Rezension über:

Klaus Militzer: Die Geschichte des Deutschen Ordens, Stuttgart: W. Kohlhammer 2005, 225 S., ISBN 978-3-17-018069-7, EUR 25,00
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Rezension von:
Sven Ekdahl
Polish-Scandinavian Research Institute, Kopenhagen
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Sven Ekdahl: Rezension von: Klaus Militzer: Die Geschichte des Deutschen Ordens, Stuttgart: W. Kohlhammer 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/11233.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Klaus Militzer: Die Geschichte des Deutschen Ordens

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Es ist gewiss nicht alltäglich, dass ein deutsches wissenschaftliches Buch über ein hauptsächlich mittelalterliches Thema gleich nach dem Erscheinen für den brasilianischen Markt ins Portugiesische übersetzt wird, wie es bei diesem jüngsten Werk von Klaus Militzer, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Bochum, der Fall ist. [1] Das zeugt vom guten Urteilsvermögen der brasilianischen Kollegen, denn es handelt sich in der Tat um ein außerordentlich gelungenes und wertvolles Buch, um die Quintessenz jahrzehntelanger Forschungen über den Deutschen Orden, nicht nur in Preußen, sondern auch - was besonders wichtig ist - in den Ordensballeien und in Livland. Während Hartmut Boockmann in seinem bekannten, 1981 erschienenen Buch "Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte" das Interesse vor allem auf den preußischen Ordenszweig fokussierte, gelingt es Militzer mühelos, den Orden ganzheitlich als abendländisches Phänomen in allen Verzweigungen zu erfassen. Trotz des relativ bescheidenen Umfangs ist sein Buch eine wahre Fundgrube, gespickt mit erstaunlicher Detailkenntnis, die jedoch nicht ermüdet. Der Verfasser kennt sich in der jeweils aktuellen Forschungsdiskussion bestens aus und scheut sich nicht, Stellung zu beziehen. Er tut dies nach reiflichem Abwägen und nie unbedacht, hinter jedem Satz verbirgt sich ein wohl überlegter Gedanke. Das Buch ist herrlich unsentimental, macht keine "Verbeugungen" und hält sich mit moralisierenden Wertungen zurück. Auch das macht einen guten Teil seiner Bedeutung aus.

Auf den ersten rund hundert Seiten widmet sich Militzer nach einer kurzen Einleitung zunächst der Entstehung und Ausbreitung des Deutschen Ordens im 13. Jahrhundert. Ordensgründung, -regel, Aufbau und Organisation, die Politik der Hochmeister vor und nach dem Fall Akkons 1291, die Übersiedlung in die Marienburg 1309 und der Verwaltungsaufbau sind hierbei die ersten Stichworte, gefolgt von "Besitzentwicklung und Güterverwaltung im Orient und im Abendland". Es dürfte sich kaum jemand besser in der Geschichte der vielen Balleien in toto auskennen, deshalb sind die zwar kurzen, aber präzisen Darstellungen der Geschichte der einzelnen Balleien am Mittelmeer und im Deutschen Reich besonders zu begrüßen. [2] Dasselbe gilt für die Abschnitte über die Eroberung des Preußenlandes und die Errichtung der Ordensherrschaft in Preußen und Livland. [3] Auf eigenen umfangreichen Forschungen basiert der Abschnitt über die Ordenskorporation im 13. Jahrhundert und die Ordensmitglieder.

Die hundertjährige "Blütezeit" des Deutschen Ordens (1309-1410) war immer ein beliebtes Thema der Ordensforschung, besonders in Deutschland. Militzer erhebt hier eine warnende Stimme: "Eine solche Bezeichnung birgt aber Gefahren, weil biologische Sichtweisen auf historische Vorgänge übertragen werden und damit stillschweigend unterstellt wird, dass eine Korporation wie der Deutsche Orden einem biologischen Prozess ausgesetzt sei. Das trifft so aber nicht zu." (95) Dieser oft genug abgehandelten "Blütezeit" widmet der Verfasser knapp 50 Seiten. Es ist eine gelungene und zuverlässige Übersicht über die Geschichte des Ordens in Preußen, Livland und in den Balleien im 14. Jahrhundert. Wie gezeigt wird, war nicht überall "Blüte", denn in den Balleien herrschte zu jener Zeit ein wirtschaftlicher Rückgang, der teilweise mit der allgemeinen Agrarkrise in Europa in Verbindung stand (135 f.).

