Rezension über:

Peter H. Wilson (ed.): 1848. The Year of Revolutions, Aldershot: Ashgate 2006, XXIV + 556 S., ISBN 978-0-7546-2569-8, GBP 125,00
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Rezension von:
Jürgen Müller
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Müller: Rezension von: Peter H. Wilson (ed.): 1848. The Year of Revolutions, Aldershot: Ashgate 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 7/8 [15.07.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/07/12314.html


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Peter H. Wilson (ed.): 1848

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Das Kompendium ist der elfte Band in der von Jeremy Black herausgegebenen Reihe "The International Library of Essays on Political History", deren Ziel es ist, "key episodes and issues in political history" (Series Preface, ix) in den Blick zu nehmen. Das Jahr der Revolutionen von 1848 ist eine dieser Schlüsselepisoden, die, so stellt Wilson in seiner Einleitung fest, "made a real difference in European history" (xviii). Der von ihm zusammengestellte Band präsentiert im photomechanischen und mit der ursprünglichen Paginierung versehenen Nachdruck eine Reihe von sogenannten "seminal essays" zu 1848, zentralen Beiträgen also, die in besonderer Weise die Forschung befruchtet und das Thema erschlossen haben.

Betrachtet man den Band unter dieser Prämisse, dann wird der Anspruch, die maßstabsetzenden Forschungsaufsätze zu vereinen, schon durch die Beschränkung auf anglophone wissenschaftliche Zeitschriften ganz erheblich beeinträchtigt. Gewiss finden sich hier auch einige wichtige Aufsätze von nicht-angelsächsischen Historikern wie Matthias Schulz, Carola Lipp und Lothar Krempel, Alf Lüdtke und Istvan Deak. Es fehlen aber auffälligerweise gänzlich französische oder italienische Autoren, die, so muss man mutmaßen, nicht in englischsprachigen Journalen publiziert haben. Die Mehrzahl der 20 Aufsätze, die aus 13 verschiedenen Zeitschriften entnommen sind, stammt von anglophonen Autoren. Genau die Hälfte der Beiträge wurde erstmals in dem Jahrzehnt von 1972 bis 1982 veröffentlicht, jeweils fünf datieren aus den 1990er Jahren beziehungsweise dem Zeitraum von 2000 bis 2004.

Ein näherer Blick auf die Anordnung der Beiträge, die für sich genommen zweifellos respektable Forschungsleistungen darstellen, lässt die Problematik der vorliegenden Sammlung noch deutlicher hervortreten. Die Aufsätze sind in fünf Kapitel gruppiert, wobei auffällt, dass wichtige neuere Forschungsfelder wie die revolutionäre politische Kultur oder das regionale und lokale Revolutionsgeschehen nicht als eigenständige Teile vorkommen.

In Teil eins sind unter der Überschrift "International Dimension" zwei Aufsätze zusammengeführt: Ein Beitrag von Matthias Schulz über "Domestic Pressures and International Systemic Constraints in the Foreign Policies of the Great Powers, 1848-1851" (German History 21, 2003, 319-346), sowie der Artikel von Miles Taylor über "The 1848 Revolutions and the British Empire" (Past and Present 166, 2000, 146-180). Ohne die wissenschaftliche Leistung der beiden Autoren schmälern zu wollen, stellt sich doch die Frage, ob dies die "seminal essays" zu dem Thema sind und ob mit den beiden Beiträgen die internationale Dimension der Revolution(en) von 1848 hinreichend beleuchtet wird.

Ähnliche Zweifel kommen beim zweiten Teil auf, der fünf Aufsätze aus der Zeit von 1972 bis 1981 zu den "National Experiences" enthält, die auf Großbritannien, Spanien, Italien, Ungarn und die Frankfurter Nationalversammlung eingehen - wieder fällt das Fehlen von Frankreich auf.

