Rezension über:

Anne Pippin Burnett: Pindar's Songs for Young Athletes of Aigina, Oxford: Oxford University Press 2005, x + 276 S., ISBN 978-0-19-927794-0, GBP 50,00
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Rezension von:
Ingomar Weiler
Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Karl-Franzens-Universität, Graz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Ingomar Weiler: Rezension von: Anne Pippin Burnett: Pindar's Songs for Young Athletes of Aigina, Oxford: Oxford University Press 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/02/8525.html


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Anne Pippin Burnett: Pindar's Songs for Young Athletes of Aigina

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Die Autorin, die vor allem mit Publikationen zur Tragödie und Chorlyrik bekannt geworden ist, gliedert ihre Pindarstudien in zwei Teile, denen sie eine 'Introduction' voranstellt. Darin bietet Burnett zunächst einige kurze rezeptionsgeschichtliche Anmerkungen zur älteren Pindarforschung ab dem 17. Jahrhundert, um dann sogleich die Fragestellung, die im Zentrum ihres Forschungsanliegens steht, vorzustellen: Anhand jener elf Oden, die Pindar in den Jahren zwischen 490 und 440 v. Chr. für panhellenische Sieger aus Aigina verfasst hat - das ist fast ein Viertel aller seiner erhaltenen Epinikien -, versucht Burnett "to discover the pleasures taken and the influences felt as a particular audience watched each performance", und sie geht dabei der Frage nach: "How did these entertainments induce the shared joy (euphrosýna) that best put an end to the pain of contest [...]?" (5). Hier wird schon der Aspekt angedeutet, dem die Autorin Ihre besondere Aufmerksamkeit zuwendet: Wer trägt die Lieder bei der Siegesfeier vor und wie werden sie aufgenommen? In welchem Haus finden die Festivitäten statt? In welchem Bezug stehen sie zu den lokalen traditionellen Kulten auf der Insel? Es geht also primär um die Art der 'performance'.

Die Antworten darauf findet der Leser in den beiden Hauptteilen der mit einem großen wissenschaftlichen Zitatenschatz ausgestatteten Monografie. Die Disposition von "Part I. The Audience" (13-54) umfasst drei Kapitel. Zunächst wird im Abschnitt "Aigina and the Aiakids" (13-28) die Aufmerksamkeit des Lesers auf ökonomische und soziologische Besonderheiten, auf lokale mythografische und historiografische Traditionen und die Topografie der Insel gelenkt. Dabei betont Burnett die zentrale Rolle des mythischen Kulturheroen der Insel Aiakos: "With him all culture began, and he was celebrated with annual processions, sacrifices, and games" (20), aber auch die der anderen Sagengestalten wie etwa Achilles, der Telamonier Ajax, Aphaia, Chiron, Herakles, Peleus, Phokos, Psamathe, Telamon und Zeus werden in dieser Einführung behandelt. Daran schließt im Kapitel "The Pediments of the Aphaia Temple" (29-44) eine ausführliche Besprechung der Giebelfiguren und später vorgenommener Neugestaltungen an. Bei ihrer Besprechung der berühmten 'Aigineten' folgt die Autorin den Deutungen von Dieter Ohly, "who liberated the Munich pieces from their smug Thorwaldsen reconstructions" (33). Für Ohly galt als "Schlüssel zum Verständnis [...] der griechische Begriff 'Agon' oder 'Athlos'. [1] Beim Vergleich des Ost- und Westgiebels, die den Kampf um Troia illustrieren wollten, kommt Burnett zu dem Schluss, dass die beiden Kompositionen nahezu identisch seien, und sie verwehrt sich gegen Interpretationen, wonach die Aufstellung der beiden Figurengruppen Propagandazwecken gedient habe. Im 3. Abschnitt von Part I, "Contest and Coming of Age" (45-54), widmet sich die Autorin den Besonderheiten der aiginetischen Pindaroden, die sie in einem Konnex mit der Neuaufstellung der Giebelskulpturen des Aphaia-Tempels nach 500 v. Chr. sieht. Dazu zählen das jugendliche Alter der besungenen Sieger, deren auffallende Präferenz für die schwerathletischen Disziplinen des Pankrations und Ringens (nur je ein Läufer und ein Pentathlonike), das Fehlen der hippischen Agone und die Konzentration auf die in der Nachbarschaft liegenden panhellenischen Wettkampforte Isthmia und Nemea. Burnett erklärt diese Fakten damit, "that panhellenic contest was primarily the business of boys [...], its characteristic form being a one-to-one struggle between pairs of naked opponents. It was a trial held on foreign ground, one that meant blood, lost teeth, injury, possibly even death, but one in which courage and 'sharp-shifting' trickery [...] could triumph [...]. For the sons of this island mainland competition was patterned like a rite of passage" (46). Das traditionelle, mit sieben Jahren einsetzende athletische Erziehungsprogramm der Dorer, die frühe Teilnahme zunächst an lokalen Wettkämpfen beim Aiakeion, Delphinion oder Heraion auf der Insel, dann in Megara, Epidauros, Nemea und Isthmia, wohl auch die in mehreren Oden von Pindar gepriesenen Trainer werden als weitere Gründe für die sportlichen Erfolge der aiginitischen Jugend angeführt.

