Rezension über:

Eva Gesine Baur: Freuds Wien. Eine Spurensuche, München: C.H.Beck 2008, 235 S., 48 Abb., ISBN 978-3-406-57065-0, EUR 19,40
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Rezension von:
Rashmi Arora
Archiv Bibliographia Judaica, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Rashmi Arora: Rezension von: Eva Gesine Baur: Freuds Wien. Eine Spurensuche, München: C.H.Beck 2008, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/14100.html


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Eva Gesine Baur: Freuds Wien

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Nach dem 150. Geburtstag Sigmund Freuds und den daraufhin zahlreich erschienenen Publikationen folgt mit Eva Gesine Baurs "Freuds Wien. Eine Spurensuche" nun ein Buch, das sich vorwiegend den unkonventionellen Orten in Wien zuwendet, die an das Leben des Begründers der Psychoanalyse erinnern.

Die Autorin weist in ihrer sehr knappen Vorbemerkung darauf hin, dass die bekannten Schauplätze, die an das Leben Freuds erinnern könnten, größtenteils nicht mehr existieren, wie z.B. das Hotel Bellevue oder das Haus, in dem Freud als junger Mann wohnte. Zudem fehlt ein Grab und Freuds wichtige Kunstsammlungen wurden ausgelagert. Diesem für "Spurensucher" Freuds enttäuschenden Befund möchte Baur mit ihrem kulturhistorischen Reiseführer entgegenwirken. In Szenen sollen die Orte betrachtet werden, die bisher wenig Beachtung fanden, aber dennoch "ins Herz von Freuds Leben und in das seiner Stadt" (8) führen.

Die Darstellung gliedert sich in 18 Kapitel, in denen schwerpunktmäßig der Mensch Freud und seine Beziehungen zu Familienangehörigen und Bekannten behandelt werden. Örtliche Bezugspunkte sind unter anderen die von Freud besuchte Volksschule der Karmeliter, das Kommunal- und Realgymnasium sowie die Mädchenschule im Ursulinenkloster, auf die Freuds Schwester Anna ging. Auch das Grab des Vaters auf dem jüdischen Teil des Zentralfriedhofs wird besichtigt und eingehend Freuds Aversion gegen solche Orte analysiert.

Neben Freuds Kindheit und psychologischen Porträts wichtiger Familienmitglieder, wie die der Eltern und der Schwester Anna, treten Schilderungen der Beziehungen Freuds zu prominenten Zeitgenossen wie Karl Kraus, Otto Weininger und Arthur Schnitzler. Auch die Schriftsteller Arnold und Stefan Zweig kommen zu Wort. Diese Beziehungen waren selten unproblematisch. So nutzte der zu Lebzeiten prominentere Satiriker Karl Kraus die von ihm gegründete Zeitschrift "Die Fackel" als Angriff gegen die Psychoanalyse, woraus sich Baur zufolge eine Hassliebe zwischen Freud und Kraus entwickelte. Durch Weininger, der wegen seiner Doktorarbeit über die bisexuelle Veranlagung des Menschen von Freuds Freund Wilhelm Fließ des Plagiats bezichtigt wurde, geriet auch Freud in die Kritik. So wurde ihm von Fließ vorgeworfen, er habe seine Idee an Weininger weitergegeben. Arthur Schnitzler, der Freud einmal im Cottage-Sanatorium besucht hatte, hatte durch Freuds Veröffentlichungen fachliche Inspiration erhalten, der Kontakt blieb jedoch auf ein paar gewechselte Briefe beschränkt. Die Orte und Plätze, die in diesen Kapiteln beschrieben werden, haben in der Tat meist nur indirekt mit Freud zu tun: Die Karlskirche, in der Kraus zum Katholizismus übertrat, der Saal des Musikvereins, in dem Kraus auftrat oder der Matzleinsdorfer Friedhof, auf dem Weininger begraben liegt.

Auch Freuds Beziehungen zu prominenten Frauen werden thematisiert. Lou Andreas-Salomé und Marie Bonaparte, die beide begeisterte Anhänger seiner Lehren waren und ihm persönlich nahestanden, suchten ihn entweder in seiner Praxis auf oder trafen sich mit ihm in bekannten Hotels. Es war schließlich Bonaparte, die Gegenstände Freuds, wie Sammlungen und Figuren sowie Korrespondenzen, rechtzeitig außer Landes brachte und so vor der Zerstörung durch die Nationalsozialisten rettete. Eine weitere wichtige Frau in Freuds Leben, die aber keine Rolle für die Psychoanalyse spielte, war Yvette Guilbert, eine französische Opernsängerin, die in Wien auftrat und die Freud im Hotel Bristol besuchte.

