Rezension über:

Sabine Klocke-Daffa / Jürgen Scheffler / Gisela Wilbertz (Hgg.): Engelbert Kaempfer (1651-1716) und die kulturelle Begegnung zwischen Europa und Asien (= Lippische Studien; Bd. 18), Lemgo: Institut für Lippische Landeskunde 2003, 355 S., ISBN 978-3-936225-11-2, EUR 25,00
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Rezension von:
Klaus Vollmer
Japan-Zentrum, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Vollmer: Rezension von: Sabine Klocke-Daffa / Jürgen Scheffler / Gisela Wilbertz (Hgg.): Engelbert Kaempfer (1651-1716) und die kulturelle Begegnung zwischen Europa und Asien, Lemgo: Institut für Lippische Landeskunde 2003, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 11 [15.11.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/11/10248.html


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Sabine Klocke-Daffa / Jürgen Scheffler / Gisela Wilbertz (Hgg.): Engelbert Kaempfer (1651-1716) und die kulturelle Begegnung zwischen Europa und Asien

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Dieser Sammelband ist aus Vorträgen hervorgegangen, die die Stadt Lemgo zum 350. Geburtstag von Engelbert Kaempfer, dem bedeutenden deutschen Forschungsreisenden des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts, veranstaltet hat. Das Werk steht so in einer längeren Reihe von Ergebnissen der Kaempfer-Forschung, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten anlässlich von Jubiläen auf Symposien präsentiert worden sind. Dabei ist es durch die geschickte Auswahl der Themen sowie die Fachkompetenz der AutorInnen gelungen, einen erstaunlich kohärenten Band zu erstellen, dessen Beiträge aus unterschiedlichsten Perspektiven einerseits die Person Kaempfers und seine Forschungen, andererseits seine Position in der frühen europäisch-asiatischen Begegnung sowie die Rezeption von Werk und Person bis ins 20. Jahrhundert detailliert beleuchten.

Ein Großteil der insgesamt 14 Aufsätze ist für die Publikation überarbeitet und um Anmerkungen und Literaturhinweise ergänzt worden. Eingeteilt in vier Abschnitte sind die Beiträge den Themen "Herkunft und Familie" (23-92), "Die Begegnung mit der islamischen Welt: Engelbert Kaempfers Persien-Bericht" (93-146), "Kulturvergleich und Beziehungsgeschichte: Europa und Japan" (147-263) und "Wirkungsgeschichte und Rezeptionsforschung" zugeordnet. Allerdings existieren zahlreiche Querverbindungen zwischen diesen vier Themenkomplexen; so beschäftigen sich etwa mehrere Aufsätze des dritten Teils auch ausführlich mit der Rezeptionsgeschichte von Kaempfers Japan-Werk in Japan selbst, eine Facette, die in der auf die europäische Wirkungsgeschichte Kaempfers konzentrierten historischen Forschung nicht immer in ausreichendem Masse deutlich geworden ist. In "Verschlossen wider Wissen - Was Japan von Kaempfer über sich lernte" (185-210) geht der Erfurter Historiker und Japanologe Reinhard Zöllner unter anderem der Frage nach, wie die von Kaempfer - und einer ganzen Reihe von Gelehrten bis Mitte des 18. Jahrhunderts - überaus positiv beurteilte, seit den 1630er Jahren gültige "Abschließung" Japans gegenüber der Außenwelt von japanischer Politik, Gelehrsamkeit und Forschung aufgenommen und interpretiert worden ist. Der bis heute für die Konzeption der "Landesabschließung" gültige japanische Begriff "sakoku" ist überhaupt erst durch die Kaempfer-Übersetzung zu Beginn des 19. Jahrhunderts geprägt worden. Dabei zeigt Zöllner nicht nur die komplexen Wege der Rezeption in Japan, sondern im Rahmen seiner Darstellung der internationalen Beziehungen in Ostasien auch, dass von einer bewussten und zielgerichteten Politik der Landesabschließung erst ab den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts die Rede sein kann.

