Rezension über:

Rüdiger Hansel: Jurisprudenz und Nationalökonomie. Die Beratungen des BGB im Königlich Preußischen Landes-Ökonomie-Kollegium 1889 (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Beiheft 10), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, XII + 304 S., ISBN 978-3-412-06206-4, EUR 37,90
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Rezension von:
Monika Wienfort
Technische Universität, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Monika Wienfort: Rezension von: Rüdiger Hansel: Jurisprudenz und Nationalökonomie. Die Beratungen des BGB im Königlich Preußischen Landes-Ökonomie-Kollegium 1889, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 9 [15.09.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/09/11240.html


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Rüdiger Hansel: Jurisprudenz und Nationalökonomie

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Wenn heute in den Geistes- und Sozialwissenschaften die Vorzüge der Interdisziplinarität und des internationalen Vergleichs "neu" entdeckt werden, können dies Kenner der Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts ganz gelassen hinnehmen: Gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, in dem sich zahlreiche Fachdisziplinen erst institutionell ausbildeten, war der Kontakt zu den Nachbarfächern mit vergleichbaren Gegenständen schon deshalb eng, weil wichtige Akteure in und außerhalb der Universität persönlich miteinander bekannt waren. Statt pauschal Konkurrenz und Eifersucht als Charakteristiken des Wissenschaftlerlebens zu vermuten, tut man gut daran, die Bereitschaft, Erkenntnisse anderer Fächer zur Kenntnis zunehmen, durchaus hoch einzuschätzen. Rüdiger Hansel hat in seiner rechtshistorischen Dissertation ein solches Musterbeispiel interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Rechtswissenschaft und Nationalökonomie näher betrachtet. Er rückt damit die gegenseitige Verflechtung zweier Disziplinen in den Mittelpunkt. Wie das zeitgenössische Recht ökonomische Denk- und Erklärungsansätze, aber auch Zielperspektiven in Betracht zog, gingen die Nationalökonomen von Rahmenbedingungen aus, die durch Recht und Staat festgelegt wurden.

Das Preußische Landes-Ökonomie-Kollegium war 1842 gegründet worden und erfüllte von Beginn an eine Doppelfunktion. Einerseits fungierte es als öffentlich rechtliche Dachorganisation mit Kammercharakter, andererseits füllte es die Position als oberstes Beratungsgremium des Landwirtschaftministeriums aus. Vor allem diese Beraterfunktion wurde 1889 aktiviert, als das Gremium um eine Stellungnahme zum Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches gebeten wurde. Insgesamt zwanzig Beamte und Professoren der Rechts- und Staatswissenschaften, Rittergutsbesitzer und Landwirte erarbeiteten Gutachten zu denjenigen Passagen des BGB, welche die Landwirtschaft betrafen. Diese Zusammensetzung zeugte für die Verbindung von Professionalisierung und Interessentenmobilisierung in der preußischen Agrarpolitik. Nach der Revolution 1918/19 erschien das Kollegium der neuen preußischen Regierung der "Weimarer Koalition" offensichtlich als zu deutlich an der preußischen Monarchie konservativen Typs orientiert. 1921 wurde das Gremium aufgelöst, an seine Stelle trat die Hauptlandwirtschaftskammer. Die personelle Kontinuität war allerdings bemerkenswert.

Hansels im Wesentlichen aus den veröffentlichten Berichten des Kollegiums gearbeitete Untersuchung konzentriert sich auf die Beratungen zu drei zentralen Problembereichen des BGB-Entwurfs, die für die Landwirtschaft bedeutungsvoll waren: Erstens das ländliche Kreditwesen, zweitens der Grundsatz "Kauf bricht Miete" bzw. "Kauf bricht Pacht" und drittens das Thema der Sachmängel und Gewährleistung beim Viehkauf. Die Beratungen brachten zunächst zum Ausdruck, dass die Einführung des BGB immer auch die Frage nach der Rechtsvereinheitlichung bzw. nach den Grenzen der Rechtsvereinheitlichung im Reich stellte. Einerseits sollten regionale Rechtsgewohnheiten erhalten bleiben, andererseits wiesen die Bedingungen des gesteigerten Güter- und Kapitalverkehrs auf das Bedürfnis nach Rechtsvereinheitlichung hin.

