Rezension über:

Hans-Jürgen Lüsebrink (ed.): Enlightenment, revolution and the periodical press (= Studies on Voltaire and the eighteenth century; 2004:06), Oxford: Voltaire Foundation 2004, 226 S., ISBN 978-0-7294-0841-7, EUR 80,00
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Rezension von:
Christophe Losfeld
Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA), Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Christophe Losfeld: Rezension von: Hans-Jürgen Lüsebrink (ed.): Enlightenment, revolution and the periodical press, Oxford: Voltaire Foundation 2004, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 6 [15.06.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/06/9810.html


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Hans-Jürgen Lüsebrink (ed.): Enlightenment, revolution and the periodical press

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Seit einigen Jahrzehnten ist eine Vielfalt von Publikationen zur Presse im 18. Jahrhundert erschienen. Diese betreffen sowohl die Entstehung der Presse und ihre Entwicklung seit dem 17. Jahrhundert als auch ihre Hauptspezifika im 18. Jahrhundert. [1] Diese lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: die Presse des 18. Jahrhunderts unterscheidet sich von der technischen Seite her wenig von dem vorhergehenden Jahrhundert - erst das 19. Jahrhundert wird einen bedeutenden technischen Fortschritt aufweisen können.[2] Damit zusammenhängend existierte 1.) der Prototyp des Zeitungsverlegers, wie ihn z. B. Balzac popularisiert hat, nicht oder nur selten [3], und 2.) richtet sich die Presse zumindest bis zur Französischen Revolution an ein relativ eingeschränktes Publikum. Im Gegensatz zum 17. Jahrhundert ist im 18. Jahrhundert eine stärkere Ideologisierung der Presse festzustellen: zu diesem Zeitpunkt kombiniert die Presse ihren Informationsauftrag mit dem Willen, die neuen aufklärerischen Gedanken zu verbreiten [4], wobei aber das Buch als Disseminationsorgan der Aufklärung weiterhin wichtiger ist. Diese Entwicklung führt während der Revolution zu einer sehr geprägten Politisierung der Presse [5], die einen direkten Einfluss auf das wachsende Lesepublikum üben und die Zeitspanne zwischen dem Ereignis und der Berichterstattung reduzieren möchte. Ein weiteres Kennzeichen der Presse in der Aufklärung ist das Verhältnis zwischen dem Zeitungswesen und anderen Medien, seien es literarische Formen, handschriftliche Nachrichten oder private Korrespondenzen. [6] Zu dieser intertextuellen Dimension kommt auch eine interkulturelle hinzu, da die Zeitungen oft der Ort eines kulturellen Austausches zwischen verschiedenen Ländern waren, die seit langem Gegenstand der komparatistisch orientierten Forschung ist. [7]

Gerade auf letztere Aspekte fokussieren die von Hans-Jürgen Lüsebrink und Jeremy D. Popkin edierten Aufsätze in dem Sammelband Enlightenment, Revolution and the periodical press, den eine doppelte Einleitung von J. D. Popkin und J. Censer bzw. H.-J. Lüsebrink eröffnet ("Some paradoxes of the eighteenth century periodical" und "Horizons médiatiques et ouvertures interculturelles dans la presse au dix-huitième siècle"). J. D. Popkin und J. Censer befassen sich mit der Zeitungs Lust und Nutz Kaspar Stielers (1695), die wegen ihres moralischen Anspruchs und ihrer wirtschaftlichen Dimension für die hier behandelte Problematik gleichsam als der Anfang der Presse fungiert, wenngleich diese Zeitung einen starken religiösen und politischen Konformismus aufweist. Dieser wird im Laufe des 18. Jahrhunderts allmählich verschwinden, so dass die Zeitungen immer stärker zum Austragungsort von ideologischen Kämpfen werden, wie es die Französische Revolution am besten verdeutlicht. H.-J. Lüsebrink umreißt seinerseits die Aufsätze des Bandes im Blick auf die Forschungslandschaft zur Intertextualität bzw. Interkulturalität der Presse im 18. Jahrhundert.

