Rezension über:

Isabelle Maupai: Die Macht der Schönheit. Untersuchungen zu einem Aspekt des Selbstverständnisses und der Selbstdarstellung griechischer Städte in der Römischen Kaiserzeit, Bonn: Verlag Dr. Rudolf Habelt 2003, 436 S., 9 Abb., 2 Karten, ISBN 978-3-7749-3228-9, EUR 59,00
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Rezension von:
Thomas Corsten
Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Corsten: Rezension von: Isabelle Maupai: Die Macht der Schönheit. Untersuchungen zu einem Aspekt des Selbstverständnisses und der Selbstdarstellung griechischer Städte in der Römischen Kaiserzeit, Bonn: Verlag Dr. Rudolf Habelt 2003, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/8946.html


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Isabelle Maupai: Die Macht der Schönheit

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Die Dissertation von Isabelle Maupai stellt die große Bedeutung heraus, die die Schönheit für die Identität der griechischen Städte während der römischen Kaiserzeit hatte. Dabei bezieht Schönheit sich nicht nur auf das äußere Erscheinungsbild, also z. B. die gute Lage und herausragende Bauwerke einer Stadt, sondern sie wird auch durch ideelle Werte deutlich, wie z. B. Tugenden der Stadt und ihrer Bürger (Kapitel IV). Die Grundlage der Untersuchung bilden hauptsächlich literarische, epigrafische und numismatische Quellen, aber es werden auch Ergebnisse archäologischer Forschung einbezogen; der räumliche Schwerpunkt liegt wegen der größeren Dichte der publizierten Quellen und der geografischen sowie kulturellen Einheitlichkeit auf Kleinasien.

Maupai hat sich in ihrer Arbeit zum Ziel gesetzt, die Vorstellungen zu rekonstruieren, die in der Kaiserzeit von der Vorteilhaftigkeit der Lage einer Stadt und der sie umgebenden Natur, von der Schönheit einzelner Bauten sowie der gesamten Stadtanlage bestanden; darüber hinaus möchte sie herausfinden, ob es Konzepte gab, die der modernen Stadtplanung und vielleicht auch Stadtsanierung vergleichbar sind. Und da ihre Untersuchung auf den griechischen, aber römisch beherrschten Osten beschränkt ist, stellt sie ebenfalls die Frage nach der Übertragung römischer Werte, nach dem Verhältnis von Nützlichkeit und Schönheit. Des Weiteren betrachtet sie die Wurzeln des "Schönheitsdenkens" in vorrömischer Zeit sowie den möglichen Nutzen, den die Städte aufgrund ihrer Schönheit möglicherweise gegenüber dem Kaiser erzielen konnten, und geht auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft auf der einen und Schönheit auf der anderen Seite ein.

Aus den benutzten Quellen filtert die Autorin zunächst eine Anzahl von Schlüsselbegriffen heraus, die für die Charakterisierung einer Stadt als "schön" verwendet werden (2-5); deren wichtigste sind "kállos" ("Schönheit"), "lamprótes" ("Glanz") und "cháris" ("Anmut"). In den folgenden Kapiteln wird dann deutlich, wie diese Begriffe immer wieder auftauchen, um auf die Schönheit einer Stadt bzw. ihrer Einzelbestandteile aufmerksam zu machen. Dabei sind die einzelnen Kapitel jeweils verschiedenen Aspekten und Spielarten städtischer Schönheit bis hin zu kritischen Einstellungen ihr gegenüber gewidmet: "Natürliche Schönheit" (Lage und Naturraum), "Konstruierte Schönheit" (Baumaßnahmen), "Schönheit aus der Vergangenheit", "Stadt und Bürger: Ihre Tugenden", "Inszenierte Schönheit" (Bildung und Rhetorik), "Provozierende Schönheit" (Städtekonkurrenz), "Zerstörte Schönheit", "Kritisierte Schönheit". Schon dieser Überblick macht sowohl die Grundlagen für die Schönheit einer Stadt als auch ihre bisweilen negativen Auswirkungen deutlich: Was für eine Stadt positiv ist, kann aus der Sichtweise einer anderen als durchaus negativ empfunden werden - was dann zu den bekannten Konkurrenzkämpfen zwischen benachbarten Städten geführt hat.

