Rezension über:

Dieter R. Bauer / Klaus Herbers / Elmar L. Kuhn: Oberschwaben und Spanien an der Schwelle zur Neuzeit. Einflüsse - Wirkungen - Beziehungen (= Oberschwaben. Forschungen zu Landschaft,Geschichte und Kultur; Bd. 6), Ostfildern: Thorbecke 2006, 188 S., ISBN 978-3-7995-0129-3, EUR 34,90
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Rezension von:
Roland Béhar
Université Lille III-Charles de Gaulle
Redaktionelle Betreuung:
Susanne Lachenicht
Empfohlene Zitierweise:
Roland Béhar: Rezension von: Dieter R. Bauer / Klaus Herbers / Elmar L. Kuhn: Oberschwaben und Spanien an der Schwelle zur Neuzeit. Einflüsse - Wirkungen - Beziehungen, Ostfildern: Thorbecke 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/5563.html


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Dieter R. Bauer / Klaus Herbers / Elmar L. Kuhn: Oberschwaben und Spanien an der Schwelle zur Neuzeit

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Der vorliegende Tagungsband setzt sich mit den historischen Verbindungen zwischen Oberschwaben und Spanien auseinander, in einem Zeitraum, den man grob zwischen 1400 und 1650 abstecken kann. Was historisch unter "Oberschwaben" zu verstehen sei, bleibt indes unklar. Zwar wird hier auf die Arbeit Franz Quarthals verwiesen. [1] Geographisch wird im hier zu rezensierenden Band der Begriff Oberschwaben jedoch etwas erweitert: Mit einbezogen werden Vorarlberg, Ravensburg und Konstanz sowie Augsburg. Ob sich Oberschwaben historisch-geographisch als tragfähiger Begriff erweist, ist an der Kohärenz des Bandes zu prüfen. Das Bindewort "und", im Titel, verweist auf eine gewollt einseitige Betrachtung Spaniens aus der "oberschwäbischen" Perspektive.

Folgerichtig eröffnet sich der Band aus der Perspektive eines Oberschwaben, die Hieronymus Münzers, der 1494/95 eine Reise durch ganz "Spanien" unternahm. Anhand seines Reiseberichts beschreibt Klaus Herbers (9-31) die zeitgenössische Vielseitigkeit der Länder der Halbinsel. Der Reisebericht liefert eine positive, manchmal verwunderte Sicht auf das Land und beschreibt sowohl technische Kuriositäten als auch Trachten und religiöse Bräuche. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist Herbers' Beitrag allerdings wenig mehr, als das, was ein in spanischer Geschichte beflissener Geist aus dem Reisebericht selbst zu entnehmen vermag. Er bleibt deskriptiv. [2]

Die Schwaben, die im Spätmittelalter nach Spanien reisten, waren meistens Händler und Pilger, auch wenn Kontakte und Austausch auf gesellschaftlich höherer Ebene ebenfalls nachgewiesen werden können. Die frühen wirtschaftlichen Beziehungen beschreibt Andreas Meyer (33-52). [3] Die Verbindungen entstanden über Genua und den Handel mit Leinwand aus dem Bodenseeraum. Ab 1394 erscheint in Barcelona die nach ihren Geschäftsführern benannte Humpisgesellschaft aus Ravensburg. [4] 1420 erteilte Alfons V. von Aragón den deutschen und savoyardischen Kaufleuten ein Handelsprivileg. Von Barcelona, wo sich ab 1406 ein Faktor aufhielt, und Valencia wurden Safran und Zucker exportiert, letzterer besonders aus Valencia, wo die Gesellschaft ab 1461 eine Fabrik betrieb. Nach italienischem Modell wurden ebenfalls Bankgeschäfte geführt; der geplante Einstieg in die Tuchproduktion blieb erfolglos. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts erlag die Gesellschaft dem so genannten "Buddenbrook-Effekt", aber auch den Folgen ihrer Nichtbeteiligung an dem neu erschlossenen amerikanischen Markt und der Verschiebung der traditionellen Handelsrouten.

Was die Verbreitung der Druckkunst durch die Humpisgesellschaft angeht, so schreibt Meyer, dass "Angehörige ihrer Gesellschaft [...] im Jahre 1474 die hochmoderne Buchdruckkunst nach Spanien ein" [-führten] (49), was jedoch nur teilweise stimmt. Die Rede ist hier von einer zu Ehren der Heiligen Jungfrau 1474 in Valencia publizierten Sammlung von Gedichten, "Les Trobes en Lahors de la Verge Maria", von Lambert Palmart gedruckt, in einer Werkstatt, die einem Kaufmann der Humpisgesellschaft, Jakob Vitzlan, gehörte. Allgemein wird jedoch angenommen, dass dies nicht der erste Druck aus Valencia war, nur der erste erhalten gebliebene, und dass das erste spanische Buch, das sogenannte "Sinodal de Aguilafuente", vermutlich 1472 in Segovia gedruckt wurde, von einem aus Rom gekommenen Heidelberger, Juan Párix. Wenn also die Ehre der Einführung von Gutenbergs Kunst in Spanien zwar nicht den Oberschwaben gebührt, so darf ihre Mithilfe mitnichten unterschätzt werden (man denke dabei nur an Paul Hurus aus Konstanz, tätig in Barcelona und Zaragoza). [5]