Im Hauptteil des Buches, "Part II: The Performances" (57-250), untersucht Burnett in elf Abschnitten je ein pindarisches Epinikion. Dabei folgt die Autorin der konventionellen Chronologie der Epinikien mit Ausnahme des Nemeoniken Sogenes, den sie für das Jahr "c.461 BC" ansetzt. [2] Die elf Lieder für die erfolgreichen aiginetischen Athleten - bemerkenswerterweise gehören sie alle den Jugendkategorien zwischen 12 und 18 Jahren an - stehen unter einem Motto, das auf die mit Aigina assoziierte Mythografie anspielt: Pankratiast Pytheas: "Peleus' Wedding Song", Pankratiast Phylakidas: "The Engendering of Ajax" und "Achilles and Telephos", Pankratiast Kleandros: "A Monster Avoided", Ringer Kallikles: "Wrestling with a Form-Changer", Pankratiast Aristokleidas: "The Education of Achilles", Ringer Alkimidas: "Athletes as Heroes", Läufer Deinias und sein Vater Megas: "Slander and Praise", Pentathlonike Sogenes: "Neoptolemos at Delphi", Ringer Alkimeson: "Aiakos at the Walls of Troy", Ringer Aristomenes - er war auch Pentathlonike bei lokalen Agonen: "A Phantom's Dream". So ist der Leser auch nicht sonderlich überrascht, wenn mythologisch-philologische Gesichtspunkte bei den Oden-Interpretationen im Vordergrund stehen. Wer das politische und agonistische Umfeld auf Aigina näher kennen lernen möchte, ist gut beraten, auch die hier in Anmerkung 2 zitierte Monografie von Ch. Mann zu studieren. Mann widmet das sechste Kapitel (192-235) seines Buches ausschließlich dem 'Athletismus' im archaischen und frühklassischen Aigina und untersucht dabei auch die Oden Nr. 12 und 13, in denen Bakchylides die aiginetischen Siege des Ringers Teisias und des Pytheas besingt. In der Darstellung von Mann werden auch das Dichterlob für die Polis und die Sieger sowie deren Geschlecht, die Funktion der panhellenischen Siege, die einschlägigen Mythen sodann die aiginetische Wirtschaft und Gesellschaft, ferner die Rolle der erfolgreichen Athleten, der Trainer (aus Athen), und überhaupt des Sports und der Siegerfeste perspektiven- und ergebnisreich untersucht. Ich verweise hier auf diese Forschungen, weil sie von Burnett nicht berücksichtigt wurden.

In ihrem Schlusskapitel, einem 'Nachschlag' ("Afternote": 239-250), rückt Burnett nochmals das interaktive Wechselspiel, das beim Vortrag der Siegeroden zwischen dem Chor, dem gefeierten Sporthelden und seinem Publikum in der Heimatpolis stattfindet, ins Zentrum der Betrachtung: Die beim Vortrag der Epinikien anwesenden 'listeners' - damit sind der Sieger, seine Familie und Freunde, Alterskollegen und Gäste gemeint, in einem weiteren Sinn auch Chorsänger, Musikanten, Tänzer, Mythenerzähler und Zuschauer -, werden keineswegs als passive Zuhörer verstanden, sondern als "the audience as participant" (239). Burnett scheint hier ein literaturwissenschaftliches Kommunikationsmodell chorlyrischer Texte zu adaptieren, bei dem Verhaltensformen zwischen den einzelnen Interaktionspartnern zum Gegenstand eingehender Untersuchung geworden sind. Eine umfangreiche Bibliografie (251-265), ein "Index of Passages Cited" (267-269) und ein "General Index" (273-276) beschließen den Band.


Anmerkungen:

[1] Vgl. G. Ohly: Glyptothek München. Griechische und römische Skulpturen, 4. Aufl. München 1977, 63.

[2] Nach Ch. Mann: Athlet und Polis im archaischen und frühklassischen Griechenland. Göttingen 2001, 193, erstrecken sich die diversen Datierungsvorschläge auf "die gesamte Schaffenszeit Pindars"); s. hierzu die Rezension von Andreas Luther, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 1, URL: httphttp://www.sehepunkte.de/2004/01/3114.html

Ingomar Weiler