, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/8697.html


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Herbert Hömig: Brüning

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Fast vierzig Jahre überlebte Heinrich Brüning das Ende seiner Kanzlerschaft im Mai 1932. Seinen Sturz hat er nie verwunden und die langen Jahre zwischen 1932 und seinem Tod im Jahr 1970 hat er in erster Linie mit der "Suche nach den Schuldigen" (Gerhard Schulz) am Ende seiner politischen Karriere zugebracht. Damit unterscheidet sich Brüning zwar nicht von vielen anderen Politikern, die ihr Scheitern oft nicht verwinden können und nach "Sündenböcken" fahnden. Es gibt aber kaum einen Politiker, der den Höhepunkt seiner politischen Karriere so früh erlebte und anschließend eine so lange "Nachgeschichte" fernab von Macht und Einfluss erleiden musste - davon viele Jahre im zunächst erzwungenen und schließlich freiwillig gewählten Exil.

Herbert Hömig ist der erste Historiker, der eine gründlich recherchierte und umfassende Biografie Heinrich Brünings vorgelegt hat. Der erste, im Jahr 2000 erschienene Band behandelt seinen politischen Aufstieg und die Jahre der Kanzlerschaft von 1930 bis 1932. Der hier zu besprechende zweite Band schildert die Zeit danach: seine Aktivitäten in den letzten Monaten der Weimarer Republik und zu Beginn des 'Dritten Reichs', als er - zum Vorsitzenden des Zentrums gewählt - vergeblich versuchte, das politische Überleben der Partei zu sichern. Detailliert setzt sich Hömig dann mit Brünings Jahren im Exil, seinem "Schweigen für Deutschland", aber auch seinen Versuchen auseinander, Einfluss auf die Politik der Alliierten gegenüber Deutschland zu gewinnen. Sehr ausführlich ist auch die Darstellung der Rückkehr Brünings nach Deutschland geraten, wo ein politisches "come back" von ihm bestenfalls halbherzig angestrebt und von einflussreichen Parteipolitikern wie Adenauer zu keinem Zeitpunkt unterstützt wurde. Brüning, der kurze Zeit eine Professur für Politische Wissenschaft an der Universität Köln innehatte, wurde in Deutschland nicht mehr heimisch. Als er am außenpolitischen Kurs Adenauers öffentlich Kritik übte, löste er eine Pressekampagne gegen sich aus. Brüning musste erkennen, dass seine politischen Vorstellungen nicht mehrheitsfähig waren. Hierauf ist wohl in erster Linie zurückzuführen, dass er beschloss, Deutschland wieder zu verlassen und in die USA - sein Hauptexilland während des 'Dritten Reiches' - zurückzukehren.

Über das Leben Brünings sind wir nach der Lektüre von Hömigs Biografie bis ins Detail informiert: Bisweilen berichtet der Biograf die Abfolge der Ereignisse von Tag zu Tag, so z. B. bei der Schilderung der ersten Besuche Brünings im Nachkriegsdeutschland. Es stellt sich jedoch die Frage, ob weniger nicht mehr gewesen wäre. Knapp 600 Seiten über das Leben eines Politikers nach seinem Ausscheiden aus dem Zentrum der Entscheidungsprozesse ist zu viel des Guten. Eine komprimiertere Darstellung mit klarerer analytischer Fragestellung hätte zum Verständnis dieses Politikers, dessen Name sich mit der "Assoziation des Scheiterns, des Misserfolges und der eines verzweifelten Kämpfers [verbindet], den einer der letzten bedeutenden Politiker der Weimarer Republik führte, um die Katastrophe der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert abzuwenden", mehr beigetragen als die weit ausufernde Erzählung, die Hömig gewählt hat.

Zu lang, wie das gesamte Buch, ist schließlich auch die "Bilanz eines politischen Lebens" am Ende der Studie ausgefallen. Auf mehr als 50 Seiten werden die Stationen von Brünings Leben seit der "Staats- und Wirtschaftskrise der Weimarer Republik" noch einmal nachgezeichnet. In diesem abschließenden Kapitel formuliert Hömig zwar auch wichtige Einsichten. So ist es sicherlich richtig, dass Brüning "noch nach Jahrzehnten" versuchte, sich "über die Ursachen, die zu seinem Sturz geführt hatten, klar zu werden, ohne zu einem endgültigen, der historischen Realität entsprechenden Ergebnis zu gelangen". Dass dies so war, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Brüning - wie schon erwähnt - stets nur nach den Schuldigen für sein Scheitern suchte. Diese traumatische Suche hat ihm den Blick auf die Vergangenheit verstellt und eine Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern unmöglich gemacht. Hier hätte der Rezensent sich differenziertere Analysen gewünscht.

Allzu unscharf ausgefallen sind darüber hinaus auch die Äußerungen Hömigs über Brünings "Vorbehalte hinsichtlich der Funktionstüchtigkeit des modernen Parlamentarismus in Krisenzeiten". Gab es diese Vorbehalte wirklich bereits seit Beginn der 1930er-Jahre oder haben sie erst ex post Ende der 1930er- und in den 1940er-Jahren im Zusammenhang mit seinen Lehrveranstaltungen in den USA konkrete Gestalt angenommen? Ein Aufgreifen dieser Problematik in der Bilanz hätte durchaus nahe gelegen, da die Urteile von Historikern hier recht unterschiedlich ausgefallen sind.

In anderen Punkten ist die Argumentation Hömigs wiederum sehr überzeugend, so z. B. wenn er auf die langfristige Prägung Brünings durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges verweist oder aber wiederholt herausarbeitet, dass sich Brünings politisches Weltbild - nicht nur in Bezug auf die Außenpolitik - auch nach 1945 an der Weimarer Republik orientierte. Das machte den großen Unterschied zu Konrad Adenauer und vielen anderen westdeutschen Nachkriegspolitikern aus, die aus dem Scheitern Weimars gelernt hatten und mit neuen politischen Konzepten antraten. Dass Brüning in der Nachkriegspolitik keine Rolle mehr spielte und zunehmend vereinsamte, ist auch hierauf zurückzuführen.

Udo Wengst