Mit Recht stellt Militzer fest, dass die bekannte Schlacht bei Tannenberg (Grunwald/ Žalgiris) 1410 "nicht nur eine Wende in der Geschichte Preußens, des preußischen Ordenszweigs und des Hochmeistertums markierte, sondern erhebliche Auswirkungen sowohl auf den livländischen wie den deutschen Ordenszweig hatte" (143). Er wendet sich damit gegen Versuche Boockmanns, die Bedeutung der Schlacht zu relativieren. Von der Belesenheit Militzers auch in Detailfragen zeugt seine Kenntnis der an recht versteckter Stelle veröffentlichten jüngsten Forschungsergebnisse, was das Schlachtgeschehen selbst betrifft (143 ff.). [4] Die Frage, warum der Meister von Livland so spät reagiert und seine Truppen dem Hochmeister nicht rechtzeitig zur Hilfe nach Preußen gesandt hatte (157), lässt sich beantworten: Dies hing mit einer vom livländischen Ordenszweig mit dem Großfürstentum Litauen vereinbarten dreimonatigen Aufkündigungsfrist eines Waffenstillstands vom 26. Mai zusammen.

Wertvoll ist die Zusammenstellung über die Folgen der Schlacht und ihre Auswirkungen nicht nur in Preußen, sondern auch in Livland, in den Balleien und in den Nachbarstaaten. Auch in diesem Kapitel "Der Niedergang der Ordensherrschaften im Baltikum 1410-1525 bzw. 1562" wird neben den politischen auch wirtschaftlichen und vielen anderen Aspekten, wie der Kriegführung mit Söldnern und den daraus resultierenden finanziellen Belastungen, der ihnen gebührende Platz eingeräumt. Der Leser wird zunächst durch die Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen zu den einschneidenden Ereignissen um die Jahrhundertmitte (Zweiter Thorner Frieden 1466) und von dort bis zum Ende des preußischen Ordenszweigs 1525 geführt, anschließend folgen entsprechende Darstellungen der Geschehnisse in Livland und in den Balleien. Es ist ein gelungener Aufbau, der Vieles einfängt, ohne Verwirrung zu schaffen.

Mit einer komprimierten Darstellung "Der Deutsche Orden in der Neuzeit (16.-20. Jahrhundert)" endet der Textteil des Buches. Bei einer Neuauflage wäre es wünschenswert, an dieser Stelle mit ein paar Zeilen auch die unhistorische Verwendung des Ordens als Symbol in der Propaganda während des "Dritten Reiches" (und nach dem Krieg auch in Polen und in anderen Ländern) zu erwähnen. Das sind interessante Erscheinungen, die ebenfalls zur Geschichte des Ordens gehören, obwohl dieser bereits 1938-1939 überall im deutschen Machtbereich aufgelöst worden war. In diesem Zusammenhang wäre die wichtige Arbeit von Wolfgang Wippermann anzuführen. [5]

Die recht spärlichen und sehr kurz gefassten Anmerkungen werden am Ende des Buches gebracht: "Wegen des begrenzten Platzes sind die Anmerkungen auf das unbedingt Notwendige beschränkt" (192). Es folgen zwei Schemata über die Ordensstrukturen um 1250 und 1400 und ein etwa acht Seiten umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis. Falls der Verlag bei einer künftigen Neuauflage dazu bewogen werden könnte, dem Verfasser hier etwas mehr Platz einzuräumen, wäre dies sicherlich zu begrüßen. Abschließend enthält das Buch ein nützliches Glossar für den in der Ordensgeschichte weniger informierten Leser sowie ein Stichwortverzeichnis.

Auf Seite 116 werden Vytautas und Jogaila (Jagiełło) als Brüder bezeichnet, während sie in Wirklichkeit Vettern waren. Eine solche Kleinigkeit fällt jedoch nicht ins Gewicht bei der überaus positiven Beurteilung dieses Buches, zu dem Autor und Verlag gleichermaßen zu beglückwünschen sind.


Anmerkungen:

[1] Eine Übersetzung ins Lettische ist ebenfalls in Arbeit. Empfehlenswert wäre vor allem eine ins Englische.

[2] Vgl. Klaus Militzer: Die Entstehung der Deutschordensballeien im Deutschen Reich, Marburg ²1981.

[3] Ders.: Von Akkon zur Marienburg. Verfassung, Verwaltung und Sozialstruktur des Deutschen Ordens 1190-1309, Marburg 1999.

[4] Sven Ekdahl: Die Schlacht von Tannenberg und ihre Bedeutung in der Geschichte des Ordensstaates, in: Rūta Čapaitė / Alvydas Nikžentaitis (Hg.): Žalgirio laikų Lietuva ir jos kaimynai, Vilnius 1993, 34-64 (auf 9-33 litauisch).

[5] Wolfgang Wippermann: Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik, Berlin 1979.

Sven Ekdahl