Rezension über:

Andreas Tacke (Hg.): "... wir wollen der Liebe Raum geben". Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500 (= Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt; Bd. 3), Göttingen: Wallstein 2006, 487 S., ISBN 978-3-8353-0052-1, EUR 35,00
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Rezension von:
Sigrid Ruby
Institut für Kunstgeschichte, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Sigrid Ruby: Rezension von: Andreas Tacke (Hg.): "... wir wollen der Liebe Raum geben". Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500, Göttingen: Wallstein 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 9 [15.09.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/09/11842.html


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Andreas Tacke (Hg.): "... wir wollen der Liebe Raum geben"

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Das Liebesleben der Fürsten ist bis heute ein Dauerbrenner in den populären Medien. Hingegen hat sich die seriöse Wissenschaft dem Thema bislang eher zögerlich zugewandt. Das Vergil-Zitat im Titel des vorliegenden Bandes stellt hier ein Korrektiv in Aussicht: "wir wollen der Liebe Raum geben" - und dies auf fast fünfhundert tadellos edierten Buchseiten.

Der Tagungsband ist der letzte einer von Andreas Tacke herausgegebenen Trilogie zur Kunst- und Kulturgeschichte des mitteldeutschen Raumes um 1500. Wie schon bei den ersten beiden Moritzburgtagungen in Halle a. d. Saale bildete auch bei der dritten, im Frühjahr 2006 abgehaltenen Veranstaltung der ehemalige Hausherr Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490-1545) den Ausgangspunkt der Überlegungen. [1] Die der Welt zugewandte Lebensführung des Kirchenfürsten hatte seinerzeit die Kritik Martin Luthers provoziert. Der Reformator entlarvte das Zölibatsgebot als Heuchelei, beschimpfte Albrecht und andere im Konkubinat lebende Geistliche als unverfrorene "huren wirte" und forderte sie nachdrücklich auf, die Konsequenzen aus ihrem Verhalten zu ziehen und in den Stand der Ehe einzutreten. Durch die von reformatorischer Seite betriebene Moralisierung und Kriminalisierung des Konkubinats, das zu Beginn der Frühen Neuzeit im deutschsprachigen Raum weit verbreitet war, geriet die Organisation der Partnerschaft von Mann und Frau zum Politikum im Konfessionsstreit. Aus kunstgeschichtlicher Perspektive stünde unter anderem zu fragen, ob oder inwiefern Bildwerke und architektonische Strukturen beteiligt waren an diesem Diskurs über das Verhältnis der Geschlechter und des Glaubens.

Eine übergreifende Fragestellung dieser oder anderer Art liegt der Publikation jedoch nicht zugrunde. Wie schon die Tagung, so ist auch der daraus hervorgegangene Aufsatzband sehr heterogen. Das Material, vor allem aber die Interessen der einzelnen Autorinnen und Autoren sind allzu verschieden. Tacke spricht in seinem Vorwort - offenherzig und resignativ zugleich - von einem "Sammelband im herkömmlichen Sinn" (9) und versagt den Lesern eine orientierende Einleitung. Die als Anhang beigegebenen Zusammenfassungen in englischer und französischer Sprache machen das zum Teil wett und helfen bei der individuellen Lektüreauswahl aus den fünfzehn Einzelbeiträgen.

In der von dem Historiker Paul-Joachim Heinig vorgestellten "Konkubinatsanalyse für die geistlichen und weltlichen Fürsten" um 1500 wird deutlich, dass es eine Vielzahl struktureller Gründe für die Existenz und stillschweigende Akzeptanz nicht-ehelicher Partnerschaftsbeziehungen gab. Die Reformation änderte daran kaum etwas. Konkubinäre Arrangements wurden auch weiterhin toleriert, im "Mätressenwesen" des Barockzeitalters nach französischem Vorbild sogar zelebriert. In seinem luziden rechtshistorischen Beitrag zeigt Heiner Lück auf, dass das seit dem Zweiten Lateranskonzil von 1139 geltende Zölibatsgebot einer dieser strukturellen Gründe war (und womöglich auch weiterhin ist). Denn der im Konkubinat mit einer Frau lebende Geistliche, sei er Priester, Bischof oder Kardinal, entsprach dem kirchenrechtlichen Erfordernis der Nicht-Ehe. Dass es sich dabei in der Regel um eine sexuelle Beziehung handelte, provozierte zwar immer wieder kirchliche Reglementierungsversuche. Aber das Gebot der Nichtöffentlichkeit sicherte dem Klerikerkonkubinat eine Art von Toleranz und letztlich das Fortbestehen, ungeachtet der reformatorischen Kritik. Das sich aus diesem Gebot ergebende Quellenproblem liegt auf der Hand.

