Rezension über:

Nora M. Heimann: Joan of Arc in French Art and Culture (1700-1855). From Satire to Sanctity, Aldershot: Ashgate 2005, XVI + 215 S., ISBN 978-0-7546-5085-0, GBP 55,00
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Rezension von:
Stephanie Wodianka
Institut für Romanistik, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Stephanie Wodianka: Rezension von: Nora M. Heimann: Joan of Arc in French Art and Culture (1700-1855). From Satire to Sanctity, Aldershot: Ashgate 2005, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 3 [15.03.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/03/10688.html


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Nora M. Heimann: Joan of Arc in French Art and Culture (1700-1855)

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Nora Heimanns "Joan of Arc" kommt ganz bescheiden daher: Auf nur 176 Textseiten zeigt sie die über 150 Jahre hinweg verfolgten Wandlungen der Jungfrau von Orléans "from Satire to Sanctity" in Frankreich auf. Äußeren Glanz verleihen dem Buch sechzig ganzseitige schwarz-weiß-Abbildungen. Die Handlichkeit der Untersuchung ist deshalb bemerkenswert, weil die Verfasserin die Pucelle in kulturgeschichtliche, nur interdisziplinär zu erhellende Kontexte des 18. und 19. Jahrhunderts stellt, was zu Weitläufigkeit verleiten könnte.

Das schmale Buch erweist sich jedoch bei der Lektüre als überaus gehaltvoll: Auf unprätentiöse Weise wird hier immer wieder en passant der um die Jungfrau von Orléans wuchernde Forschungsstand präsentiert und kommentiert. Die zugleich systematische und chronologische Struktur der Arbeit - Heimann profiliert fünf Entwicklungsetappen des Jeanne-Bildes - schlägt dem Leser klare Wege ins Dickicht der primären wie sekundären Jeanne-Kultur.

Wer Fußnotenapparate nicht mag, wird durch die Argumentation und exemplarischen Analysen im Fließtext ungestört überzeugt. Hervorzuheben sind die stets gut nachvollziehbaren Interpretationen 'am Text' (z. B. 65ff. zu Schillers "Die Jungfrau von Orléans") ebenso wie deren Inbezugsetzung zu kulturgeschichtlichen und politikgeschichtlichen Konstellationen. Wer mehr wissen und sich von der detailfreudigen Gelehrtheit der Untersuchung versichern lassen will, findet in den Anmerkungen nicht nur Ein- und Weiterführendes zum Thema, sondern zu seiner Überraschung auch rechercheintensive, zum Teil unedierte Quellenzitate und Hintergrundinformationen, die vor allem Jeanne-Kennern Freude bereiten und die dem Thema angemessene Weite des Kulturbegriffs unter Beweis stellen. So ergänzen und kontextualisieren zum Beispiel zeitgenössische Predigten, Reden und Chroniken die von Heimann in Literatur- und Kunstgeschichte ausgemachten Jeanne-Bilder und ihre Entwicklungslinien. Eine der bibliografischen Unterrubriken verzeichnet diese aufwändig recherchierten Kontexte unter dem Titel "Fêtes, Sermons, and Speeches on the Maid" (198ff.). Der Blick der Autorin reicht dabei auch immer wieder bis in die Gegenwart ihrer Leser hinein, indem sie sich nicht auf die Entstehungsgeschichten beschränkt, sondern mitunter auch die Rezeptionsgeschichte der von ihr untersuchten Artefakte über den eigentlichen zeitlichen Rahmen ihrer Arbeit hinaus weiter verfolgt (97f., 131). Im Vorbeigehen überträgt Heimann ihren Kenntnisreichtum auf ihre Leserschaft, die sich auf angenehme Weise belehrt fühlen kann.

Worüber und auf welche Weise Heimann ihre Leserschaft belehren möchte, formuliert sie im Anschluss an ihre auch für Jeanne-Anfänger und Nichtkenner geeigneten Einführung ins Thema ganz klar: Sie versteht die Konstruktionen des "gendered body" von Jeanne d'Arc als "political expressions": "Shaped as much by convention and politics as by history and theology, the representation of Joan of Arc's image in painting, sculpture, literature, music, and popular culture from the age of Enlightenment to the Second Republic will be shown to offer a brilliant, if perhaps at times distorted, mirror of the forces in French society that called forth her memory according to their bidding." (12)

