Rezension über:

Hans-Peter Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer, München: DVA 2004, 218 S., ISBN 978-3-421-05838-6, EUR 17,90
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Rezension von:
Anselm Doering-Manteuffel
Eberhard Karls Universität, Tübingen
Empfohlene Zitierweise:
Anselm Doering-Manteuffel: Rezension von: Hans-Peter Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer, München: DVA 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 1 [15.01.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/01/8180.html


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Hans-Peter Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer

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Mit seinen "Anmerkungen zu Adenauer" nimmt Hans-Peter Schwarz nicht nur im Titel direkten Bezug auf Sebastian Haffners "Anmerkungen zu Hitler", die 1978 erschienen und rasch zu einem Klassiker der historisch-politischen Literatur wurden. Vielmehr bezieht sich Schwarz ganz konkret auf die Bauformen Haffnerschen Erzählens, wenn er sagt, dessen "Methodik einer thematisch geordneten Diskussion eignet sich zur Entschlüsselung Adenauers, in dem heute bemerkenswert viele, auch junge Deutsche inbegriffen, vor der Folie des wenig inspirierenden Politikbetriebs unserer Tage so etwas wie eine positive Leitfigur sehen" (8). Haffner hatte sein Buch in sieben Abschnitte aufgeteilt, die eine Steigerung ins Negative zeigten: Leben, Leistungen, Erfolge, Irrtümer, Fehler, Verbrechen, Verrat. Schwarz übernimmt den Siebener-Schritt, aber aus sachlichen Gründen versagt er sich die direkte Umkehr der Haffnerschen Konzeption, die Adenauer ins Positive steigern müsste. So heißt es hier: Leben, Leistungen, Außenpolitik, Verrat?, Modernisierung, Nachtseiten, Was bleibt?

Im Zuge der Erzählung tritt die Spiegelung an Hitler ganz in den Hintergrund, und das ist auch gut so. Adenauer folgte Hitler nach, aber er war kein Nachfolger. Er stand vor der Aufgabe, das zertrümmerte Land wieder aufzubauen und die moralische Trümmerlandschaft so weit zu ordnen, wie es die knappe Zeit von anderthalb Jahrzehnten zuließ. Der Bezug auf die "Anmerkungen zu Hitler" ist ein Bezug auf Haffner, nicht auf Hitler. Haffner hatte aber über Hitler nichts Monografisches verfasst, als er seine Anmerkungen schrieb. Er brachte in diesem Buch seine persönlichen Erinnerungen an den aufstrebenden Nationalsozialismus, seinen tiefen Ekel vor der "Bewegung" und dem "Volk", seine Erfahrungen aus der Emigration und sein politisches Engagement als parteinehmender Journalist zum Ausdruck. Das machte die Wucht des Buches aus. Schwarz' Bezug auf Haffner geschieht vor dem Hintergrund des eigenen magistralen Œuvre über die Ära Adenauer und die Biografie seines Helden. Schwarz hält Rückschau, nicht zuletzt auf sein eigenes Werk. Das macht die beiden Bücher unvergleichbar; Hitler ist einfach zu widerwärtig in seiner umfassend zerstörerischen Energie, um sein Bild bei der Betrachtung Adenauers mitlaufen zu lassen. Die Historiker mögen zu Adenauer stehen, wie sie wollen, und seine Ära als miefig, restaurativ bezeichnen, oder als eine erste Gründung, der die eigentliche Gründung des freiheitlichen Gemeinwesens am Ende der Sechzigerjahre noch folgen musste - Konrad Adenauer war eine große historische Persönlichkeit mit konstruktiver Kraft und einem klaren moralischen Wertekanon, und von den Erfolgen und Weichenstellungen seiner Ära sind die Deutschen in der Bundesrepublik bis heute geprägt, auch die Ostdeutschen. Man kann ihn mögen oder nicht, aber eine positive historische Größe wird ihm niemand absprechen.

Hans-Peter Schwarz setzt klare Akzente, wie man es von ihm gewohnt ist. Er zeigt den Menschen aus dem Kaiserreich, den katholischen Rheinpreußen, der Ostelbien und dessen ebenso arme wie hochnäsige Adelskaste nicht mag. Adenauer ist Sohn einer alten Handelsstadt, deren Oberschicht schlichtweg reich ist. Das zählt für ihn. Was die Kölner 1815 sagten, als sie mit der Rheinprovinz an Preußen kamen, hätte Adenauer als Oberbürgermeister in den Zwanzigerjahren auch sagen können: "Da heiraten wir aber in eine arme Familie ein!" Rheinische Weltoffenheit ist lebensfroh, und zum Leben gehört genügend viel materieller Besitz. Adenauer war ein Meister des persönlichen Erwerbs und des großzügigen Schuldenmachens, um die Heimatstadt zur überlegenen Konkurrenz gegen Berlin zu gestalten. Adenauers konstruktive Dynamik beim Ausbau Kölns in den Zwanzigerjahren nimmt Schwarz mit Recht im Kapitel "Modernisierung" wieder auf. Adenauers Leben war geformt wie der ganze Mann. Familie, Kirche, bürgerlicher Habitus, Status und Disziplin gehörten zusammen. Das musste nicht "konservativ" sein, sondern es war konservativ nur dort, wo die Geformtheit des eigenen Lebens und Umfelds als Barriere diente gegen Formlosigkeit. Die rabiate Modernisierungsleidenschaft, der lässige Umgang mit Geld und die wache Bedachtsamkeit auf den eigenen Vorteil bildeten keinen Widerspruch zum konservativen Weltbild. Wie nebenbei bemerkt Schwarz, dass Adenauer zwei für das 20. Jahrhundert wichtige Prägungen fehlten: Fronterlebnis und Jugendbewegung. Er hatte damit keine Verbindung zu den Weltbildern der politischen Jugend der 1920er-Jahre, die nach 1945 das Unheil kleinlaut beschwiegen, das ganz überwiegend sie selbst im 'Dritten Reich', zumal im Krieg, angerichtet hatten.

