Rezension über:

Andrea Baresel-Brand: Grabdenkmäler nordeuropäischer Fürstenhäuser im Zeitalter der Renaissance 1550-1650 (= Bau + Kunst. Schleswig-Holsteinische Schriften zur Kunstgeschichte; Bd. 9), Kiel: Verlag Ludwig 2007, 424 S., ISBN 978-3-937719-18-4, EUR 34,90
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Rezension von:
Thomas Schauerte
Fach Kunstgeschichte, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Schauerte: Rezension von: Andrea Baresel-Brand: Grabdenkmäler nordeuropäischer Fürstenhäuser im Zeitalter der Renaissance 1550-1650, Kiel: Verlag Ludwig 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 12 [15.12.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/12/13082.html


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Andrea Baresel-Brand: Grabdenkmäler nordeuropäischer Fürstenhäuser im Zeitalter der Renaissance 1550-1650

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Noch vor nicht allzu langer Zeit war auf Überblickswerke von Panofsky (1964) oder Bauch (1976) angewiesen, wer sich kunsthistorisch mit Grabdenkmälern befassen wollte; dies hat sich vor dem Hintergrund der kulturgeschichtlichen Memoria-Forschung, die seit nunmehr etwa dreißig Jahren in Blüte steht, grundlegend gewandelt. Vielen Studien über einzelne Monumente - darunter etliche Magisterarbeiten - sind Untersuchungen an die Seite getreten, die Denkmälergruppen nach Regionen, Epochen und ikonologischen Aspekten behandeln. Gleich alle drei genannten Kriterien vereint die hier zu besprechende, wohlfeile und konsequent nach Dynastien gegliederte Kieler Dissertation und spannt dabei - trotz betont nordeuropäischem Schwerpunkt - einen geografischen Bogen von geradezu atemberaubender Weite.

Dabei wird der zeitliche Rahmen, der gemeinhin als Epoche der Konfessionalisierung umrissen wird, weitgehend gewahrt, während die regionale Eingrenzung - mit gutem Grund - durchbrochen wird: Denn Baresel stellt zuvor die wichtige Frage nach den Leitkunstwerken im fürstlichen Grabmalbau und behandelt konsequenterweise zunächst die Habsburger-Grablegen Margarethes bei Bourg-en-Bresse und Kaiser Maximilians I. in Innsbruck (28-45), wobei man - etwa unter dem Aspekt der Portal-Ikonographie - zu letzterem einen Blick in die neuere Forschungsliteratur hätte erwarten dürfen (Maximilian starb im übrigen 1519, nicht 1518 (30)). Es folgen, dem wachsenden Einfluss ihrer höfischen Kultur gemäß, die Häuser Valois und Bourbon (45-63). Dabei kommt allerdings mit dem Thema der monumentalen Wandnischengräber, der zwar "vom katholischen Klerus favorisiert", jedoch ebenso von protestantischen Häusern aufgegriffen wurde (146), die Frage nach der Vorbildfunktion der Grablegen in den drei kurfürstlichen Kathedralen Mainz, Köln und Trier auf; denn trotz Glaubensspaltung blieben ja die Struktur des Reiches ebenso intakt wie die teils Jahrhunderte alten familiären Beziehungen.

Der nordeuropäische Hauptteil (64-256) wird zwar von deutschen Beispielen klar dominiert, verdankt aber die Einbeziehung von Begräbnisorten wie Uppsala (Vasa), Sonderborg (Schleswig-Holstein) oder Delft (Oranje) der engen dynastischen Verflechtung norddeutscher Fürstenhäuser mit denen der angrenzenden Reiche, vor allem mit Dänemark, dessen Könige zugleich Herzöge von Oldenburg und Schleswig sowie Grafen von Holstein waren. Gleichsam rahmend folgt als dritter und letzter Großabschnitt ein Überblick über die mittel- und süddeutschen Dynastengräber, darunter Tübingen, Freiberg in Sachsen, Heidelberg und München (257-312). Dabei gibt es bei der - überraschend großen - Hauptgruppe im Norden und in der Mitte des Reiches eine Gemeinsamkeit genuin kunsthistorischer Natur, denn es waren offensichtlich meist italienische oder niederländische Künstler, die man heranzog, weiterempfahl oder gleichsam "auslieh" (21).

Hier wird rasch klar, dass sich unter der Fülle norddeutscher Dynastengrablegen neben so bekannten Werken für Häuptling Edo Wiemken d. Ä. (Jever) oder Otto IV. zu Holstein-Schaumburg (Stadthagen) noch manch weitere Spitzenleistung verbirgt (Dome zu Güstrow oder Königsberg in Ostpreußen). Baresel-Brand setzt den Akzent dabei jedoch nicht auf stilgeschichtliche Aspekte, sondern will bei ihren vorrangig historiografischen Untersuchungsansätzen zu den einzelnen Monumenten deren "Interpretierbarkeit (...) durch den zeitgenössischen Rezipienten" beleuchten (16). Dergestalt erfährt man auch gleichsam nebenher vieles über die politischen Verflechtungen eines von der traditionell mehr südorientierten Kunstgeschichte eher vernachlässigten Kulturraumes.

