Rezension über:

J. Molina Vidal / J.C. Márquez Villora: Del Hiberus a Carthago Nova. Comercio de alimentos y epigrafía anfórica grecolatina (= Col·lecció: Instrumenta; Vol. 18), Barcelona: Universitat de Barcelona 2005, 480 S., ISBN 978-84-475-2924-7, EUR 45,00
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Rezension von:
Manfred Hainzmann
Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Karl-Franzens-Universität, Graz
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Hainzmann: Rezension von: J. Molina Vidal / J.C. Márquez Villora: Del Hiberus a Carthago Nova. Comercio de alimentos y epigrafía anfórica grecolatina, Barcelona: Universitat de Barcelona 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 1 [15.01.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/01/11031.html


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J. Molina Vidal / J.C. Márquez Villora: Del Hiberus a Carthago Nova

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Seit Jahren bildet Barcelona mit dem Unternehmen CEIPAC das Mekka der Amphorenforschung, was die von Jose Remesal betreute Publikationsreihe "Instrumenta" eindrucksvoll belegt. Diese Führungsrolle wird auch durch die vorliegende Materialstudie unterstrichen, die für das Corpus der griechisch-römischen Amphorenstempel neue Maßstäbe setzt.

Das Ziel beider Autoren ist - ausgehend sowohl von eigenen wie von Untersuchungen ihrer französischen und italienischen Fachkollegen -, dem Handel mit jenen drei Hauptnahrungsmitteln nachzuspüren, deren Transportbehälter im gesamten Mittelmeerraum unübersehbare Spuren hinterlassen haben: Wein, Öl und Fischsoße. Dadurch dass wir einerseits immer mehr Detailkenntnisse über die Produktionsstätten besagter Tongefäße erlangen und andererseits durch das reiche archäologische Fundmaterial - wobei die Schiffswracks eine besondere Rolle spielen - auch das Netz der mediterranen Handelsrouten erschließen können, werden die Amphoren zu einer Art Leitfossil für die Erforschung des antiken Fernhandels. Als solches werden sie auch von Márquez Villora und Molina Vidal gesehen, ohne die für ihre Fragestellungen gleichfalls zu Gebote stehenden literarischen Quellen völlig auszuklammern.

Den Anfang der Studie bildet ein breiter historischer Abriss (Comercio de alimentos y epigrafía anfórica), die Analyse der Handelsbeziehungen (vom 2. Jahrhundert v. bis zum 2. Jahrhundert n. Chr.) zwischen der spanischen Ostküste und Italien sowie anderen Gebieten des westlichen Mittelmeeres betreffend. Auf einer soliden Materialgrundlage aufbauend, zeichnen die Autoren ein genaues Bild von den 'protostaatlichen' Produktionseinheiten an der Ostküste Spaniens und der Ausweitung des hiesigen Agrarhandels als Folge der römischen Eroberung. Der Schwerpunkt liegt selbstverständlich auf der Region zwischen der Ebromündung und Carthago Nova (Cartagena), dessen Hafen im Zuge der Herausbildung des 'polyzentrischen Handelssystems' eine zentrale Rolle spielen sollte. Überzeugend wirkt das aus den archäologischen Befunden und sonstigen Quellen (darunter auch epigrafischen) abgeleitete Modell eines von der italischen Hegemonie der späten Republik bestimmten Handelskreislaufes zwischen Carthago Nova, Apulien und Delos. Am Beispiel Cartagenas zeigt sich unter anderem die enge Verbindung von Marine- und Handelsinteressen, wie ja andererseits der Ausbau der römischen Fernstraßen nicht allein strategischen, sondern immer auch wirtschaftlichen Zielsetzungen gegolten hat. Die exzellente Materialkenntnis gepaart mit neuen Analyseverfahren sowie der Revision älterer Grabungsberichte und zum Teil unveröffentlicher Grabungsbefunde ermöglicht es den Autoren, ein minuziöses Bild von der Restrukturierung der Wirtschaft um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. zu zeichnen. Wie aus den spanischen Amphoren / -Aufschriften ersichtlich, strömten damals in beachtlichem Ausmaß spanische Produkte auf die mediterranen Märkte, und zwar sowohl als Folge des innerspanischen Wirtschaftswandels / -aufschwungs sowie der allgemeinen Interessens- und Kapitalverschiebungen während der Bürgerkriege.