Am Beispiel der Fugger lässt sich zeigen, wie verhängnisvoll eine anfangs erfolgreiche wirtschaftliche Verbindung mit Spanien sein konnte. Stephanie Haberer (53-69) schildert dies eingehend und betont, dass "eine umfassende Analyse der Entwicklung des 'Gemeinen Spanischen Handels' seit 1560 bis zu seinem Ende im Jahr 1645, aber auch des Barchent- und Leinwandexports des Maximilian Fugger (1587-1629) aus der Herrschaft Babenhausen nach Spanien und des sich daraus entwickelnden Cruzadahandels allerdings noch aussteht." (56) Eine Zusammenfassung dieses Themenkomplexes liefert nur das Werk Konrad Häblers, da Hermann Kellenbenz' Beiträge lediglich bis 1560 reichen. [6] Wohl pflegte man Handelsbeziehungen zu Katalonien und Aragón (Kupfer), aber den Kern der wirtschaftlichen Beziehungen bildeten Geldgeschäfte. Entscheidend war dabei die Bindung der Fugger an das Schicksal der Habsburger durch die Karl V. 1519 geleistete Unterstützung. Die Rückzahlung der geliehenen Gelder sollte mittels der Abgaben der großen spanischen Ritterorden (maestrazgos) sowie durch Bergbau (Quicksilber, in Almadén) erfolgen. Letzterer sollte sich als ruinös erweisen und hätte den Vorschuss weiterer Gelder erfordert. 1645 gaben die Fugger die wirtschaftlichen Beziehungen zu Spanien auf. Das Land hatte den Fugger ca. acht Millionen Gulden an Verlusten eingetragen.

In seinem Beitrag schildert Karl Rudolf (103-148) minutiös das Schicksal Karls V., dessen Verbindungen zu Oberschwaben einen Schwerpunkt seines Aufsatzes bilden. Gut herausgearbeitet ist besonders Karls Sorge um sein "Gedechtnus" (wie sein Großvater Maximilian I. es nannte): [7] die Memoria seines Projektes, an der sich, unter vielen anderen, der Augsburger Bischof Kardinal Otto Truchseß von Waldburg beteiligte. 1549 schenkte er dem Infanten Philipp eine reich illustrierte Chronik, die in der Beschreibung Karls V. ihren Höhepunkt findet. Sie ist aus konfessionshistorischer Perspektive besonders interessant, insofern sie in Augsburg noch zu Zeiten des Schmalkaldischen Bundes entstand und ihr Verfasser, Hans Tirol, unbemerkt Kritik gegen das Papsttum in den Text streute. Truchseß sollte die Erzherzöge Rudolf und Ernst 1563/64 an den spanischen Hof begleiten: Während Wien seine Erzherzöge - zu Bildungszwecken - nach Spanien schickte, begab sich der spätere Philipp II. nur einmal nach Mitteleuropa, zum Augsburger Reichstag 1550/51. Die Beziehungen waren asymmetrisch geworden.

Einen weiteren Beitrag zum Bild, das Karl V. (und seine spanischen Truppen) in der Geschichte hinterlassen hat, diesmal negativ, liefert Wolfgang Zimmermann (165-185) in seiner detaillierten Analyse der Rezeptionsgeschichte des "Konstanzer Spaniersturms" von 1548, der die Stadt für den Katholizismus zurückgewinnen sollte.

Franz-Heinz von Hye untersucht in seinem Beitrag den Wandel in den Darstellungen des mit Spanien eng verbundenen Heiligen Jakobs (149-163). Während er bis ins 18. Jahrhundert als Pilger bzw. im Kontext der Galgen- und Hühnerlegende dargestellt wird [8] (wie auch in den von Robert Plötz beschriebenen mittelalterlichen Pilgerfahrtmodellen, 71-102), so erscheint der Heilige Jakob ab jenem Jahrhundert als der Held, der die Mauren besiegte (Clavijo-Legende). Hintergrund dieses Wandels in der Wahrnehmung und Darstellung des Heiligen Jakob war die Türkengefahr, die besonders im österreichischen Raum zu einem Mentalitätswandel führte. Die Verbindung vom Habsburgischen Haus zur Santiago-Symbolik ist jedoch viel älter. Man findet sie bereits 1524 in einem vom Schatzmeister Maximilians I. im Freiburger Münster gestifteten Glasgemälde. Zahlreiche heraldische Zeichen markieren ebenfalls in einer bewussten "Wappenpolitik" die Präsenz einer mit Spanien verbundenen, gemeinsamen Herrschaft - denn auch Ferdinand I., ab 1525 offiziell Landesfürst Tirols, war als spanischer Infant geboren worden.

