Rezension über:

Norbert Finzsch: Konsolidierung und Dissens. Nordamerika von 1800 bis 1865 (= Geschichte Nordamerikas in atlantischer Perspektive von den Anfängen bis zur Gegenwart; Bd. 5), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, VIII + 926 S., ISBN 978-3-8258-4441-7, EUR 86,90
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Rezension von:
Georg Schild
Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Nikolaus Buschmann
Empfohlene Zitierweise:
Georg Schild: Rezension von: Norbert Finzsch: Konsolidierung und Dissens. Nordamerika von 1800 bis 1865, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/02/8552.html


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Norbert Finzsch: Konsolidierung und Dissens

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Mit seinem Buch "Konsolidierung und Dissens" legt Norbert Finzsch den fünften Band einer auf insgesamt acht Bände angelegten Reihe dreier Autoren zur Geschichte der Vereinigten Staaten vor. Auf gut 700 Seiten Text entfaltet der Verfasser ein beeindruckendes Panorama der Entwicklungen in Amerika von der Wahl Präsident Thomas Jeffersons bis zum Ende des Bürgerkrieges.

Die wichtigsten Probleme, vor denen Amerika in den Jahren 1800 bis 1865 stand, waren Folge der raschen Expansion in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während sich das Territorium des Landes zu Beginn der Amtszeit Jeffersons noch auf Gebiete östlich des Mississippi beschränkte, dehnte es sich in den folgenden fünfzig Jahren durch den Kauf des Louisiana-Gebietes von Frankreich (1803) und als Folge des Krieges gegen Mexiko (1846-48) bis zum Pazifischen Ozean hin aus. Damit einher ging ein enormes Bevölkerungswachstum. Betrug die Zahl der Einwohner 1800 erst 5 Millionen, waren es am Vorabend des Bürgerkrieges 32 Millionen und 1870 bereits 40 Millionen. Gespeist wurde diese Zunahme unter anderem durch Immigrationswellen, die zwischen 1820 und 1870 nicht weniger als 7 Millionen Iren, Deutsche und Angehörige anderer Nationalitäten nach Amerika brachten. Gleichzeitig wurde Amerika urbaner. Während es 1810 weniger als 50 Städte mit mehr als 2.500 Einwohnern gab, waren es 1860 bereits fast 400.

Diese dynamische Entwicklung führte zu einer Reihe von gesellschaftlichen Konflikten. Ab den 1840er-Jahren organisierten sich in den USA fremdenfeindliche und antikatholische Gruppierungen wie die American Party (Know Nothings), die eine weitere Einwanderung nach Amerika begrenzen wollten. Zum zentralen Konfliktpunkt entwickelte sich jedoch der sektionale Gegensatz zwischen Nord und Süd in der Frage der Sklaverei. Die Südstaaten glaubten, ihre ausgedehnten Baumwoll-, Zucker- und Tabakplantagen nur mit Sklaven bewirtschaften zu können. Im Norden machte sich ab 1830 wachsender politischer und moralischer Protest gegen die Institution Sklaverei bemerkbar. Der Konflikt drohte die weitere Entwicklung Amerikas zu lähmen, weil die Aufnahme weiterer Staaten in die Union (und damit die wirtschaftliche Erschließung des Westens) unter dem Vorbehalt stand, die politische Machtverteilung zwischen freien und sklavenhaltenden Staaten nicht zu verändern. Bis in die 1850er-Jahre hinein gelang dies nur durch Vereinbarungen, die von den Zeitgenossen als bloße Kompromisse betrachtet wurden (Missouri Compromise, Compromise of 1850), weil sie das grundsätzliche Problem der Sklaverei nicht lösten.

1860 wurde mit Abraham Lincoln ein Politiker zum Präsidenten gewählt, der sich zeitlebens kritisch zur Sklaverei geäußert hatte, wenngleich er nicht zu den führenden Abolitionisten des Landes zählte. Unmittelbar nach seiner Wahl verkündete South Carolina den Austritt aus der Union. Bis Mai 1861 unternahmen zehn weitere Staaten diesen Schritt. Ihnen war die Aufrechterhaltung der Sklaverei wichtiger als der Fortbestand der Vereinigten Staaten. Der Norden nahm die Sezession jedoch nicht hin und kämpfte in einem Bürgerkrieg für die Wiederherstellung der Union und (explizit ab 1863) für die Beseitigung der Sklaverei. Der Krieg, der mindestens einer halben Million Menschen das Leben kostete, war die bislang größte Herausforderung für die Vereinigten Staaten. Die Erinnerung daran weckt auch heute noch das Trauma einer gespaltenen Nation.

Der Verfasser stellt die Entwicklungen und Probleme Amerikas im 19. Jahrhundert in beeindruckender Detailfülle dar. Größere Zeitabschnitte wie die Zeitalter Jeffersons und Andrew Jacksons werden ebenso souverän behandelt wie zentrale Ereignisse, etwa die Kriege von 1812 und 1846. Aber auch Aspekte des täglichen Lebens abseits von Krisen und Konflikten werden umfassend erörtert. Der Verfasser betrachtet das Bildungssystem Amerikas, gesellschaftliche Reformbemühungen (temperance), die Ausbreitung unterschiedlicher Religionsgemeinschaften und christlicher Utopien (Shakers, Oneida) sowie Entwicklungen im Wirtschafts- und Transportwesen.

