Rezension über:

Marco Mondini: La politica delle armi. Il ruolo dell'esercito nell'avvento del fascismo, Bari / Roma: Editori Laterza 2006, 244 S., ISBN 978-88-420-7804-3, EUR 20,00
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Rezension von:
Amedeo Osti Guerrazzi
Università degli Studi di Roma "La Sapienza", Rom
Empfohlene Zitierweise:
Amedeo Osti Guerrazzi: Rezension von: Marco Mondini: La politica delle armi. Il ruolo dell'esercito nell'avvento del fascismo, Bari / Roma: Editori Laterza 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 9 [15.09.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/09/13651.html


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Marco Mondini: La politica delle armi

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Der Stand der italienischen Militärgeschichtsschreibung ist von enttäuschender Trostlosigkeit. Abgesehen von bedeutenden Gelehrten wie Giorgio Rochat, Piero Pieri und Lucio Ceva, deren Arbeiten für ebenso fundierte wie seriöse Forschung stehen, wird Militärgeschichte vorwiegend von Journalisten, Publizisten und Angehörigen der Streitkräfte betrieben, deren Zielsetzungen und Erkenntnisinteresse oftmals in bemerkenswerter Weise voneinander abweichen. Die Militärhistoriker in Uniform, die zumeist den Uffici storici der Teilstreitkräfte verbunden sind, arbeiten hauptsächlich mit den dort archivierten Akten und konzentrieren sich auf die - durchaus verdienstvolle - Analyse von Feldzügen und Operationen, wobei es ihnen fast immer darum geht, die im Ausland mit zuweilen harten Urteilen angezweifelte Kampfkraft der italienischen Truppen ins rechte Licht zu setzen. Journalisten und Publizisten traktieren dagegen immer wieder dieselben Themen wie die heroischen Missionen der Marine oder die Tragödie der italienischen Divisionen im Krieg gegen die Sowjetunion. Nicht selten geraten diese Autoren bei ihren epischen Schilderungen italienischer Heldentaten in das Fahrwasser der faschistischen Propaganda von einst und müssen ihrer Absicht Tribut zollen, für ein Publikum zu schreiben, das nichts von den dunklen Punkten der eigenen Militärgeschichte wie den Verbrechen im Zuge der faschistischen Kriege zwischen 1935 und 1943 wissen will. Als Beispiel für dieses Schrifttum mögen die zahllosen Veröffentlichungen von Giulio Bedeschi, einem Veteranen von der Ostfront, genügen, der Mussolinis Beitrag zum Unternehmen "Barbarossa" gleichsam als Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen erscheinen ließ.

Die Studie von Marco Mondini unterscheidet sich wohltuend von derartigen Publikationen. Das Ziel seiner weitgehend auf der Basis unveröffentlichter Quellen verfassten Untersuchung ist es, den Anteil des Militärs am Aufstieg des Faschismus zwischen 1919 und 1922 herauszuarbeiten. Damit liegt nun endlich ein ernst zu nehmendes Werk über die Schlüsselfrage nach dem Verhältnis des Königlichen Heeres zur Bewegung Mussolinis vor, über die man zwar viel diskutiert hat, ohne jedoch die einschlägigen Dokumente zur Hand zu nehmen. Dabei ist die Debatte praktisch zeitgleich mit dem Faschismus selbst entstanden. Die militärische Schlagkraft der faschistischen Stoßtrupps, der squadre d'azione, war bekanntlich nicht gerade überwältigend, aber dennoch gelang es ihnen, Teile Nord- und Mittelitaliens unter ihre Kontrolle zu bringen, ohne auf effektiven Widerstand zu treffen. Welche Rolle spielten die Sicherheitskräfte im Allgemeinen und das Heer im Besonderen bei diesen "Siegen" der faschistischen Schlägerkommandos? Und wie ist das Verhalten der Spitzenpolitiker des liberalen Systems zu bewerten? Waren vielleicht sie es, die ein entschlossenes Vorgehen der Armee gegen die gewalttätigen Faschisten verhinderten? Oder bestimmten gemeinsame Ziele und Perzeptionen das Verhalten der nominellen Verteidiger der bestehenden Ordnung gegenüber dem "Duce" und seinen Schwarzhemden? Hatte also, mit anderen Worten, Pietro Badoglio Recht, als er versicherte, seine Soldaten könnten dem faschistischen Spuk binnen weniger Tage ein Ende setzen, oder kam Marschall Armando Diaz der Realität näher, der vor einer Kraftprobe zwischen der Armee und den Faschisten warnte?

Mondini betont insbesondere die Unfähigkeit der liberalen Führungskräfte - allen voran Giovanni Giolitti -, das Befremden der Militärs zu begreifen, die sich von den Politikern um den verdienten Lohn des Vaterlandes für das vergossene Blut und die Opfer während des vergangenen Krieges gebracht sahen. Seit dem 4. November 1919, als die Regierung um Ministerpräsident Francesco Saverio Nitti alle Feierlichkeiten anlässlich des ersten Jahrestags des italienischen Sieges verbot, um die breite Anhängerschaft der Sozialisten nicht zu provozieren, ließen die Politiker praktisch keine Gelegenheit aus, um die ökonomischen und symbolpolitischen Forderungen aus den Reihen der Offiziere zu ignorieren. Mondini hebt nicht zuletzt auf die wichtige Rolle der Offiziere in der zweiten Reihe der militärischen Hierarchie ab, die sich etwa als Kommandierende Generäle von Armeekorps zu Komplizen der Faschisten machten und bewusst Anordnungen aus Rom sabotierten, gegen die kriminellen Ausbrüche der Schwarzhemden vorzugehen. Es waren also laut Mondini nicht die Politiker, die den Faschisten freie Hand lassen wollten, um den "Bolschewisten" eine Lektion zu erteilen, sondern die Militärs, die sich in einer Bewegung wieder erkannten, die den Ehrenschild der Armee hochhielt und den im Ersten Weltkrieg errungenen Sieg verteidigte. Es wäre also notwendig gewesen, den Bedürfnissen der Offiziere entgegenzukommen, um die öffentliche Ordnung im Königreich aufrechtzuerhalten.

Mondini hat ein verdienstvolles Buch geschrieben, auch wenn er in dem Bemühen, das Verhalten der Offiziere zu verstehen, die Drohungen und Übergriffe gegen die italienischen Offiziere nach dem Ersten Weltkrieg wohl überschätzt. Angriffe auf Offiziere in Uniform wurden nämlich von der nationalistischen und faschistischen Propaganda stark aufgebauscht, um insbesondere die als anti-italienisch diffamierte sozialistische Bewegung zu diskreditieren und um Sympathiepunkte im Bürgertum und bei den Offizieren selbst zu machen, die im Faschismus den einzigen politischen Fürsprecher sahen. Wie seinerzeit die Verantwortlichen, die hinter jedem Streik eine Revolution vermuteten, nimmt auch Mondini die "rote Gefahr" zu ernst. Doch weder die angeblich militärisch so starke Linke noch die Sozialistische Partei mit ihrer großen Anhängerschaft waren bekanntlich dazu in der Lage, der faschistischen Gewalt ernsthaft Paroli zu bieten. Dieser Widerspruch ist zu offensichtlich, als dass man ihn einfach hinnehmen könnte.

Aus dem Italienischen übersetzt von Thomas Schlemmer.

Amedeo Osti Guerrazzi