Teil drei widmet sich der "Political Mobilization", wobei vier der sechs Beiträge die Ereignisse in Deutschland behandeln. Hier finden sich so wichtige Untersuchungen wie die von Carola Lipp und Lothar Krempel über "Petitions and the Social Context of Political Mobilization in the Revolution of 1848/49: A Microhistorical Actor-Centred Network Analysis" (International Review of Social History 46, 2001, 151-169), von James M. Brophy über "Violence Between Civilians and State Authorities in the Prussian Rhineland, 1830-1846" (German History 22, 2004, 1-35), und Jonathan Sperber zu den "Festivals of National Unity in the German Revolution of 1848/49" (Past and Present 136, 1992, 114-138).

Es folgen in Teil vier fünf Aufsätze zum Thema "Counter Revolution and the State" mit Beiträgen zu Preußen, dem deutschen Südwesten, Italien, Frankreich und Habsburg. Hier werden wichtige Aspekte abgehandelt, doch ein übergreifendes Bild der Gegenrevolution in den Jahren 1848/49 wird für keines der revolutionären Zentren gezeichnet. Vielmehr reichen einige Beiträge weit in den Vormärz zurück, Karl H. Wegerts Aufsatz beschäftigt sich gar mit der Kontrolle der Gesellschaft durch den Staat im südwestlichen Deutschland zwischen 1760 und 1850 - für die Thematik des Bandes ist das gewiss kein Schlüsseltext.

Den Abschluss bildet der Teil fünf unter der Überschrift "Legacy" mit zwei Beiträgen, welche die vielschichtigen Wirkungen der Revolutionen von 1848 nur bruchstückhaft sichtbar werden lassen. Behandelt werden hier nämlich zum einen "Garibaldi and the Legacy of the Revolutions of 1848 in Southern Spain" und die "Commemorations of the Revolution of 1848 and the Second Republic". Es drängt sich der Verdacht auf, dass zumindest bei dem erstgenannten Titel das primäre Kriterium für die Aufnahme in den Band das Faktum war, dass er in einer englischsprachigen Zeitschrift erschienen ist. Zu den Wirkungen der Revolution(en) gibt es nun wahrlich relevantere Beiträge, wie etwa den Aufsatz von Dieter Langewiesche über die "Wirkungen des 'Scheiterns'. Überlegungen zu einer Wirkungsgeschichte der europäischen Revolutionen von 1848", der allerdings schon allein deshalb keine Berücksichtigung finden konnte, weil er in deutscher Sprache in einem Beiheft der Historischen Zeitschrift veröffentlicht wurde. [1]

Der Ausschluss nicht-englischsprachiger Publikationen muss befremdlich wirken in einer Reihe, die sich "International Library of Essays" nennt, zumal dann, wenn wir es mit einem so internationalen Thema wie den Revolutionen von 1848 zu tun haben, bei deren Erforschung deutsche und französische Historiker vielfach wegweisend (gewesen) sind. Auch die anglophone Historikerschaft kann mit einem Sammelband, der diese nur dann wahrnimmt, wenn sie auf englisch publiziert haben, nicht zufrieden sein. Im Grunde ist es aber für alle, die sich wissenschaftlich mit 1848 beschäftigen, eine Zumutung, wenn ihnen eine derart von einem wissenschaftsfremden Kriterium bestimmte Auswahl angeboten wird.

Schließlich stellt sich ganz allgemein die Frage, warum man den stattlichen Betrag von 125 £, das entspricht etwa 200 €, für 20 Aufsätze investieren soll, wenn die ursprünglichen Publikationsorgane wie Past and Present, Historical Journal, Central European History, German History, European History Quarterly usw. in nahezu jeder Universitätsbibliothek vorhanden sind.


Anmerkung:

[1] Dieter Langewiesche (Hrsg.): Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte. Ergebnisse und Nachwirkungen. Beiträge des Symposions in der Paulskirche vom 21. bis 23. Juni 1998 (= Historische Zeitschrift, Beihefte, Neue Folge, Bd. 29), München 2000, 5–21.

Jürgen Müller