Nicht um Jeanne als Opfer der Männerwelten geht es bei dieser Gender-Untersuchung, sondern um das Erinnerungspotenzial, das die Pucelle ihren sich wandelnden gender-Zuschreibungen verdankt. Zuschreibungen, denen sich durch das Fehlen einer zeitgenössischen Abbildung der Jungfrau von Orléans die notwendige Leerstelle bot, um ihre Wirkung in der Kulturgeschichte zur Entfaltung zu bringen (6). Hinter Heimanns "Joan of Arc"-Buch verbirgt sich nicht die Verteidigungsrede einer empörten Emanze oder einer leidenschaftlichen Pucelle-Verehrerin, sondern eine von analytischem Blick getragene Arbeit, die die kulturelle Verankerung bzw. erinnerungskulturelle Relevanz und Reichweite von Geschlechter-Bildern aufzeigt. Das von der Autorin fragend zum Ausgangspunkt genommene Gedicht-Zitat aus dem "Ditié de Jeanne d'Arc" (1429) von Christine de Pizan, "What Honor for the Feminine Sex?", führt die Leser im Eingangskapitel fast auf die falsche Fährte. De Pizan hatte offenbar gehofft, dass die Jungfrau von Orléans ihrem Geschlecht Ruhm und Ehre bringen würde. Heimann aber wertet die von ihr profilierten und in ihrer politischen Relevanz aufgezeigten Gender-Konstruktionen der Pucelle gar nicht, sondern sie analysiert sie in ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung - und das ist auch gut so.

Heimanns Forschungsunterfangen erfordert in mehrfacher Hinsicht eine überdurchschnittliche perspektivische Weite: einen Epochengrenzen überschreitenden Weitblick von der Aufklärung bis in die Romantik, vor allem aber eine mutige disziplinenübergreifende Perspektive. Wer Kunst und Literatur, Alltagskultur und Politik, Musik und Geschichte berücksichtigt und argumentativ heranzieht, stellt sich dem immer leicht zu formulierenden Vorwurf der "Dünnbrettbohrerei".

Heimann begegnet dem durch ihre unaufdringliche Belesenheit und Recherchearbeit sowie durch den in den fünf Kapitelüberschriften manifesten bescheidenen Anspruch, mit den prominenten Werken aus Kunst und Literatur nur die Spitze der Eisberge zu erfassen: Das erste Kapitel untersucht "Pornography as Hagiography and the Engendering of Virtue: Chapelain, Voltaire and 'The Maid of Orléans'", für das zweite ist Schillers Jeanne-Drama titelgebend: "The Maid in an Age of Revolution and Romantic Tragedy: The Provocation and Legacy of Schiller's 'Jungfrau von Orléans'". Das dritte Kapitel steht unter der Überschrift "'The Miracle of the French Genius': Napoleon and Gois's 'Jeanne d'Arc au Combat'", das vierte untersucht "Martyrdom and Misfortune, History and Genre: The Art of Delaroche and the Restoration of the Monarchy". Beendet wird das Buch mit dem Kapitel "Joan of Arc and the July Monarchy: Michelet, Marie d'Orléans, and Ingres". Wer über die Abschnittstitel hinaus liest, merkt jedoch schnell, dass Heimann sich auch in den Eisbergformationen unterhalb der Wasseroberfläche gut auskennt und dass diese umfassende Kenntnis erst die Voraussetzung dafür ist, Tendenzen und Etappen herauszuarbeiten: Die Kapitel halten mehr, als sie versprechen.

Das wesentliche Verdienst Heimanns liegt nicht darin, viel Neues über die Wandlungen der Jungfrau von Orléans zu berichten. Irgendwo haben wir all das in den Fluten der Jeanne-Forschung schon einmal gelesen. Die im Verhältnis zur Untersuchung umfangreiche (30 Seiten) und thematisch geordnete Bibliografie kann uns helfen herauszufinden, wo. [1] Das Verdienst der Verfasserin besteht vielmehr darin, diese Repräsentationen und Konnotationen der Pucelle in Zusammenhang mit dem Wandel der Geschlechterbilder zu stellen und die Funktionalisierungen der Jungfrau von Orléans somit nicht nur als politische Aktionen, sondern auch als kulturgeschichtlich bedingte bzw. abhängige Reaktionen aufgezeigt zu haben.

Nicht zuletzt ist diese "Joan of Arc" lesenswert, weil sie vieles zusammen denkt, was bisher nur in fach- oder medienspezifischer Vereinzelung gedacht wurde: Die kompetente Interdisziplinarität und der chronologische wie mediale Weitblick sind es, die an dieser Untersuchung vor allem bestechen. Eine Übersetzung ins Französische würde Heimanns "Joan of Arc" die Aufmerksamkeit der romanistischen, frankophilen und französischen Jeanne-Kenner und Pucelle-Liebhaber zukommen lassen, die sie verdient.


Anmerkung:

[1] Heimann setzt sich fundiert mit der anglophonen und französischsprachigen Forschung auseinander, in geringem Maße berücksichtigt sie auch deutschsprachige Beiträge zum Thema.

Stephanie Wodianka