Im Zuge der biografischen Skizze, die Baur von Freud nachzeichnet, werden auch die Lebensumstände der Wiener Juden thematisiert, namentlich derjenigen, die in der Leopoldstadt lebten. Eindringlich schildert Baur die Umgebung, die von Not, Krankheit und Diskriminierung gekennzeichnet war und die Bemühungen der Eltern Freuds, ihren Kindern dennoch eine gute schulische Ausbildung zukommen zu lassen. Die beruflichen Schwierigkeiten, die Freud als Jude hatte, werden in dem Kapitel über seine Versuche, eine Professur zu erlangen, nur allzu deutlich. Die ordentliche Professur sollte Freud erst mit 66 Jahren erhalten.

Weitere mehr oder weniger bekannte Orte, die mit Freud assoziiert werden können, sind Kaffeehäuser wie das Café Central, das Café Landtmann (in denen Freud seine Zigarren- und Kartenspielsucht auslebte) sowie bekannte Hotels wie das Hotel Imperial. Aber auch die Alte Universität, an der Freud studierte sowie seine Praxis in der Berggasse 19, die zum Knotenpunkt internationaler Kommunikation der Psychoanalytiker wurde. Hinzu kommen Orte, die nur indirekt an Freud erinnern wie das Konzerthaus, in dem die Guilbert häufig auftrat oder das Stubenviertel, in dem die Schwestern Freuds bis zu ihrer Deportation lebten. Zahlreiche andere Orte wie Parks und öffentliche Plätze werden im Laufe des kulturhistorischen Rundgangs von der Autorin vorgestellt.

Eva Gesine Baur, die unter anderem Kunstgeschichte und Psychologie studiert hat, liefert mit ihrer Darstellung einen spannenden kulturhistorischen Reiseführer Wiens. Sie schafft es, durch szenisches Erzählen, eine angenehm zu lesende Sprache und einen unterhaltenden Stil den Lesern das Leben Freuds näherzubringen.

Sie beleuchtet hauptsächlich Freuds Familien- und Bekanntenkreis, deren Geschichten sie mit vielen Orten verbindet, die dem Leser bisher unbekannt waren. Zuweilen rücken die Orte zugunsten der biografischen Beschreibung in den Hintergrund; angesichts der zahlreichen Bilder und ausführlichen Bildunterschriften bleiben sie jedoch stets dem Leser präsent.

Die behandelten Personen lässt Baur häufig selbst zu Wort kommen und vermittelt so ein authentisches Bild der Zeit. Zwar sind die meisten der behandelten Aspekte bekannt und auch die Methode ist nicht gänzlich neu, denn Christfried Tögel [1] sowie Lisa Fischer und Regina Köpl [2] haben Freuds Leben bereits biografisch in Bezug auf seine Schauplätze skizziert. Während Tögel sich weitgehend auf die biografischen Fakten beschränkt, untersuchen Fischer und Köpl verstärkt das für die Entwicklung der Psychoanalyse wichtige (weibliche) Umfeld Freuds und berücksichtigen gesamthistorische Zusammenhänge. Baur bewegt sich zwischen diesen beiden Biografien, sie erklärt und deutet biografische Zusammenhänge, verzichtet jedoch weitgehend auf eine historische Einordnung Freuds. Ihr geht es vor allem um die persönlichen Momente. Zahlreiche Abbildungen, praktische Hinweise wie Adressen der Orte am Ende der Kapitel, ein Personen- und Ortsregister sowie ein Stammbaum der Familie Freud tragen zum informativen Gehalt des Buches bei.


Anmerkungen:

[1] Christfried Tögel: Freuds Wien. Eine biografische Skizze nach Schauplätzen, Wien 1996.

[2] Lisa Fischer / Regina Köpl: Sigmund Freud, Wiener Schauplätze der Psychoanalyse, Wien/Köln/Weimar 2005.

Rashmi Arora