Der brillante Beitrag von Ellen Widder kümmert sich auch darum - um die "Quellen für Konkubinen und Bastarde bei Hofe" (55), die sie differenziert aufschlüsselt und als unterschiedlich zu handhabende Textsorten mit jeweils eigenen Problemen markiert. Die Historikerin tut dies im Kontext einer kritischen Frage nach dem "Platz, der außerehelichen sexuellen Beziehungen und illegitimen Kindern von der geschichtswissenschaftlichen Forschung bislang eingeräumt wurde", um dann wiederum den Platz auszuloten, den sie dort "über ihren wie auch immer beschaffenen Sensationsgehalt hinaus" zukünftig "beanspruchen dürfen" (39) oder sollten. Widder kann aufzeigen, dass das Thema - einmal ernsthaft und jenseits des Anekdotischen traktiert - ein enormes Potenzial hat sowohl für mehrere Teilbereiche der Geschichtswissenschaft (u. a. Sozial-, Mentalitäts-, Verfassungs-, Wissenschafts- und Geschlechtergeschichte) als auch für eine betont interdisziplinär ausgerichtete historische Forschung.

Die Relevanz des Themas und auch seine Fallstricke für die kunstgeschichtliche Disziplin aufzuzeigen, ist das Verdienst von Nina Trauth. Ihrem in jeder Hinsicht hervorragenden Beitrag über die "Interessen der Mätressenforschung" ist größtmögliche Rezeption zu wünschen. Trauths Interesse gilt dem Phänomen "Mätressenporträt", einer ebenso irreführenden wie hartnäckig tradierten Etikettierung anonymer, sinnlich akzentuierter Frauendarstellungen. Ausgehend von dem 1535 datierten "Bildnis einer Frau mit entblößtem Oberkörper" von Bartholomäus Bruyn d. Ä. (Nürnberg, GNM), das die Forschung ohne stichhaltige Beweise als Porträt einer Konkubine von Johann Gebhard von Mansfeld, dem Kölner Erzbischof, ansieht, zeigt Trauth auf, dass "der Gegenstand [i. e. das Mätressenporträt] mit dem Willen zur Identifizierung der 'schönen Frau' konstruiert wird." (128) Dieser Wille ist auf "Naturalisierungseffekte" in der Darstellung des nackten weiblichen Körpers zurückzuführen. Die "Abweichung von einem angenommenen Ideal [bringt] den Eindruck von Individualität hervor"(129), und ein erotisiertes "Porträt" eines weiblichen Individuums, wie es außer Barthel Bruyn zahlreiche weitere Künstler vom späten 15. bis ins 18. Jahrhundert entwarfen, führt in der einschlägigen Forschung wie auch in der populären Wahrnehmung reflexartig zu einer Identifizierung als Mätresse, Kurtisane, Konkubine etc. Trauths Überlegungen machen deutlich, dass zwischen dem kunsthistorischen Konstrukt des "Mätressenporträts" und der Repräsentation einer historischen Mätresse scharf zu trennen ist. Nach einer wohltuenden Herleitung und Differenzierung der in anderen Beiträgen des Bandes gerne synonym gebrauchten Begriffe "Konkubinat", "Mätresse" und "Kurtisane" analysiert Trauth mit sicherem Zugriff und kritisch aufbereitet die aktuelle Forschungsdiskussion zum "Mätressenporträt". Den Begriff will sie aus forschungsstrategischen Gründen beibehalten. Trauth stellt unter anderem die Arbeiten von Sigrid Schade und Daniela Hammer-Tugendhat vor, die sich nicht mit der fragwürdigen Identifikation weiblicher Aktdarstellungen, z.B. von Tizian, aufhalten, sondern stattdessen die Modi des "Zu-Sehen-Gebens" und die im Bild angelegte Interaktion zwischen Kunstwerk und Betrachter untersuchen. [2] Auch der neben anderen von Daniela Bohde praktizierte kulturwissenschaftliche Ansatz, der mittels einer Analyse des Inkarnats bzw. der Haut die historische Darstellung und Konzeption des Körpers befragt [3], mutet fruchtbar für eine Auseinandersetzung mit dem problematischen Korpus der "Mätressenporträts" an. Trauth verweist zudem auf neuere Überlegungen zum 'selbstbewussten Bild', denn im frühneuzeitlichen Bild der 'schönen Frau' geht es auch um die topische Analogisierung von Frau und Kunstwerk über das Vergleichsmoment der Schönheit, wird also auch ein genuin künstlerischer Diskurs inszeniert. [4]