Auch der allgemeiner gehaltene Beitrag von Josef Kreiner ("Kaempfer und das europäische Japanbild", 245-263) behandelt diesen Komplex der Kaempfer-Rezeption in Japan. Es besteht eine gewisse Ironie darin, dass erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten sich auch in der japanischen Forschung eine durchaus positive Deutung der "Landesabschließung" allmählich durchsetzt, in dem Sinne nämlich, dass diese tatsächlich "ein Mittel (war), um sich angesichts der überwältigenden Differenz [...] zur Zivilisation der europäischen Staaten als Japan der Welt zu nähern" (207 f.). Auch der besonders spannende Beitrag des Kaempfer-Forschers Wolfgang Michel ("Kaempfers Japan und Dohms Kaempfer", 211-243) beschäftigt sich auf seine Weise mit Rezeptionstraditionen und Kaempfers Japanbild. Dabei zeigt er auf, wie sehr das in der Folgezeit so stark rezipierte Japan-Buch auch "eine Antwort auf Wünsche und Fragen [war], die in Batavia an ihn herangetragen worden waren." (226) Nur durch das erhebliche Vorwissen, welches Angehörige der europäischen Kolonie in Batavia über Japan bereits besaßen und von dem Kaempfer profitieren konnte, sowie die kaum zu überschätzenden Dienste seines japanischen Dolmetschers in Deshima/Nagasaki war es Kaempfer möglich, seine Studien zielstrebig zu betreiben. Michel integriert in seine Rezeptions- und Editionsgeschichte des Japan-Buches auch eine Skizze der Person Kaempfers und seiner beruflichen Karriere, die von vielen Unwägbarkeiten und Zufällen gekennzeichnet war. Allein im Rückblick gaukelt sie eine Zielstrebigkeit vor, die so tatsächlich gar nicht gegeben war. Dass Kaempfer "(v)on jener selbstherrlichen Aneignung der Welt, wie sie im Orientalismus des 19. Jahrhunderts kulminierte, [...] weitgehend frei" (228) war, ist ein Thema, das in den meisten der Beiträge im zweiten, dritten und vierten Abschnitt des vorliegenden Bandes variiert wird. Es ist klar, dass sich der berühmte Lemgoer damit als früher Repräsentant eines "Dialogs der Kulturen" empfiehlt, als den Wolfgang Thierse ihn in seinem Grußwort in Anspruch nimmt (343-350).

In einem sehr inspirierenden, auf eigenen umfänglichen Forschungen zur Asienrezeption in den europäischen Wissenschaften des 17.-19. Jahrhunderts basierenden Beitrag vergleicht der Historiker Jürgen Osterhammel Person und Werk Kaempfers mit Alexander von Humboldt ("Engelbert Kaempfer und die europäische Erfassung Asiens im 18. Jahrhundert", 265-281). Dabei unterstreicht er nicht nur die umfassende Gelehrsamkeit beider, sondern auch gewissermaßen "politikwissenschaftliche" Erkenntnisinteressen, die sich jeweils in Fragen nach gesellschaftlicher Ordnung und politischer Herrschaft in den bereisten Regionen äußerten. Besonders ist der Zugang beider dabei auch durch einen "kulturellen Relativismus" charakterisiert, der nicht etwa gegen das "grausame" und "barabarische" Asien polemisiert, "sondern kühl nach der Logik einer uns fremden Verhaltensweise (fragt)" (272).

Der vorliegende Band vereint Beiträge zu Biographie und Arbeitsweise Kaempfers mit Analysen jener Diskurse, die sein Werk speisten und den Wirkungen, die von seinen Schriften auf spätere Debatten ausgingen. Dass Kaempfer im frühen 20. Jahrhundert vielerorts fast vergessen war, mag als Indiz dafür gewertet werden, wie stark der orientalistisch-rassistisch geprägte Asiendiskurs des 19. Jahrhunderts den im besten Sinne aufklärerischen Ansatz Kaempfers überlagert hatte. In diesem Zusammenhang ist der Aufsatz des Historikers Jürgen Scheffler umso aufschlussreicher, weil er die Wiederentdeckung Kaempfers durch den Lemgoer Lokalhistoriker Karl Meier (1882-1969) und die Anreicherung des Kaempfer-Bildes mit NS-Ideologemen - durchaus auch im Sinne einer in den späten 1930er Jahren höchst zeitgemässen deutsch-japanischen Freundschaft - minutiös nachzeichnet ("Karl Meier, Engelbert Kaempfer und die Erinnerungskultur in Lemgo 1933 bis 1945", 305-341). Dieser Beitrag zum Kaempfer-Bild in der Lokalgeschichte bildet so das Pendant zu den beiden Aufsätzen am Anfang des Bandes, die auf je eigene Weise die örtlichen Wurzeln dieses Weltreisenden der Aufklärungszeit beleuchten: Nicolas Rügge untersucht die politische Situation der Grafschaft Lippe und der Stadt Lemgo in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (23-40), während Gisela Wilbertz unter dem Titel "Handwerker, Hexen und Gelehrte: Studien zur Familie Kemper/Kaempfer in Lemgo" (41-92) Überlegungen zum Herkunftsmilieu Kaempfers anstellt.

Diese mit zahllosen Archivquellen gesättigten Darstellungen verdeutlichen das politisch-soziale Milieu, aus dem der Gelehrte stammte und von dem er geprägt wurde - wie Osterhammel verdeutlicht hat, dürften die politische Zerrissenheit seiner Heimat am Ausgang des Dreißigjährigen Krieges wie auch die jugendliche Konfrontation mit Hexenverfolgungen in Lemgo seinen Blick etwa auf die Gesellschaften Persiens und Japans geschärft haben - und nicht zuletzt konnte ihm so Toleranz als ein besonders hohes Gut erscheinen.

Klaus Vollmer