Rezension über:

Irmgard Pangerl / Martin Scheutz / Thomas Winkelbauer (Hgg.): Der Wiener Hof im Spiegel der Zeremonialprotokolle (1652-1800). Eine Annäherung (= Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte; Bd. 47), Innsbruck: StudienVerlag 2007, 672 S., ISBN 978-3-7065-4471-9, EUR 68,90
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Rezension von:
Andreas Pečar
Universität Konstanz
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pečar: Rezension von: Irmgard Pangerl / Martin Scheutz / Thomas Winkelbauer (Hgg.): Der Wiener Hof im Spiegel der Zeremonialprotokolle (1652-1800). Eine Annäherung, Innsbruck: StudienVerlag 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 5 [15.05.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/05/13331.html


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Irmgard Pangerl / Martin Scheutz / Thomas Winkelbauer (Hgg.): Der Wiener Hof im Spiegel der Zeremonialprotokolle (1652-1800)

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Vor zwanzig Jahren lagen weite Bereiche der Erforschung frühneuzeitlicher Höfe brach. Das Zeremoniell war kein Gegenstand der Geschichtsforschung, sondern gab allenfalls Grund zur Belustigung über die Unvernunft und Ehrpusseligkeit barocker Zeitgenossen. Mittlerweile hat sich das Bild gründlich gewandelt. Nicht nur ist die Erforschung symbolischer Kommunikation und ritualisierten Handelns in der Frühneuzeitforschung fest etabliert, auch die Kenntnisse über die dem Zeremoniell innewohnende Ordnungsleistung in unterschiedlichen sozialen Räumen und Kontexten haben sich deutlich verbessert. Das Zeremoniell ist ferner Gegenstand ambitionierter Lehrveranstaltungen, die mitunter sogar die Forschung bereichern, zumindest wenn an ihrem Ende ein üppiger Sammelband der Öffentlichkeit vorgelegt werden kann wie im Falle des vorliegenden Buches über die Zeremonialprotokolle am Kaiserhof, der aus einem im Wintersemester 2005/06 abgehaltenen Forschungsseminar an der Universität Wien resultiert.

Den Auftakt macht eine ausführliche Betrachtung der Instruktionsbücher, in denen sich zahlreiche Instruktionen an einzelne Hofstäbe kompiliert finden und die damit das Normengerüst für das Handeln der obersten Amtsträger des Hofes präsent hielten. Zwar lässt sich nicht endgültig bestimmen, welche konkrete Funktion den Instruktionsbüchern im Rahmen der Organisation des Hofstaates zugedacht war: Plausibel klingt jedoch die von Martin Scheutz und Jakob Wührer vorgetragene Überlegung, es könnte sich um Nachschlagewerke entweder des Obersthofmeisters oder aber des Hofkontrolleurs handeln, um aufgrund bisher ergangener Erlasse die Zuständigkeiten der einzelnen Hofämter besser voneinander abgrenzen zu können. Hierbei klingen manche Bewertungen etwas zu modernistisch: So weckt der Oberbegriff "Hofbeamte" zur Kennzeichnung der höfischen Amtsträger (38) Assoziationen an die moderne Verwaltung, mit der die Amtsinhaber am Kaiserhof der Frühen Neuzeit wohl nur wenig gemein hatten. Und auch die Ablösung einer Face-to-Face-Gemeinschaft durch bürokratische und damit tendenziell überpersönliche Vorgänge und Strukturen (88) trifft die Realität höfischer Interaktion am Kaiserhof wohl frühestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, keineswegs aber zu früheren Zeiten, als der Hof allen Ämtern und Instruktionen zum Trotz weiterhin ein Interaktionssystem verkörperte. Die Instruktionsbücher als normative Quelle vermögen die Praxis sozialer Interaktion am Hof eben nur sehr eingeschränkt wiederzugeben. Gleichwohl sind die Bücher von herausgehobener Bedeutung für die Hof-Forschung; ihre Edition ist somit uneingeschränkt zu empfehlen, wie die Autoren sehr zu Recht betonen.