Insgesamt ein durchaus lesenswerter Band in den Einzelanalysen also, bei dem man jedoch den Leitfaden um die etwas fiktiv erscheinende Entität "Oberschwaben" vermisst, vor allem, wenn man den Band als Versuch, die Tragweite der Kontakte Oberschwabens mit Spanien einzuschätzen, versteht.


Anmerkungen:

[1] Franz Quarthal: "Historisches Bewußtsein und politische Identität. Mittelalterliche Komponenten im Selbstverständnis Oberschwabens", in: Peter Eitel / Elmar L. Kuhn (Hgg.): Oberschwaben. Beiträge zu Geschichte und Kultur, Konstanz 1995, 15-99.

[2] Eine deutsche Übersetzung des Reiseberichts durch Herber ist in Vorbereitung, in der Reihe "Fremde Kulturen in alten Berichten", hrsg. von Jürgen Osterhammel und Folker Reichert.

[3] Selbst Autor einer Arbeit zum Wesen des italienischen Notariats (Felix et inclitus notarius. Studien zum italienischen Notariat vom 7. bis 13. Jahrhundert, Tübingen 2000), greift Meyer hier auf folgende Autoren und Werke zurück: Hektor Ammann: "Deutsch-spanische Wirtschaftsbeziehungen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts", in: Hermann Kellenbenz (Hg.): Fremde Kaufleute auf der iberischen Halbinsel im 14. und 15. Jahrhundert, Köln 1970,132-155), Nikolas Jaspert: "Ein Leben in der Fremde. Deutsche Handwerker und Kaufleute im Barcelona des 15. Jahrhunderts", in: Franz Felten (Hg.): Ein gefüllter Willkomm. Festschrift für Knut Schulz zum 65. Geburtstag, Aachen 2002, 435-462, Johannes Vincke: "Zu den Anfängen der deutsch-spanischen Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen", Spanische Forschungen der Görresgesellschaft. Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 14 (1959), 111-182, Georg Wolfram: "Ein Überlinger in Barcelona 1383", Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 40 (1886), 113-115, Marina Mitjà: "Dificultades de la industria y el comercio alemanes para abrirse paso en Barcelona hasta 1410", Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 13 (1958), 188-228, und Wolfgang von Stromer: Oberdeutsche Hochfinanz 1350-1450, Wiesbaden 1970, und idem: "Oberdeutsche Unternehmen im Handel mit der iberischen Halbinsel im 14. und 15. Jahrhundert", in: Fremde Kaufleute, 156-175.

[4] Grundlegend ist die Auswertung der Papiere der Humpisgesellschaft durch Aloys Schulte: Geschichte der Ravensburger Handelsgesellschaft 1380-1530, 3 Bde., Stuttgart 1923.

[5] Zu Einführung der Druckerei in Segovia, siehe Ma. Luisa López Vidriero / Pedro M. Cátedra: La imprenta y su impacto en Castilla, Salamanca 1998, und, als allgemeinere Einführung, Julián Martín Abad: Los primeros tiempos de la imprenta en España (c.1471-1520), Madrid 2003.

[6] Konrad Häbler: Die Geschichte der Fugger'schen Handlung in Spanien, Weimar 1897; Hermann Kellenbenz: Die Fugger in Spanien und Portugal bis 1560. Ein Großunternehmen des 16. Jahrhunderts, 3 Bde., München 1990.

[7] Hierin verbindet sich der Aufsatz mit den Ansätzen der seit den 1980er Jahren besonders in Deutschland, in Spanien bisher leider weniger fruchtbar angewandten Memoria-Forschung; exemplarisch steht für diese Jan Dirk Müller: Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I., München 1982.

[8] Die Galgenlegende des Heiligen Jakob, zum ersten Mal im "Codex Calixtinus" dargestellt und unter anderen durch die "Legenda aurea" weit verbreitet, erzählt wie ein geiziger Wirt zwei Pilger, Vater und Sohn, des Raubes bezichtigt. Während letzterer für sein "Vergehen" gehängt wird, darf sein Vater nach Santiago de Compostela weiterwandern. Durch inniges Beten gewinnt er das Leben seines Sohnes zurück. Eine mitteldeutsche Fassung des "Passionals" des späten 13. Jahrhunderts fügte das "Hühnermotiv" hinzu (weitere Motive wurden auf diese Art ergänzt): Als der Wirt hörte, der gehängte Sohn sei nicht verstorben, spottete er, eher würden zwei Brathühner, die sich eben im Ofen befanden, auffliegen, als dass der Sohn wieder zum Leben erweckt worden sei. Die Hühner straften den Wirt Lügen und flogen aus dem Backofen in den Himmel. Unzählige Künstler fassten diese Legende in Worte und Bilder, so (für Oberschwaben) in der Überlinger Jodokuskapelle (2. Hälfte 15. Jahrhundert) oder in den oberrheinischen Altarreliefs (ca. 1520), die nun im Rosgarten-Museum von Konstanz, im Jewett Art Center des Wellesley College, Neu England (USA), und im Augustiner-Museum von Freiburg im Breisgau zu finden sind.

Roland Béhar