Das Thema der Verschuldung von Landbesitz bzw. die Debatte um die Eignung verschiedener rechtlicher Instrumente der Absicherung nimmt in der Untersuchung quantitativ den größten Raum ein. In der Debatte wurden die Vorzüge und Nachteile der Rentenschuld gegenüber der Hypothek und der Grundschuld abgewogen. Für die Rentenschuld sprach dabei aus der Sicht der ländlichen Kreditnehmer vor allem, dass sie an den Ertragswert des Grundbesitzes gebunden blieb. Hypothekarische, am Marktzins orientierte Schulden bezogen sich dagegen auf den Kapitalwert des Grundstückes. Die Grundschuld wurde vor allem mit Blick auf die Transaktionskosten diskutiert, die die Landwirte so gering wie möglich halten wollten. Die Kommission sprach sich zwar für eine Zulassung der Rentenschuld aus, empfahl aber nicht die vollständige Umstellung des ländlichen Kreditwesens auf dieses Instrument. Dabei bezog sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein, die zumindest in den 1860er- und 1870er-Jahren eine Kreditaufnahme am Kapitalmarkt erleichtert hatten. Statt einseitiger Interessenpolitik für Kreditnehmer oder -geber bemühten sich Juristen wie Ökonomen um eine gesamtwirtschaftliche Perspektive.

Während die Verschuldungsdiskussion unter den Kommissionsmitgliedern unterschiedliche Präferenzen aufgezeigt hatte, war die Ablehnung des in der Reichsöffentlichkeit äußerst umstrittenen Grundsatzes von "Kauf bricht Pacht" beinahe einhellig. "Sittlichkeit" und "Billigkeit" zu Gunsten von Mietern und Pächtern wurden als Argumente vorgebracht. Solche Ablehnung, die auch auf dem Juristentag 1888 und von Otto von Gierke geäußert wurde, zeigte Wirkung. Der Grundsatz, der in das BGB Eingang fand, lautete nun: Kauf bricht nicht Miete, wenngleich auch das BGB Eigentümern Möglichkeiten bot, sich von ihren Mietern zu trennen.

Hansels Untersuchung bietet insgesamt deutliche Anhaltspunkte für die selbstverständliche Gelassenheit und die Produktivität der Zusammenarbeit zwischen Juristen und Nationalökonomen zur Förderung einer marktwirtschaftlichen Ordnung am Ende des 19. Jahrhunderts. Gelegentlich erscheint die interdisziplinäre Harmonie schon beinahe als zu selbstverständlich. Das Kollegium stellte allem Anschein nach kein Lobby-Organ des Großgrundbesitzes gegenüber dem bäuerlichen Mittelbesitz dar. Allerdings könnte sich hier auch ausgewirkt haben, dass die sozialen Bedingungen ländlichen Besitzes manche historischen Antagonismen bereits entschärft hatten. Die Ablösung feudaler Lasten war im Wesentlichen abgeschlossen, Pachtverhältnisse auf dem Land traten gegenüber der selbstständigen Eigentümerbewirtschaftung durch Großgrundbesitzer wie Bauern in den Hintergrund. Ein Zusammengehen der Inhaber unterschiedlich großer landwirtschaftlicher Betriebe fand nicht nur in den politisch aktiven Lobbyverbänden wie dem Bund der Landwirte, sondern auch im Bereich der öffentlich-rechtlichen Kammern statt. Hansel kommt das Verdienst zu, diesen Bereich der preußischen Agrarpolitik neu sichtbar gemacht zu haben.

Monika Wienfort