Die politischen bzw. kulturellen Aspekte der Presse dieser Zeit bilden die zwei Grundrichtungen des Bandes, der jedoch chronologisch gegliedert wird: "Political culture and the communications media" und "transformations: the revolutionnary era". Eine solche Gliederung erweist sich dahingehend als sinnvoll, als sich die zwei Hauptachsen nicht stringent voneinander trennen lassen. (Einzige Ausnahme ist der interessante Aufsatz Martin Stubers zu Albrecht v. Haller, der das z. T. spannungsvolle Verhältnis zwischen privater Korrespondenz und für die Öffentlichkeit bestimmte Inhalte thematisiert - M. Stuber: "Journal and letter in the correspondance of Albrecht von Haller".) Erscheint das ottomanische Reich in der Gazette d'Asterdam z. T. anders als in der Literatur, so bleibt dennoch dessen Bild von der Repräsentation des "asiatischen Despotismus" teilweise geprägt, um beim Leser den Eindruck entstehen zu lassen, dass Frankreich von einem ähnlichen Despotismus bedroht wird (Anne-Marie Mercier-Faibre: "Une lecture de la 'gazette d'Amsterdam' au temps des 'Lettres persanes'"). Der Vergleich mit dem Despotismus Asiens ist allerdings noch implizit- ein Hinweis, dass die Politisierung der Presse noch nicht erheblich fortgeschritten ist.

Ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wird diese Politisierung viel auffälliger sein, wie es die Analyse der Berichterstattung zu den offiziellen Kunstausstellungen ("Salons") zwischen 1767 und 1787 in den Mémoires secrets [8] zeigt. Wie im vorigen Aufsatz wird auf das Verhältnis zwischen Presse und anderen Formen der Schriftlichkeit (insbesondere hier den Berichten zu den als Salons bekannten Kunstausstellungen und teilweise auch der erotischen Literatur) und Politik eingegangen: hinter dem ästhetischen Diskurs verbirgt sich eine zeitweise kaum verdeckte politische Kritik (Bernadette Fort: "Le discours politique dans les 'Salons' des 'Mémoires secrets'").

Während der Revolution ist die politische Bedeutung der Presse besonders markant, wie es die Analyse des Wirkens Jacques Roux' zeigt, der als geistiger Erbe Marats die Presse benutzt, um alle so genannten Feinde des Volkes zu entlarven und anzuprangern. In seiner Zeitung le Publiciste möchte Roux die Stimme des Volkes verkörpern, aber er scheitert zuletzt an seiner doppelten Auffassung der Demokratie. Denn Roux plädiert zugleich für eine repräsentative (die der Konvent darstellt) und eine direkte Demokratie, in der das Volk eine stetige Kontrolle über seine Vertreter ausübt (Eric Négrel: "Le journaliste-orateur: rhétorique et politique sans-culottes dans Le Publiciste de la République française de Jacques Roux (juillet-octobre 1793)").

Wie diese Politisierung in der elsässischen Presse zwischen 1791 und 1799 stattfindet, wird im Band nur angedeutet, da Susanne Lachenicht damals erst am Anfang einer vielversprechenden Studie zur Presse der deutschen Immigranten in dieser Region stand. Diese Studie soll über eine Analyse des Zugangs zur Presse die Grundlage zum besseren Verständnis der demokratischen Bewegung im Elsass bis zur Revolution von 1848 bilden (Susanne Lachenicht: "La presse des immigrants allemands en Alsace"). [9]

Diese Entwicklung prägt nicht zuletzt auch den Anfang des 19. Jahrhunderts: so untersucht Philipp Hartling in interkultureller Hinsicht die starke politische Polarisierung der Presse der Tories zwischen 1815 und 1832 vor dem Horizont der Französischen Revolution. Diese erweist sich - allerdings ohne Überraschung - als Gegenfolie der konservativ orientierten politischen Akteure Englands ("Enlightenment und revolution in Tory journalism"). Sie leiten von der Kritik des Atheismus als Ursache der Revolution auf einen massiven Angriff auf die Whigs über, der in der Forderung nach stärkeren Zensurmaßnahmen mündet.

