Rezension über:

Heinz Duchhardt: Barock und Aufklärung (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte; Bd. 11), 4., neu bearb. und erw. Aufl. des Bandes "Das Zeitalter des Absolutismus", München: Oldenbourg 2007, XII + 302 S., ISBN 978-3-486-49744-1, EUR 24,80
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Rezension von:
Michael Kaiser
Historisches Seminar, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kaiser: Rezension von: Heinz Duchhardt: Barock und Aufklärung, 4., neu bearb. und erw. Aufl. des Bandes "Das Zeitalter des Absolutismus", München: Oldenbourg 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 12 [15.12.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/12/12722.html


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Heinz Duchhardt: Barock und Aufklärung

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Normalerweise erregen Neuauflagen von Handbüchern nur geringes Aufsehen. Dies liegt in der Natur der Sache, denn einmal etabliert, bilden sie im Zuge der verschiedenen Auflagen die Veränderungen in der Fachdiskussion ab, die im Detail zwar immer gewaltig erscheinen, aus der übergeordneten Perspektive des Handbuchs jedoch meist nur geringe Verschiebungen in der Tektonik eines solchen Werkes auslösen. Im vorliegenden Fall jedoch ist die Änderung bereits im Titel unübersehbar, denn der bislang als "Das Zeitalter des Absolutismus" betitelte Band firmiert nun unter den Begriffen "Barock und Aufklärung". Damit ist eine neue Wendung in einer schon seit Jahren mal mehr, mal weniger heftig geführten Diskussion zu konstatieren, die in eine neue Phase eingetreten zu sein scheint. [1] Wie sich das vorliegende Werk neu ausgerichtet hat, soll im folgenden nachvollzogen werden.

Zunächst aber zum Charakter des Handbuchs an sich. Anders als von einem Aufsatz oder einer größeren Studie erwartet man von einem Handbuch vor allem die Vermittlung von gesichertem Wissen; sehr viel weniger ist man bereit, in ihm einen Schauplatz für die Ausbreitung pointierter Thesen des Autors zu akzeptieren, die erst in einer wissenschaftlichen Debatte bestehen müssen, bevor sie als handbuchfähig gelten können. Doch tut H. Duchhardt nicht genau dies, nämlich eine übereilte, vorschnelle Etablierung von eigenen Ansätzen vorzustellen? Dieser mögliche Vorwurf ist aber kaum zu halten. Denn Zweifel an der Plausibilität des 'Absolutismus'-Begriffs als Epochenbezeichnung hat Duchhardt schon vor langer Zeit geäußert: Bereits in der ersten Auflage wies er darauf hin. Nun ist offenbar der Punkt erreicht, an dem das offenkundige Unbehagen an der begrifflichen "Verlegenheitslösung" (so im Vorwort zur 1. Auflage, verfasst Ende 1987) als so weit akzeptiert gelten kann, dass es in die nunmehr erfolgte Änderung des Titels mündet.

Festzuhalten bleibt, was sich tatsächlich verändert hat. Inhaltliche Modifikationen sind schon im dreiteiligen Aufbau nachvollziehbar, der getreu dem Prinzip der "Grundriß"-Reihe beibehalten wird. Im ersten, darstellenden Teil fällt besonders die Neufassung des 3. Kapitels auf. Vormals "Der europäische Absolutismus" betitelt, findet man jetzt die Begriffe "Verdichtung, Zuständigkeitsausdehnung und Fürstenbezogenheit als Staatsprinzip" als Überschrift. Konsequenterweise wurden diese Begrifflichkeiten auch im Text selbst aufgegriffen, der in vielen Abschnitten umgeschrieben und in einigen Einschätzungen neu nuanciert wurde. Der darauf folgende Part zu den Alternativen des 'Absolutismus' ist jedoch praktisch ohne weitere Anpassungen übernommen worden.

Im zweiten, forschungsorientierten Teil gibt es die größten Veränderungen. Dabei ist das Auftaktkapitel zum Begriff des 'Absolutismus' selbst weitgehend erhalten geblieben - übrigens ein Indiz dafür, wie aktuell gerade in dieser Hinsicht die vorangehende 3. Auflage immer noch ist. Zu erwähnen ist aber, dass mittlerweile auch Begriff und Konzeption des "Aufgeklärten Absolutismus" in das Zentrum kritischer Betrachtung rücken (176). Weitere Modifikationen betreffen dann vor allem andere Themenbereiche. So hat die Demographie den Status eines eigenständigen Themas verloren, das Schlagwort von der Krise des 17. Jahrhunderts wird ebenfalls nicht mehr als sonderlich wichtig erachtet. In eigenen Kapiteln vorgestellt werden die Schlagworte der "Europäisierung", des "cultural turn" und der Kulturgeschichte des Politischen. Neben diesen Reflexen auf neueste Entwicklungen im Fach behauptet sich als Thema allerdings auch Friedrich der Große - ein Forschungsfeld, das "noch lange nicht erschöpft" ist (209). Dass der Siebenjährige Krieg nicht mehr als eigenständiges Kapitel, ja im Forschungsüberblick als Lemma nur noch ganz marginal auftaucht (vgl. 205), verweist darauf, dass ein wissenschaftliches Interesse an dieser Thematik derzeit kaum vorhanden ist. Etwas erstaunt registriert man aber, dass die Militärgeschichte, zweifellos einer der Teilbereiche, die seit den 1990er Jahren eine enorme Forschungsdynamik entfaltet haben, nicht in den Rang eines Subkapitels des Literaturteils erhoben worden ist.