So ist es eines der Anliegen der Autorin, neben Traditionswahrung, Sachzwängen und Stil- wie Geschmackswandel nun die differenzierteren, "eigentlichen" Beweggründe für Ort, Zeit und Gestalt einer Grablege genauer herauszuarbeiten. Auch wenn die entsprechenden Herleitungen vorsichtig fast durchweg im Konjunktiv gehalten sind, wird man den unmittelbaren politischen Konnotationen nicht immer folgen wollen, die die Autorin in ikonographischen Details und in jenen historischen Begleitumständen erkennt, die einen großen Teil der Untersuchung insgesamt ausmachen. Zwar bot die Errichtung eines aufwendigen Grabdenkmals immer Gelegenheit, eine Person, ihr Haus und deren politisches Gewicht bildkräftig zur Anschauung zu bringen; doch vertragen sich die überzeitlichen, unverrückbaren und allenfalls graduell abzustufenden Konstanten Ruhm, Macht und Frömmigkeit der erlauchten Toten und ihrer Geschlechter aus prinzipiellen Erwägungen heraus selten mit allzu engen Rückbindungen an das Zeitlich-Allzuzeitliche. Dies gilt auch für Baresel-Brands Ableitungsversuche aus eher subjektiv wahrgenommenen physiognomischen und habituellen Befunden (z. B. Elisabeth von Mecklenburg, Schwerin, 178f.).

Gerade im Falle des Emdener Cirksena-Monuments dürfte dagegen die seit dem früheren 16. Jahrhundert blühende Reproduktionsgrafik herrscherlicher Entrées und ihrer Ehrenpforten, die nur kursorisch erwähnt werden (77), manchen Aufschluss geben. Vor allem aber blieben künftig zu diesem kunsthistorischen Großthema die Vorlagenwerke eines Cornelis Floris, Pieter Coecke van Alst oder eines Vredeman de Vries eingehend auszuwerten, die hier eine tragende Rolle gespielt haben, wie von der Autorin auch wiederholt festgestellt, doch kaum je konkret - etwa auch durch Vergleichsabbildungen - ausgearbeitet wird (88, 94f. u. a.).

Neben anderen Fragen tut sich etwa angesichts eines Monuments wie der 1567 erfolgten restaurativen, gleichsam dokumentierenden Neuerrichtung der mittelalterlichen Wettiner-Grablege auf dem Petersberg bei Halle/Saale (284-289) auch jene danach auf, welche Form eines gleichsam quasi-liturgischen Totengedenkens angesichts des Konfessionswechsel eines Hauses auftrat (vgl. 319), nachdem die mittelalterlichen Seelgerätsstiftungen der eigenen Ahnen nunmehr ihre Gültigkeit verloren hatten. Und der vergleichsweise entlegene Ort - die auf einer Erhebung gelegene Ruine eines aufgehobenen Augustiner-Chorherrenstifts - lässt unweigerlich nach praktischen Aspekten des Zugangs, der Präsentation sowie des Gedenkens fragen.

Formal wird der Lesefluss immer wieder von Schlagwörtern beeinträchtigt, die unkommentiert in runden oder eckigen Klammern stehen. Auch fehlen - leider gerade bei weniger geläufigen Beispielen - Abbildungen entweder ganz (Gifhorn, Wolfenbüttel, Uppsala) oder sind in Qualität und Format unzureichend (Jever, Celle, Schleswig). Ferner bleibt verdrossen anzumerken, dass die bis 1220 durchnummerierten Anmerkungen en bloc am Ende der Abhandlung stehen. Dies beruht meist auf Vorgaben der Verlage. Ob hier marktstrategische Erwägungen oder die unreflektierte Angleichung an amerikanische Gepflogenheiten zugrunde liegen, ist weniger interessant als die Frage, wann dieser für wissenschaftliche Arbeiten so widersinnige und lästige Brauch wieder verschwindet. Im vorliegenden Fall vermag zumindest das ausführliche und zuverlässige Register darüber bis zu einem gewissen Grade hinwegzutrösten.

Ein Grundproblem inhaltlicher Natur, das die Autorin auch ausdrücklich erwähnt (21), zeigt sich in der Tatsache, dass es an moderner Grundlagenforschung zu einzelnen Anlagen, den Bauwerken, ihrer Einbindung und ihren Künstlern, aber auch zur bilddokumentarischen Erfassung und zur Epigrafik der Monumente vielfach noch fehlt. Dies muss namentlich auch für die immer wieder erwähnten Vorlagenwerke und - gerade im Zusammenhang mit Fragen der "politischen Ikonographie" - für den zunehmend besser erforschten Bereich der Leichenpredigten und Gedenkschriften sowie der häufig literarisch und bildlich festgehaltenen Exequien angemerkt werden. Folglich werden derartige Detailuntersuchungen in Zukunft zwangsläufig noch manche Gewichtsverlagerung und Präzisierung erbringen. Doch liegt - ungeachtet dieses Methodenproblems - das kaum zu überschätzende Verdienst dieser sinnreich gegliederten Arbeit mit ihrer norddeutschen Akzentsetzung im ersten brauchbaren Überblick und in der angemessen vorsichtigen Einordnung einer Fülle von mitunter herausragenden Werken in ihren europäischen Kontext. Ein solches Überblickswerk hatte als Arbeitsgrundlage bislang schmerzlich gefehlt.

Thomas Schauerte