Richtet man den Blick auf andere Länder als diejenigen, die traditionell Gegenstand der Aufklärungsforschung sind, so lässt sich eine solche Politisierung ebenfalls feststellen, wie z. B. in der Analyse der Presse im Schweden der zweiten Hälfte des Jahrhunderts (Marie Christine Skuncke: "Press and political culture in Schweden at the end of the Age of liberty"). Dank der temporären Aufhebung der Zensur - zwischen der Presseverordnung von 1766 und der Wiederherstellung der Zensur durch Gustav III. im Jahre 1772 - wird die Presse zum Instrument des heftigen politischen Kampfes zwischen der aristokratischen und der königlichen Partei. Dieses Ergebnis ist zwar strukturell nicht sehr neu, es bestätigt dennoch die trotz aller nationalen Besonderheiten gesamteuropäische Bedeutung der Entwicklung des Pressewesens in der Aufklärung. Dies gilt ebenfalls für die Analyse der handschriftlich redigierten Nachrichten im Portugal des 18. Jahrhunderts (João Luís Lisboa: "News and newsletters in Portugal"), die die gedruckte Presse dahingehend ergänzen, dass sie - nach einer bereits für Frankreich und England bekannten Funktionsweise - die Nachrichten propagieren, die die gedruckte Presse wegen der Zensur nicht verbreiten darf. [10]

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Band meist Untersuchungen bietet, die zwar auf bekannte Problematiken und Ansätze zurückgreifen, sie jedoch vertiefen oder auf andere, bisher eher vernachlässigte Gegenstände anwenden und somit die Fruchtbarkeit eines pluri- bzw. interdisziplinären und interkulturellen Ansatzes belegen.


Anmerkungen:

[1] Dabei ist zu vermerken, dass die Forschungslage sehr variabel ist: während zum Beispiel die Pariser Presse sehr gut erforscht ist, ist eine Untersuchung der regionalen Presse Frankreichs in ihrer Diversität noch ein Desiderat. In Deutschland hingegen ist die regionale Presse viel gründlicher untersucht worden. Vgl. z. B. Sabine Doring-Manteuffel / Josef Mančal / Wolfgang Wüst (Hgg.): Pressewesen der Aufklärung: periodische Schriften im Alten Reich, Berlin (Akademie-Verlag) 2001, sowie die Arbeiten von Holger Böning, Werner Greiling, Friedrich Hünecke und Ulrike Möllney.

[2] Vgl. exemplarisch Christophe Charle: Le Siècle de la presse: 1830-1939, Paris 2004.

[3] Vgl. Suzanne Tucoo-Chala: Charles-Joseph Panckoucke et la librairie française 1736-1798, Pau 1977.

[4]Vgl. Holger Böning: Periodische Presse : Kommunikation und Aufklärung ; Hamburg und Altona als Beispiel, Bremen 2002.

[5] Vgl. z. B. Ouzi Elyada: Presse populaire & feuilles volantes de la Révolution à Paris 1789 - 1792: inventaire méthodique et critique, Paris 1991.

[6] Vgl. Malcom Cook / Annie Jourdan (eds.): Journalisme et fiction au 18e siècle, Bern 1999 ; Micheline Cambon / Hans-Jürgen Lüsebrink (eds.): Presse et littérature, 2000 [= Etudes françaises; 36] ; François Moureau : Répertoire des nouvelles à la main : dictionnaire de la presse manuscrite clandestine, XVIe - XVIIIe siècle, Oxford 1999 ; Anne Goldgar: Impolite learning: conduct and community in the republic of letters 1680-1750, New Haven 1995.

[7] Vgl. u.a. die Arbeiten von Michel Espagne.

[8] Dass die Memoires secrets gattungstechnisch schwer einzuordnen sind und stricto sensu kein Presseorgan ist, notiert die Verfasserin selbst.

[9]Wie fruchtbar dieser Ansatz war zeigen die nunmehr publizierten Ergebnisse dieser Untersuchung für die Zeit bis 1800 (siehe Susanne Lachenicht: Information und Propaganda. Die Presse deutscher Jakobiner im Elsaß (1791-1800), München 2004 [= Ancien régime, Aufklärung und Revolution; 37]).

[10] Interessant sind hierbei die vom Verfasser festgestellten Unterschiede zwischen den handschriftlichen Nachrichten: die handschriftlich redigierten Nachrichten, die einen wirtschaftlichen Profit verfolgen, vermeiden eine Kritik an der Regierung und berichten z. B. lieber über die Konflikte innerhalb der Aristokratie.

Christophe Losfeld