Rezension über:

Tina Hülser: Aufbau und Intensivierung kirchlicher Verwaltung im Erzbistum Köln im 17. Jahrhundert an Beispielen aus der Amtszeit des Kölner Generalvikars Paul von Aussem (= Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte; Bd. 16), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, 126 S., ISBN 978-3-631-53873-9, 27,50
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Rezension von:
Johannes Burkardt
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Staatsarchiv Münster
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Burkardt: Rezension von: Tina Hülser: Aufbau und Intensivierung kirchlicher Verwaltung im Erzbistum Köln im 17. Jahrhundert an Beispielen aus der Amtszeit des Kölner Generalvikars Paul von Aussem, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/9661.html


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Tina Hülser: Aufbau und Intensivierung kirchlicher Verwaltung im Erzbistum Köln im 17. Jahrhundert an Beispielen aus der Amtszeit des Kölner Generalvikars Paul von Aussem

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Die engagierte Staatsexamensarbeit gliedert sich in sechs Themenblöcke: Einer Einleitung in Thema, Quellen und Methode folgen im zweiten Block Ausführungen über Aufbau und Organisation der kirchlichen Verwaltung im Kölner Erzbistum und im dritten eine Beschreibung der kirchenrechtlichen Situation. Der folgende, vierte Themenkomplex ist primärquellengestützt und methodisch interessant: Es wird ein Band der Generalvikariatsprotokolle aus dem Jahr 1675 ausgewertet. Einem zusammenfassenden 5. Hauptkapitel folgt ein Material- und Bildanhang, die obligatorischen Technica (Literaturverzeichnis etc.) runden das Bändchen ab.

Die Einleitung ist in ihren Ausführungen über "Erkenntnisinteresse" und Methodik etwas ausufernd geraten, belegt aber eine gründliche und kritische Auseinandersetzung mit der Forschungslage. Zu Recht stellt Hülser fest, dass die verfassungs- und kirchengeschichtliche Forschung über das Erzbistum Köln vor fast einem Jahrhundert ausgesetzt hat. Ein Eindruck, der sich von Kapitel zu Kapitel verstärkt. Erstaunlich: sowohl über die Aufgabenverteilung, Kompetenzverschiebungen und Rivalitäten von Gremien und Ämtern wie Domkapitel, Archidiakone, Offizial, Weihbischof und Generalsekretär ist unser Wissen unvollständig. Festzustehen scheint nur, dass sich im 17. Jahrhundert allmählich eine Konsolidierung von Verwaltung und Ämterstruktur anbahnt. Auch das bisherige Bild der kirchenrechtlichen Verhältnisse gewinnt an Kontur - untersucht werden Bedeutung und Durchführung des Tridentinums im Erzbistum, wobei Hülser illustrierend die stufenweise "Implementation" des Ehedekrets "Tametsi" und die Bedeutung des Archidiakonatsamts in tridentinischer Theorie und Kölner Praxis herausgreift.

Besonders interessant, da quellenkundlich und methodisch unkonventionell, ist der Abschnitt über den Protokollband von 1675, der datenbankmäßig erfasst und ausgewertet wurde. Eine Statistik der protokollierten Rechtsgeschäfte ergibt ein Arbeitsprofil des Generalvikars Paul von Aussem, der vor allem mit Ehedispensen, Befugniserteilungen, Klostersachen, Stellenangelegenheiten (die konkreten Inhalte dieser Sammelbegriffe werden ausführlich beleuchtet) befasst war. Ein genauerer Blick auf die Einzelfälle belegt die in den Kapiteln 2 und 3 diagnostizierte fortschreitende Strukturierung der kirchlichen Verwaltung: Beschwerden über Amtsvergehen anderer Würdenträger bzw. über Eingriffe in die Befugnisse des Generalvikars bezeugen fortschreitendes Bewusstsein für ein geregeltes Verwaltungshandeln.

Mindestens ebenso wichtig wie die in den Kapiteln 2-4 getroffenen verwaltungsgeschichtlichen Aussagen ist die grundlegende Feststellung, wie unbeackert das Feld der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Erzbistums Köln noch ist (ein auch auf andere Regionen erweiterbares Phänomen?). Für die weitere Forschung sicherlich wegweisend ist die Erkenntnis, dass Kirchengeschichte auch quellenkundlich noch neue Wege beschreiten kann: Die von Hülser ins Visier genommenen Protokollbände sind bisher - zu Unrecht - allenfalls für prosopografische Fragen, nicht jedoch für tiefergehende strukturelle Untersuchungen herangezogen worden!

Eine Reihe von Mängeln - das Einleitungskapitel hätte geraffter sein, zahlreiche Wiederholungen hätten vermieden können, die Sprache ist stellenweise etwas hölzern - ist wohl dem Charakter einer Staatsexamensarbeit geschuldet. Dies schmälert den Gesamtwert keineswegs: Das Heftchen bietet einen erfrischenden und anregenden Blick in einen vergessenen, zum Teil bisher überhaupt nicht in den Blick genommenen Winkel der Kirchengeschichte!

Johannes Burkardt