Im Anschluss an den Blick auf die normativen Grundlagen des Hoflebens, wie sie sich in den zahlreichen Hofinstruktionen widerspiegeln, folgt die Beschreibung einzelner bedeutsamer Hofereignisse, die periodisch wiederkehrten und in den Zeremonialprotokollen ihren Niederschlag fanden. Im Einzelnen wenden sich die Autoren folgenden Themen zu: Es geht um die Kammerordnungen und die Regelung des Zugangs zum Kaiser, um die Ordensfeste des Ordens vom Goldenen Vlies allgemein sowie speziell um das Andreasfest am 30. November, um die Regelung des Handkusses im Rahmen von Audienzen, um einzelne Festivitäten am Kaiserhof wie Karusselle, Schlittenfahrten und Bauernhochzeiten, ferner um Marienfeste und Pfingstfeiern, in denen die große Bedeutung katholischer Frömmigkeit deutlich wird, um das Geburt- und Taufzeremoniell, die Regelung zur Hoftrauer sowie schließlich um das diplomatische Zeremoniell im Umgang mit auswärtigen Gesandten.

Mit diesem Themenspektrum ist in der Tat ein Großteil der besonderen Ereignisse am Kaiserhof erfasst. Dabei erfolgt die Beschreibung stets nah an den Quellen, was durch einen eigenen Editionsteil am Ende eines jeden Beitrages noch unterstrichen wird. Außerdem ist es sehr zu begrüßen, dass die Beiträge stets den gesamten Zeitraum seit dem Beginn der protokollarischen Überlieferung des Zeremoniells im Jahr 1652 bis 1800 in den Blick nehmen. Damit wird um so deutlicher, wie stark die Regelung einzelner Hofveranstaltungen durch das Herkommen geprägt war. Veränderungen lassen sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts nur anhand kleiner Detailfragen nachweisen. Erst unter Maria Theresia und dann noch stärker unter Joseph II. sind stärkere Eingriffe in etablierte Hofabläufe zu beobachten. Gleichwohl lässt die Langzeitperspektive jenseits des Willens der Kaiser zum Festhalten an der Tradition Unterschiede erkennen. So bleibt beispielsweise die Protokolldichte im Beobachtungszeitraum keineswegs immer gleich, werden die Beschreibungen der Hofereignisse in den Zeremonialprotokollen tendenziell ab dem Beginn des 18. Jahrhunderts immer ausführlicher.

Wenn die einzelnen Beiträge etwas vermissen lassen, so ist es der mangelnde analytische Zugriff auf die beschriebenen Abläufe. Dies betrifft zunächst den Umgang mit der Quellengattung der Zeremonialprotokolle selbst. In den Protokollen finden sich die Ereignisse nämlich nicht immer wiedergegeben, wie sie abgelaufen waren, sondern wie sie den zeremoniellen Normen entsprechend hätten ablaufen sollen. Dieser Unterschied wird jedoch nur selten eigens in den Blick genommen. Störungen des Zeremoniells tauchen in den Protokollen nur im Ausnahmefall auf, dienten die Protokolle doch dazu, bei späteren Ereignissen als gleichsam normative Vorlage zu dienen. Schildert man daher die höfischen Ereignisse anhand der in den Protokollen niedergelegten Beschreibungen, so haftet den auf diese Weise präsentierten Ereignissen eine gewisse Sterilität des Lehrbuches an. Die Realität dürfte dagegen bunter gewesen sein, aber auch störungsanfälliger und chaotischer, als es die Protokolle zu erkennen geben. Erst ein Vergleich der normativ geprägten Darstellungen in den Protokollen - und auch im Wiener Diarium, der in Wien erscheinenden offiziellen Zeitung - mit anderen Überlieferungen ließe allerdings Abweichungen zwischen der geplanten zeremoniellen Choreographie und dem faktischen Ablauf der Ereignisse sichtbar werden.

Aber auch aus den Protokollbeschreibungen hätten sich noch stärkere Funken der Erkenntnis schlagen lassen, als es die Autoren tun. Die Beiträge lassen an Ausführlichkeit und Akribie keine Wünsche offen, doch bleibt die Frage nach der historischen Deutung des Geschilderten allzuoft unbeantwortet. Daneben werden Positionen bereits vorliegender Untersuchungen von Jeroen Duindam, Mark Hengerer, Katrin Keller oder Christian Benedik zum Kaiserhof rekapituliert, die den aktuellen Stand der Hof-Forschung wiedergeben. Insofern lesen sich die Beiträge wie eine Bestätigung des gegenwärtigen Stands der Forschungen zum Kaiserhof. Dies nimmt dem Band nichts von seiner Nützlichkeit für alle Interessenten des frühneuzeitlichen Kaiserhofs. Das dortige Hofleben lässt sich nun mithilfe dieses Bandes auf quellennahe Weise nachvollziehen, ein Gewinn für jeden Freund "dichter Beschreibung".

Andreas Pečar