Rezension über:

Hanno Brand (ed.): Trade, diplomacy and cultural exchange. Continuity and change in the North Sea area and the Baltic c. 1350 - 1750, Hilversum: Uitgeverij Verloren 2006, 248 S., ISBN 978-90-6550-881-2, EUR 30,00
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Rezension von:
Heiko Droste
Institutionen för genus, kultur och historia, Södertörns Högskola, Huddinge
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Heiko Droste: Rezension von: Hanno Brand (ed.): Trade, diplomacy and cultural exchange. Continuity and change in the North Sea area and the Baltic c. 1350 - 1750, Hilversum: Uitgeverij Verloren 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 7/8 [15.07.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/07/11860.html


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Hanno Brand (ed.): Trade, diplomacy and cultural exchange

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Der Band vereint eine Vielzahl von Themen zu rund 400 Jahren Vormoderne in Nord- und Ostsee. Das Konzept einer solcherart datierten Vormoderne setzt sich trotz der institutionellen Trennung des Fachs in Mittelalter und Frühe Neuzeit immer stärker durch, zumal auf zahlreiche Gemeinsamkeiten in Wirtschafts-, Sozial-, Politik- und Kulturgeschichte verwiesen werden kann. Dazu gehören eine relativ stabile feudale Gesellschaftsform, der Prozess der Staatsbildung mit seiner großen Zahl von Kriegen, eine ebenso gewaltsame Phase konfessioneller Umbrüche, die Etablierung weltweiter Handelsbeziehungen sowie die Entstehung eines christlichen Europas als kultureller Einheit. Die Autoren dieses Bandes beleuchten verschiedene Aspekte dieser Entwicklung für den genannten Raum, wobei es einen deutlichen Schwerpunkt in der Wirtschaftsgeschichte gibt.

Clé Lesger und Eric Wijnroks untersuchen, mit welchen Mitteln es den Antwerpener Kaufleuten im 16. Jahrhundert gelang, eine erfolgreiche Handelspolitik im Ostseeraum zu treiben. Die Autoren stellen dabei fest, dass wenige zentrale Hansestädte jeweils eigene "gateway"-Funktionen (hier vielleicht am besten als Schnittstelle zu übersetzen) erfüllt haben. Das beinhaltete die Vermittlung von Waren aus dem agrarischen Hinterland, die Bereitstellung von Krediten und Informationen sowie nicht zuletzt den Umschlag von Waren. Die herausgehobene Stellung von Antwerpen im 16. Jahrhundert erklärt sich demnach daraus, dass die Kaufleute gelernt hatten, sich dieser "gateways" zu bedienen. [1]

Leos Müller untersucht die Handelsnetzwerke großer niederländischer Kaufmannsfamilien, die im Kupferhandel in Schweden tätig waren. Ganz ähnlich dazu ist der Ansatz von Michiel de Jong, der freilich weitestgehend auf der deskriptiven Ebene bleibt. Beide untersuchen damit eine Umbruchphase der internationalen Handelsbeziehungen, als es einigen großen Kaufmannsfamilien gelang, im Auftrag der entstehenden Staaten gewaltige Kredite im Austausch gegen Rohwaren zu vermitteln. Diese Kaufleute suchten nicht nur die Nähe zur Herrschaft; sie wurden schließlich Teil derselben.

Ein weiterer Schwerpunkt des Bandes liegt auf Fragen internationaler Politik und hansischer Diplomatie. Hanno Brand, Herausgeber dieses und weiterer Bände zu ähnlichen Fragestellungen [2], bietet eine Detailstudie zur Habsburger Diplomatie im Holländisch-Wendischen Krieg zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Diese Studie ist Teil eines längerfristigen Interesses an hansischer Diplomatie. Der folgende Aufsatz von Mike Burkhardt gilt den sozialen und administrativen Strukturen des Hansekontors in Bergen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, also den Voraussetzungen dieser Diplomatie.