Aber auch innerhalb der Gemeinwesen herrschte nicht immer Übereinstimmung in der Art und Weise, wie die Stadt geschmückt werden könnte oder sollte, vor allem wenn es um "Sanierungsmaßnahmen" ging. Vorschläge, alte Gebäude abzureißen und durch neue zu ersetzen, bewegen sich ja auch heute auf einem Grat zwischen Respektlosigkeit vor dem Überkommenen und notwendigen Verbesserungen. Ein antikes Beispiel dafür sind z. B. die Schwierigkeiten, denen sich Dio von Prusa gegenüber sah, als er eine alte Schmiede abreißen wollte. Obwohl sein Vorhaben der Allgemeinheit dienen sollte, schlug ihm heftige Opposition entgegen. Es wird dabei aus der antiken Überlieferung nicht immer klar, ob der Widerstand sich gegen die Projekte und deren Sinn richtete oder ob es darum ging, ehrgeizige Bauherren in ihre Schranken zu weisen, die sich durch ihre "Wohltätigkeiten" Ruhm und Einfluss verschaffen wollten. Die Verschönerung einer Stadt war eben immer, zum Teil wegen der Besonderheiten antiker Finanzierungsmethoden, mit der Stellung und dem Einfluss der Oberschicht verbunden.

Insgesamt gibt die Arbeit einen guten Überblick über die unterschiedlichen Seiten und Betrachtungsweisen städtischer Schönheit. An einigen Stellen hätte sie allerdings wesentlich gestrafft, an anderen hätten Widersprüche vermieden werden können. So schreibt Maupai z. B. auf Seite 105, dass "[d]ie Einordnung des Bauwerkes in die Ästhetik der gesamten Stadtanlage [...] zweitrangig" gewesen sei, bietet aber selbst an mehreren Stellen Gegenbeispiele (152, 158-162, 202, 370). Bisweilen hätten Querverweise zwischen den Kapiteln darauf hinweisen können, dass dieselben Maßnahmen verschiedene Reaktionen heraufbeschwören konnten. Ein gutes Beispiel hierfür ist das oben schon erwähnte Bauvorhaben Dios von Prusa. Es wird zunächst 110-119 im Kapitel "Konstruierte Schönheit" behandelt, dann 208 in "Schönheit aus der Vergangenheit" und schließlich noch einmal auf 320-322 in "Provozierende Schönheit", ohne dass die unter verschiedenen Gesichtspunkten vorgenommenen Auswertungen derselben Episode durch Querverweise miteinander verzahnt wären.

In demselben Zusammenhang stört noch etwas anderes: Es ist zwar ein unbestreitbarer Vorzug der Arbeit, dass die Quellen stets in Original und Übersetzung zitiert werden. Allerdings ist dies durch die gewählte Vorgehensweise gleichzeitig auch ein Nachteil, denn die Autorin hat sich offenbar gezwungen gesehen, dieselben Texte, wenn sie Aussagen zu verschiedenen Aspekten enthalten, in den entsprechenden Kapiteln jeweils zum Teil oder gar in ihrer Gänze zu wiederholen (vgl. z. B. 95 und 126). Zudem werden innerhalb der Übersetzungen, die leserfreundlich im Text abgedruckt sind, die griechischen Schlüsselbegriffe in Klammern hinzugefügt, die selbstverständlich auch im griechischen Original in den Anmerkungen enthalten sind. Darüber hinaus hilft Maupai dem Verständnis des Lesers oftmals durch eine auf die Übersetzung folgende kurze Zusammenfassung der Gedanken, die zu allem Überfluss umgehend durch eine Kurzinterpretation ergänzt wird, die die in der Zusammenfassung wiederholten Schlüsselbegriffe des Textes noch einmal wiederholt - stets mit den griechischen Entsprechungen in Klammern (z. B. 95 f., 97, 188 f.; allerdings sind die griechischen Wörter manchmal falsch eingebaut, z. B. 95 ["Kleid (... chitónes)"], 123 ["Glanz (lamprós)"]). Bei einem Verzicht auf diese geradezu barocke Hilfestellung hätte sicherlich viel Platz eingespart werden können.

Diese Kritik beeinträchtigt jedoch nicht das insgesamt positive Gesamturteil. Maupai ist es gelungen, durch eine gründliche Untersuchung zahlreicher Zeugnisse verschiedener Gattungen zu zeigen, dass in der Zeit der Zweiten Sophistik die auf Platon zurückgehende Schönheitsdiskussion wieder aufgegriffen wurde und auch in Hinsicht auf die äußere wie innere Schönheit der Städte Anwendung fand. Dies führte zu einem Kanon von Gebäuden, deren Existenz in einer Stadt vorausgesetzt wurde, zur Nutzbarmachung technischen Fortschritts und zu einer stärkeren Betonung des Repräsentationscharakters vieler Bauwerke - bis hin zum "Verlust des Funktionalen" in der Spätantike (371). Die negative Kehrseite der Medaille, mitbedingt durch das Bestreben der Oberschicht nach Ansehen und den Wunsch der Städte nach Anerkennung durch den Kaiser, ist, dass man nur wenige neue Ideen entwickelte, sondern lieber in übersteigertem Maße Überkommenes wiederholte. Die Unfähigkeit der Städte, dadurch ihre innere Zerrissenheit zu überwinden, habe letztendlich dazu geführt, dass das Christentum die "ausgehöhlte, leere heidnische Kultur durch neue Inhalte" zu ersetzen vermochte.

Thomas Corsten