Letzteres scheint der Beitrag von Vera Mamerow zu bestätigen, der Hans Holbeins Gemälde der "Laïs Corinthica" von 1526 (Basel, Öffentliche Kunstsammlungen) zum Thema hat. Der Künstler orientierte sich für diese Darstellung der wohl berühmtesten Hetäre der klassischen Antike an oberitalienischen "Kurtisanenbildern" insbesondere aus dem Umkreis Leonardos. Wie Mamerow darlegt, wählte Holbein das einschlägige Sujet und die nordalpin noch weitgehend unbekannte Bildformel, um die von Erasmus von Rotterdam propagierte "Einsicht, dass das äußere Erscheinungsbild nicht auf innere Werte schließen läßt" (460) zu visualisieren. Der Künstler habe "bewußt eine eklatante Diskrepanz zwischen der körperlichen Schönheit und [dem] elegantem Auftreten der Laïs und ihrem schäbigen Verhalten inszeniert."(458) Diese Lesart überzeugt, muss aber nicht die einzige sein. Die von Jürgen Müller in anderem Zusammenhang formulierte These, dass die Hetäre eine Identifikationsfigur für den um Aufträge buhlenden Holbein darstellt, ist ebenso interessant. [5]

Der Tagungsband macht auch und gerade in seiner Heterogenität deutlich, dass das Thema groß und beileibe noch nicht abgearbeitet ist. Es gilt, die Phänomene und Fragen zu sortieren, um gezielt Debatten anzustoßen, über die Fächergrenzen hinweg. Zu Kardinal Albrecht und seinen Konkubinen scheint vorerst alles gesagt.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Andreas Tacke (Hg.): Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, Göttingen 2005; und ders. (Hg.): "Ich armer sundiger mensch". Heiligen- und Reliquienkult in der Zeitenwende Mitteldeutschlands, Göttingen 2006. Siehe auch den Katalog zur Ausstellung "Der Kardinal Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen" (Halle a. d. Saale, 2006), hrsg. von Thomas Schauerte und Andreas Tacke, Regensburg 2006.

[2] Vgl. u. a. Sigrid Schade: "Himmlische und/oder irdische Liebe. Allegorische Lesarten der weiblichen Aktbilder der Renaissance", in: Allegorien und Geschlechterdifferenz, hrsg. von Sigrid Schade, Monika Wagner und Sigrid Weigel, Köln 1995, 95-112; Daniela Hammer-Tugendhat: "Kunst, Sexualität und Geschlechterkonstruktionen in der abendländischen Kunst", in: Neue Geschichten der Sexualität. Beispiele aus Ostasien und Zentraleuropa 1700-2000, hrsg. von Franz X. Eder, Wien 2000, 69-92.

[3] Daniela Bohde: Haut, Fleisch und Farbe. Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians, Berlin 2002.

[4] Vgl. u. a. Simone Roggendorf / Sigrid Ruby (Hg.): (En)gendered: Kunstdiskurs und weibliche Porträtkultur nördlich der Alpen, Marburg 2004.

[5] Jürgen Müller: "Von der Verführung der Sinne. Eine neue Deutung von Hans Holbeins 'Lais von Korinth' in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel", in: Hans Holbein der Jüngere, Akten des Internationalen Symposiums Basel 1997, hrsg. von Matthias Senn, Basel 1999, 229 ff.

Sigrid Ruby