Zu den Leistungen rechnet Schwarz nicht nur den politischen Aufbau des westdeutschen Gemeinwesens, sondern auch den wirtschaftlichen, weil Adenauer der "neoliberalen Wirtschaftspolitik" zum Durchbruch verholfen habe. Der Aufbau der interkonfessionellen CDU als erfolgreiche Volkspartei kommt hinzu, bevor im Abschnitt über die Außenpolitik die Wiedereingliederung in die Staatenwelt, europäische Integration und die Anbindung an die USA behandelt werden. Die Debatte über Neutralität, über den Dritten Weg, die Stalin-Note von 1952 und den Verlust der Ostgebiete wird hier ebenfalls skizziert und im folgenden Abschnitt unter der Überschrift "Verrat?" weitergeführt. Hier baut Schwarz nahezu einen persönlichen Konflikt zwischen Rudolf Augstein und Konrad Adenauer auf, indem er Augstein als "ganz anderes Kaliber" als die vielen Kritiker von Adenauers Deutschlandpolitik erscheinen lässt, ihn als Nationalisten reinsten Wassers bezeichnet und genüsslich den Bericht Otto Köhlers wiederholt, wonach Augstein im Spiegel "eine Art Mafianest von SS- und SD-Leuten aus dem Reichssicherheitshauptamt um sich versammelt hat" (123). Wiederum taucht hier das Problem Preußens auf, auch des Separatismus nach dem Ersten Weltkrieg. Adenauer war nicht der einzige, der wie Hugo Preuß seit 1919 eine "Reichsreform" für sinnvoll hielt, welche Preußens Übermacht in Deutschland durch verwaltungsmäßige Aufteilung überwinden sollte. Mit Separatismus hatte das nichts zu tun, aber es diente damals natürlich den französischen Interessen, die den rheinischen Separatismus stimulierten. Als Kölner dachte Adenauer zwar zeitlebens in westeuropäischen Bezügen, war gerade deshalb aber ein deutscher Patriot.

"Modernisierung" ist das gewichtige Kapitel überschrieben, in dem sich Schwarz mit der Wirkung seiner These aus den frühen 1980er-Jahren beschäftigt, die Ära Adenauer sei eine Zeit "aufregender Modernisierung" gewesen. Er verbindet das mit Adenauers Großzügigkeit beim Geldausgeben in den Kölner Jahren wie auch als Bundeskanzler, die er zuvor als Charaktermerkmal beschrieben hatte. Adenauers gelassener Umgang mit Geld zum Zweck von Innovation und Reform wurde ermöglicht durch seine wert- und traditionsgestützte persönliche Geformtheit. Wenn er mit Leuten zusammenarbeitete, die im 'Dritten Reich' verantwortungsvolle Posten innegehabt hatten (Schwarz erwähnt Oberländer und Globke, 159), dann tat er das im Wissen, dass Politik nur mit den Menschen gemacht werden konnte, die verfügbar waren - und die meisten waren nun mal keine Gegner des Nationalsozialismus gewesen. Und genauso wusste er, dass der Typus des anpassungsfähigen und -willigen Funktionärs sich jedes System anverwandeln kann, wenn es ihm dafür nicht an den Kragen geht. Ist das Zynismus? Es ist eher realistische Menschenkenntnis vor dem Hintergrund des Erlebten, und es setzte unbeirrbare Sicherheit der eigenen Wertorientierungen voraus. Das machte den ganzen Adenauer aus, und es nimmt nicht Wunder, wenn Schwarz anschließend über die "Nachtseiten" reflektiert - Egozentrik, Boshaftigkeit, Rachsucht, Streitlust, herrisches Verhalten. Sein Resümee wertet den Gründungskanzler abwägend und nachdenklich. Mit Golo Mann sieht er in Adenauers Leistung den "Sieg des Bürgers", er sieht einen Mann, dessen "beträchtliche institutionelle Nonchalance" aus der Gewissheit stammte, in seinem Milieu fest verwurzelt zu sein. Den Deutschen hat das gut getan, auch denen, die politisch andere Auffassungen vertraten.

Anselm Doering-Manteuffel