Eine nochmalige Belebung erfuhr der Export spanischer Agrarprodukte am Beginn der römischen Kaiserzeit, einer Periode, in der neue sozialökonomische Bedingungen und insbesondere neue Kultivierungstechniken für einen Wandel des Agrarhandels sorgten und - bei gleichzeitigem Rückgang der italischen Weinimporte - die Provinzen Baetica und Tarraconensis einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Dieser führte zwangsläufig zu einer wachsenden Zahl von einheimischen Produzenten und Händlern, deren Namen jetzt auch auf den heimischen Amphoren und gelegentlich in der übrigen epigrafischen Hinterlassenschaft des Landes erscheinen. Als die herausragenden Umschlagplätze für den Export der spanischen Produkte erwiesen sich Dianium, Saguntum und Ilici Lucentum (Portus Ilicitanus). Interessant und wohl in ihren Einzelheiten noch nicht restlos geklärt bleibt jene Entwicklung im letzten Drittel des 1. Jahrhunderts n. Chr., bei der es nebst typologischen Veränderungen in der lokalen Amphorenproduktion auch zu einer Übernahme gallischer Amphorenmodelle (Gauloise 4) gekommen ist.

Innerhalb der wirtschaftlichen Dynamik des 2. Jahrhunderts n. Chr. diagnostizieren die Autoren einen wachsenden Einfluss der staatlichen Annona sowie verschärfte finanzielle Konditionen für die diffusores und negotiatores olearii. Überhaupt wird nun eine direkte Beteiligung kaiserlicher Kontrolle unterstehender navicularii und mercatores bemerkbar, allesamt Maßnahmen, die letztlich einen Rückgang der spanischen Agrarproduktion zur Folge hatten. Doch registriert man neben neuen Handelsrouten auch neue Produkte. Carthago Nova stieg nun zum wichtigsten spanischen Exporthafen für Fischsoßen aller Art auf, während Saguntum immer noch große Quantitäten seines Weines zu exportieren in der Lage war. Aus der Verbreitung der Amphorentypen / -stempel ist die zunehmende Bedeutung der südgallischen Häfen, allen voran Massilia, für den Transport spanischer Produkte in die germanischen Provinzen ablesbar. Dass davon ein Gutteil für die Truppenverbände am Rhein bestimmt war, unterstreicht den hohen Stellenwert des römischen Heeres für den Agrarhandel insgesamt. Zum anderen entwickelten sich die Balearen zum bevorzugten Umschlagplatz für den westmediterranen Raum. Die Veränderungen in der Spätantike (ab dem 3. Jahrhundert) sind an die wachsende Bedeutung der afrikanischen Agrarproduktion geknüpft. Das alte Karthago löst nun in gewissem Sinne das neue ab und afrikanische Produkte / Erzeugnisse - darunter auch Amphoren - gelangen in die Region zwischen dem Hiberus und Carthago Nova, wo man zugleich die Ablöse der Dressel 20 durch neue Amphorentypen registriert.

Im folgenden Abschnitt legen die Autoren ihre Untersuchungsergebnisse zur Amphorentypologie vor, die der Studie sozusagen Handbuchcharakter verleihen. Darin findet man nebst einer genauen Beschreibung der einzelnen - natürlich nur für den Untersuchungsraum relevanten - Gefäßtypen und deren Tonqualität auch die wichtigste Forschungsliteratur; und zu jedem Gefäßtyp die entsprechenden Profilzeichnungen. Auf dieses Kapitel folgt der Katalog der griechischen und lateinischen Amphorenstempel sowie der Tituli picti (insgesamt 453 Stück). Was diesen Katalog für die Fachkollegen so wertvoll erscheinen lässt, sind die vielen neuen und hier erstmals veröffentlichten Stempel(-typen). Alle wurden im Maßstab 1:1 umgezeichnet und nach einer überschaubaren und vernünftigen, das heißt nicht ausufernden Systematik beschrieben. Lobenswert sind dabei auch die Diskussion einzelner Lesarten sowie das partielle Eingehen auf aktuelle Forschungsprobleme.

Wie zu erwarten bietet dieser vorzügliche Corpus-Band auch eine 'Documentación gráfica' des ausgewerteten Fundmaterials, an der sich vornehmlich der (Grabungs-)Archäologe und Amphorenspezialist orientieren wird, ergänzt und abgerundet durch eine Fülle von Indizes, die dem epigrafisch interessierten Benutzer das Namengut sogar über einen rückläufigen Wortindex erschließen. Die in allen Teilen vorbildliche (Material-)Studie demonstriert, wie durch kombinierte historisch-typologische Analysen neue Einsichten in die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen des Imperium Romanum gewonnen werden können.

Manfred Hainzmann