Der dritte Teil des Bandes versammelt Aufsätze zu so verschiedenen Themen wie der Memoria der Kampener Zünfte (Vincent Robijn) und den Portraits Christians II. von Dänemark, der trotz seiner Absetzung im Jahr 1523 bis zu seinem Tod im Jahr 1559 am kaiserlichen Hof in hohem Ansehen stand (Lars Hendrikman). Ein Aufsatz von Hans van Koningsbrugge widmet sich der Frage, ob Gustav III. von Schweden als Tyrann oder Märtyrer zu bezeichnen ist. Gustav III. wurde ermordet, weil er die Monarchie erneut in ihre alten Rechte einsetzen wollte. Eine wichtige Quellengrundlage sind für Koningsbrugge zeitgenössische Zeitungsberichte aus den Niederlanden.

Diese Übersicht demonstriert die große Themenbreite des Bandes, wobei die Autoren sich nicht auf ein gemeinsames Konzept, auf Fragestellungen und Methoden geeinigt haben. Die einzelnen Aufsätze zu 400 Jahren gemeinsamer Geschichte in Nord- und Ostsee werden vielmehr nebeneinander gestellt. Das erschwert die Auswertung, zumal von Seiten der Redaktion kein Versuch unternommen wurde, eine einheitliche Terminologie oder einen Überblick über die Resultate beizusteuern.

Die Themenbreite wird somit zum Problem, denn ein Dialog ist auf diese Weise nicht möglich. An dieser Stelle lohnt ein Blick in das Vorwort des Bandes. Gleich der erste Satz der Einleitung von Dick E. H. de Boer ist aufschlussreich: "The history of the relations between the nations bordering the North Sea and the Baltic is a fine example of the way in which social, political and cultural reality in modern societies influences historical interest" (7).

Historiker haben stets auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert, ihre Forschungsthemen mit Blick auf eigene politische Überzeugungen gewählt. In Zeiten einer Hochschulpolitik, die den gesellschaftlichen Nutzen von Forschung zum primären Maßstab ihrer Berechtigung erklärt und die nicht zögert, die Verteilung von Ressourcen den Konjunkturen dieser gesellschaftlichen Interessen anzupassen, gewinnt ein solcher Einleitungssatz freilich einen doppelten Boden. Er kann einerseits als Bekenntnis zur Zeitgebundenheit von Forschung gelesen werden und ist damit ein Beispiel für die Ironiefähigkeit von Historikern. In der Einleitung folgt auf dieses Zitat ein kurzer Überblick über die Hansegeschichtsschreibung in den Niederlanden.

Der Satz kann freilich auch als Programm gelesen werden, mit dem der Nachweis erbracht werden soll, dass gesellschaftliche Verpflichtungen von Historikern ernst genommen und umgesetzt werden. Das Interesse an der hansischen Geschichte ist durch die erneute Unabhängigkeit der baltischen Staaten spürbar gewachsen, und keineswegs nur in den Niederlanden. Das führte an der Universität von Groningen zur Einrichtung eines Hanze Study Centre. Der vorliegende Band veröffentlicht erste Ergebnisse einer von Groningen ausgehenden internationalen Zusammenarbeit. Sie koordiniert Tagungen, an denen Historiker aus dem gesamten ehemaligen Hanseraum beteiligt sind. Die hansische Geschichte verdient diese Aufmerksamkeit, zumal gerade die späte Hansegeschichte eine gewaltige Menge oft noch kaum bearbeiteter Quellen zu allen Bereichen der Geschichte hinterlassen hat. Das Ziel ist also sinnvoll, kann ein überzeugendes Konzept für jeden Einzelband allerdings nicht ersetzen. Es ist mithin zu hoffen, dass die folgenden Bände mehr bieten als eine Reihe von mehr oder weniger überzeugenden Aufsätzen, die Ergebnis einer institutionellen Vernetzung und gesellschaftlicher Vorgaben sind.


Anmerkungen:

[1] Diesen Ansatz hat Lesger in einer Studie über den Aufstieg von Amsterdam als Handelsplatz überzeugend ausgeführt, vgl. Clé Lesger: The rise of the Amsterdam market and information exchange. Merchants, commercial expansion and change in the spatial economy of the Low Countries, c. 1550-1630, Ashgate 2006.

[2] Hanno Brand (Hg.): The dynamics of economic culture in the North Sea- and Baltic region in the late middle ages and early modern period. Papers collected [...] at two workshops organized in Esbjerg in October 2003 and Stockholm in October 2004. Hilversum 2007. Weitere Bände sind angekündigt.

Heiko Droste