Gemessen an der Seitenzahl ist der Abschnitt zu den Grundproblemen der Forschung insgesamt um 10 Seiten geschrumpft. Die hier zu beobachtende Konzentrierung und Generalisierung pflanzt sich auch im Quellen- und Literaturteil fort. Dieser 3. Teil wurde unter Beibehaltung der Gliederung mit den Neuerscheinungen aktualisiert, die Zahl der angeführten Titel ist sogar kleiner geworden. Der Darstellungsteil hat demgegenüber nochmals an Umfang gewonnen.

Was wird aber aus dem 'Absolutismus'? Unverkennbar ist die Distanzierung von diesem Begriff, deutlich sichtbar an den An-/Abführungszeichen, die das Wort nun konsequent rahmen (vgl. 40). Eine völlige Abkehr ist allerdings nicht zu beobachten. Zur Beschreibung eines Herrschaftskonzepts bleibt der 'Absolutismus' nach wie vor sinnvoll, wie Duchhardt am Beispiel Ludwigs XIV. vorführt, auch wenn gerade dieses angebliche Musterbeispiel mit allerlei Inkonsequenzen in der Praxis behaftet war, ja das Systemhafte an sich in Zweifel gezogen wird (53 f., aber so auch schon in der 3. Auflage).

Ausgedient hat der 'Absolutismus'-Begriff dagegen als Bezeichnung für die Epoche an sich. Hier setzt Duchhardt stattdessen das Begriffspaar "Barock und Aufklärung", was nicht wirklich überrascht, denn gerade für den Barock-Begriff hat sich der Autor schon vor Jahren stark gemacht. Ungeachtet der immer wieder angesprochenen und erhofften Anschlussfähigkeit an andere Nachbardisziplinen (vgl. hier 1) ist allerdings nicht zu übersehen, dass eben gerade in der Kunstgeschichte der Barock-Begriff keineswegs unumstritten ist. Man kann darüber spekulieren, inwieweit Barock und Aufklärung zwei Begriffsangebote darstellen, die einmal auf die katholische und einmal auf die protestantische Welt zielen und auf diese Weise Signaturen des Zeitalters bezeichnen - allerdings würde damit impliziert werden, dass das späte 17. und das 18. Jahrhundert durch (antagonistische?) konfessionelle Kulturen geprägt war. [1] Leider schweigt sich das Handbuch gerade in der expliziten Definition der beiden neuen Leitbegriffe aus. Ist die Aufklärung zumindest als Thema prominent vertreten, taucht der Begriff des Barock weder als Kapitelüberschrift noch im Register auf. Duchhardt selbst hat nie geleugnet, dass der Verzicht oder auch nur eine weitgehende Rücknahme des 'Absolutismus'-Begriffs eine Lücke hinterlässt (XII).

Und tatsächlich bietet sich nirgends ein adäquater Ersatz für den 'Absolutismus' an. Gerade die neuen, auf die Ebene der sich entwickelnden Staatlichkeit abzielenden Begriffe "Verdichtung, Zuständigkeitsausdehnung und Fürstenbezogenheit als Staatsprinzip" wirken zunächst umständlich und wenig zuspitzend. Gleichwohl wird man ihnen zubilligen, dass sie letztlich Phänomene benennen, die auch der 'Absolutismus' zu umfassen vorgab. Was ihnen fehlt, ist die Selbstsicherheit, die der Ismus-Begriff, vermittelt durch die Aura des Systemischen, ausstrahlte. Genau in dieser unfertig und suchend wirkenden Begrifflichkeit mag man ein Manko sehen - man kann die hier sichtbar werdende Offenheit aber auch als heuristische Chance betrachten. Schließlich wird an diesen drei Begriffen deutlich, dass der 'Absolutismus'-Begriff nicht einfach durch eine neue Wortschöpfung substituiert werden kann. Auch das sollte nicht nur als Problem gesehen werden; die Spannung, auch ohne diesen Epochenbegriff auszukommen, sollte die Frühneuzeitforschung aushalten. Das vorliegende Handbuch zeigt, dass es funktionieren kann.


Anmerkungen:

[1] Die Pro-Argumente zusammenfassend: Peter Baumgart: Absolutismus ein Mythos? Reflexionen zu einem kontroversen Thema gegenwärtiger Frühneuzeitforschung, in: ZHF 27, 2000, 573-589; die vielleicht schärfste Kritik am 'Absolutismus' bei Markus Meumann / Ralf Pröve: Die Faszination des Staates und die historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, 11-49.

[2] Vgl. u.a. dazu Peter Hersche: Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, Freiburg 2006, rezensiert von Martin Dinges, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11, URL: http://www.sehepunkte.de/2007/11/12432.html

Michael Kaiser