Besonders hervorzuheben ist die ausführliche Darstellung zum Hintergrund und zum Verlauf des Bürgerkrieges. Sie kann als mustergültiges Beispiel für eine sich ergänzende Darstellung von Ereignissen und Strukturen angesehen werden. Bevor der Bürgerkrieg auf den letzten 120 Seiten des Buches im Detail beschrieben wird, sind dem Leser die zahlreichen mittelbaren und unmittelbaren Ursachen für den Konflikt (Sklaverei, Abolitionismus, unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungspfade in Nord und Süd, Entwicklung des Parteiensystems, Lincolns Wahlkampf 1860 usw.) bereits vor Augen geführt worden.

An dieser Stelle sei nur auf die Ausführungen zur Abolitionistenbewegung hingewiesen, mit denen der Verfasser die Vielschichtigkeit zeitgenössischer Erörterungen über Sklaverei und ihre Abschaffung deutlich macht. Mit dem Verbot der Einführung weiterer Sklaven 1807 hatten die Abolitionisten einen frühen Sieg errungen. Die Hoffnung, dass sich das Problem der Sklaverei damit von selbst lösen würde, erfüllte sich jedoch nicht. Die Zahl der Sklaven wuchs auch ohne weiteren Import in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts an. Damit sanken die Chancen einer Sklavenbefreiung, weil ihre Arbeitskraft für den Süden immer wichtiger wurde und weil auch die weiße Bevölkerung des Nordens gegenüber einer Freilassung aller Sklaven Bedenken hatte. Die meisten Nordstaaten hatten die Sklaverei zwar Ende des 18. Jahrhunderts abgeschafft, dennoch waren Schwarze dort nicht willkommen. So sah das Konzept des Abolitionismus lange Zeit die Deportation aller freigelassenen Sklaven nach Afrika vor. In den 1830er-Jahren radikalisierten sich die Auffassungen im Norden und im Süden. William Lloyd Garrison publizierte ab 1831 die Zeitschrift The Liberator; zwei Jahre später wurde die Anti-Slavery Society gegründet. Als Reaktion darauf verhärtete sich auch die Positionen des Südens. Auf die Frage, ob die Tätigkeit der Abolitionisten für den Ausbruch des Bürgerkrieges verantwortlich war, äußert sich der Verfasser zurückhaltend und sieht darin eine "notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für den Krieg" (559).

Der Verfasser trägt der Bedeutung des Bürgerkrieges als zentralem Ereignis der amerikanischen Geschichte, in dem unterschiedliche gesellschaftliche, wirtschaftliche und moralische Entwicklungen früherer Jahrzehnte kulminieren, Rechnung. Was man sich jedoch gewünscht hätte, wäre eine weitergehende interpretatorische Einordnung des Konfliktes in die Geschichte Amerikas. War der Krieg bereits bei der Gründung der USA angelegt, weil sich die Verfassungsväter 1787 nicht klar für ein Verbot der Sklaverei ausgesprochen hatten? Oder stellt der Bürgerkrieg eine notwendige Konsequenz aus der fortschreitenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Differenzierung des Landes seit 1800 dar? Müssen wir, mit anderen Worten, die gesamte erste Hälfte des 19. Jahrhunderts als antebellum period verstehen? Oder wäre der Krieg durch kurzfristige politische Zugeständnisse des Südens abzuwenden gewesen? Die Begriffe "Konsolidierung" und "Dissens", die dem Buch den Titel gaben, bieten sich für eine solche Interpretation an. Im Vorwort (eine Einleitung, in der der Verfasser sein wissenschaftliches Vorgehen kritisch reflektiert, fehlt leider) definiert der Verfasser "Konsolidierung" als "fortschreitende soziale Differenzierung im Innern" (1). Es bleibt jedoch offen, wer die Träger dieser Entwicklung waren und welche Interessen sie dabei leiteten. Damit bleibt auch unklar, ob für den Verfasser "Konsolidierung" und "Dissens" zwei unterschiedliche Konzepte sind. Hat es zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Änderung der Politik fort von der Konsolidierung hin zum Dissens gegeben? Oder beschreiben beide Begriffe die zwei Seiten einer einzigen Entwicklung? Müssen nicht alle Entwicklungen Amerikas in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - Westexpansion, Industrialisierung usw. - sowohl als Konsolidierung des Staates im Innern als gleichzeitig als Schritt hin zum Dissens zwischen Nord und Süd betrachtet werden?

Das vorliegende Buch über die Entwicklung der USA von 1800 bis 1865 wird sich schnell zu einem führenden Referenzwerk in deutscher Sprache entwickeln. Die Behandlung des umfangreichen Stoffes ist beeindruckend. Die chronologische Einteilung der Kapitel und das ausführliche Inhaltsverzeichnis machen das Werk trotz seines Umfanges sehr übersichtlich. Der Text ist hervorragend lesbar und wird vervollständigt durch einen nützlichen Anhang und ein beeindruckendes Literaturverzeichnis. Wenn etwas das Lesevergnügen stört, dann sind es die schlecht reproduzierten Karten und der sehr hohe Preis des Buches.

Georg Schild