Rezension über:

Norbert Podewin / Lutz Heuer: Ernst Torgler. Ein Leben im Schatten des Reichstagsbrandes 25.04.1893 Berlin - 19.01.1963 Hannover, Berlin: trafo 2006, 291 S., ISBN 978-3-89626-545-6, EUR 24,80
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Rezension von:
John Andreas Fuchs
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Empfohlene Zitierweise:
John Andreas Fuchs: Rezension von: Norbert Podewin / Lutz Heuer: Ernst Torgler. Ein Leben im Schatten des Reichstagsbrandes 25.04.1893 Berlin - 19.01.1963 Hannover, Berlin: trafo 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/12811.html


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Norbert Podewin / Lutz Heuer: Ernst Torgler

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Die wechselvolle Lebensgeschichte Ernst Adolf Wilhelm Torglers, der sich Norbert Podewin und Lutz Heuer widmen, begann am 25. April 1893 in der Gitschiner Straße in Berlin Kreuzberg. Die Eltern erzogen ihn von Anfang an im sozialistischen Sinne, "populäre Schriften der Arbeiterbewegung gehörten bereits in der Jugend zu [seiner] Lektüre" (11). Der so vorgezeichnete Weg führte ihn über SPD und USPD zur KPD, der er 1920 beitrat. Für seine "neue politische Heimat" engagierte Torgler sich zunächst kommunalpolitisch, als Bildungsobmann des Bezirks Berlin-Lichtenberg. Die Autoren zeichnen das Bild eines in der KPD geschätzten "Autodidakten" (29), der schließlich am 4. August 1925 in den Reichstag einzog. Torgler stieg in der KPD schnell auf und wurde 1929 deren Fraktionsvorsitzender. Diese erste Phase seines Leben interpretieren die Autoren vor der Tragik der deutschen Linken in der Weimarer Republik. Dabei tritt Torgler in den Ausführungen über die Krise der Weimarer Republik und den Aufstieg der Nationalsozialisten in den Hintergrund, ohne dass diese ausführlichen Schilderungen für das Werk weiter relevant wären.

Am Morgen des 28. Februar 1933 begab sich Torgler "in die Hand der Hitler-Regierung" (7), nachdem er von den Anschuldigungen gegen sich und die KPD erfahren hatte, am Reichstagsbrand beteiligt gewesen zu sein. Der freiwillige Gang zum Polizeipräsidium, um sich und die KPD gegen die Anschuldigungen zu verteidigen, sollte zur "ungewollten Wende seines weiteren Lebens" (7) werden. Zusammen mit dem holländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe und den Bulgaren Georgi Dimitroff, Blagoi Popow und Wassil Tanew wurde er am 9. März 1933 des Hochverrats angeklagt. Über den Prozess vor dem Reichsgericht und den Londoner Gegenprozess wissen die Autoren jedoch nur hinreichend Bekanntes zu berichten, etwa die Verpflichtung des "NS-Staranwalts" (85) Dr. Alfons Sack, deren Hintergründe man ausführlich bei Alexander Bahar und Wilfried Kugel nachlesen kann. [1] Da Torgler sich gegen den Willen der KPD-Führung der Polizei gestellt hatte und zudem von einem bekannten NS-Anwalt verteidigt wurde [2], beschuldigten ihn seine Genossen der Kollaboration und schlossen ihn aus der KPD aus. Nach einem Freispruch aus Mangel an Beweisen verbrachte Torgler zunächst ein Jahr in Schutzhaft, um dann ab 1935 für Goebbels' Propaganda-Apparat an einem Buch gegen den Kommunismus zu arbeiten. 1936 durfte er zurück zu seiner Familie, hatte jedoch stark unter Anfeindungen und Verleumdungen aufgrund seines Ausschlusses aus der KPD zu leiden, den die Nationalsozialisten zu ihren Gunsten ausschlachteten.

Im Mai 1940, "wenige Tage nach dem völlig überraschenden Wiedersehen mit dem auf NS-Anforderung aus einem sowjetischen Straflager nach Deutschland überstellten Sohn Kurt" (159), musste Torgler erneut für die nationalsozialistische Propaganda arbeiten. Zunächst tat er das für den pseudokommunistischen Geheimsender "Humanité" [3] und danach für den pseudosozialistischen Geheimsender "Concordia". In einem Brief an Wilhelm Pieck vom 14. Dezember 1945 ging Torgler auf diese Tätigkeiten nicht ein. Stattdessen schrieb er, er habe als Revisor für Hausverwaltungen bei einer Kriegstreuhandstelle gearbeitet, "nachdem eine vorherige Tätigkeit als selbstständiger Vertreter wegen Warenmangels ihr natürliches Ende gefunden hatte". Worum es sich bei dieser Kriegstreuhandstelle handelte, erwähnte er nicht. Die "Haupttreuhandstelle Ost" (HTO), bei der Torgler bis 1943 in Berlin, dann in Trebbin und zuletzt in Bückeburg tätig war, hatte den alleinigen Zweck, "den militärisch zerschlagenen polnischen Staat auch wirtschaftlich auszulöschen und das Staatsvermögen wie das private seiner Einwohner möglichst vollständig in deutschen Besitz zu überführen; [...] in diesem Sinn verübte sie Wirtschafts- und Kriegsverbrechen" (172f.). Ernst Torgler konnte, so Podewin und Heuer (176), über die "Art seiner Beschäftigung" nicht im Unklaren sein. Der Fragestellung, wie stark er wirklich in das NS-System involviert war, wird von den Verfassern leider nicht weiter nachgegangen. Nach dem Krieg blieb Torgler in der Kommunalverwaltung in Bückeburg und wurde immer wieder mit seiner NS-Kollaboration konfrontiert. Dagegen wehrte er sich in der Wochenzeitung "Die Zeit". [4] Sein Antrag um Wiederaufnahme in die KPD wurde abgelehnt. Er trat 1949 in die SPD ein und engagierte sich als Gewerkschaftssekretär, blieb unter den Sozialdemokraten allerdings ein Fremder. Ernst Torgler starb am 19. Januar 1963 in Hannover.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Norbert Podewin und Lutz Heuer die Chance vertan haben, die interessante und wechselhafte Biografie Ernst Torglers in allen Facetten zu beleuchten. Anstatt näher auf die Person Torglers und seine persönlichen Konflikte, z. B. die Frage der Kollaboration, einzugehen, verlieren sie sich häufig in unnötigen Abschweifungen. Was anfangs noch als interessanter Kunstgriff anmutet, nämlich Ernst Torgler als Erzähler seines Lebens in Zitaten selbst zu Wort kommen zu lassen, erweist sich zunehmend als reine Kompilation verschiedenster Quellen und Forschungsarbeiten. So kommen neben Torgler etwa Wilhelm Koenen, Herbert Wehner sowie Alexander Bahar und Wilfried Kugel immer wieder ausgiebig zu Wort. Was Podewin und Heuer Eigenständiges zu sagen haben, hätte auch in Form eines Aufsatzes geschehen können. Außerdem müssen sich die Autoren unsauberes wissenschaftliches Arbeiten vorwerfen lassen, was sich u. a. in einer schlechten Koordination zwischen den Kapiteln, ständigen Wiederholungen und einer fragwürdigen Zitierweise äußert. [5] Zahlreiche Tippfehler und häufig fehlende Anführungs- und Schlusszeichen erschweren das Lesen zusätzlich, besonders aufgrund der langen sonst nicht weiter kenntlich gemachten Zitate.


Anmerkungen:

[1] Alexander Bahar / Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird, Berlin 2001, vor allem 267-296, 385-387 und 673-716.

[2] Vgl. Georgi Dimitroff: Reichstagsbrandprozess, Berlin 1946, 30: "Die Wahl des Rechtsanwalts Sack war Torglers erster Schritt zum offenen Dienst für den Faschismus".

[3] Podewin und Heuer erwähnen zwar die von Torgler verfassten Aufrufe an französische Arbeiter, "Humanité" wird jedoch nicht genannt, vgl. hierzu Bahar/Kugel, Reichstagsbrand, 697-699.

[4] Ernst Torgler: Der Reichstagsbrand und was nachher geschah, in: Die Zeit Nr. 44-48, 28.10.-11.11.1948.

[5] Einige Beispiele: Das sechszeilige Zitat Torglers auf Seite 29 "Ich bemerke..." findet sich um elf Zeilen erweitert auf Seite 39f. wieder. Torglers kompletter politischer Werdegang findet sich zum einen in den ersten Kapiteln des Buches, zum anderen ab Seite 106 in Form von ausführlichen Zitaten Torglers vor dem Reichsgericht. Der im Anhang abgedruckte Brief Torglers an Wilhelm Pieck (243-262) wird bereits ab Seite 133 immer wieder in längeren Passagen zitiert. Die Frage "Herr Koenen, wissen Sie schon, dass der Reichstag brennt?" wird auf Seite 69 nach dem "Braunbuch" und auf Seite 74 nach Bahar / Kugel: Reichstagsbrand, zitiert. Es ist nicht ersichtlich, aus welcher Ausgabe des "Manchester Guardian Weekly" auf Seite 74 zitiert wird. Ebenso wenig taucht diese Quelle in der Liste verwendeter Zeitungen auf. Es handelt sich um den "Manchester Guardian Weekly" vom 7.7.1933. Das verwendete Zitat in deutscher Übersetzung findet sich bei Bahar / Kugel: Reichstagsbrand, 686.

John Andreas Fuchs