sehepunkte 8 (2008), Nr. 10

Brian L. Davies: Warfare, State and Society on the Black Sea Steppe, 1500-1700

Davies Buch schließt eine klaffende Lücke: Zwar hat die neuere Militärgeschichte für den Nordosten Europas einige Synthesen hervorgebracht, und auch die Habsburgische wie Osmanische Geschichte dürfen als besser untersucht gelten, doch demgegenüber blieb die Darstellung der nicht minder wichtigen Auseinandersetzungen in der Schwarzmeersteppe bislang auf die noch immer nicht annähernd ausgeschöpften Nationalgeschichten beschränkt. Was der durch Publikationen zu Moskaus Steppengrenze und dem ersten Russisch-Türkischen Krieg ausgewiesene Autor hier unternimmt, ist in zweierlei Hinsicht neu. Zum einen stellt er die begrenzten nationalen Historiographien nebeneinander, verzahnt sie und vergleicht sie, wo dies möglich erscheint. Zum anderen betont er die spezifischen Bedingungen, unter denen in diesem Gebiet Krieg geführt wurde und untersucht die wechselseitigen Einflüsse von Militär, Staatsbildung und gesellschaftlichen Wandlungen.

Startpunkt der Darstellung sind die Veränderungen im osteuropäischen Mächtegleichgewicht infolge des Niedergangs des Mongolischen Weltreichs. Die Ausdehnung nach Südosten in die Rus' brachte im 14. Jahrhundert Litauen, nach der Union 1569 Polen in Berührung mit der Steppe. Die Schwäche des Königs ging mit der großen Bedeutung ökonomischer Stimuli einher, da Magnaten in der Ukraine Getreide für die Seemächte Nordwesteuropas produzierten: Privatarmeen waren oft wichtiger als Königsmacht. Moskau hingegen expandierte unter vornehmlich strategischen Gesichtspunkten im Westen und Norden, mit der Annexion von Rjazan' verschob sich der wirtschaftliche Schwerpunkt jedoch nach Südosten tief in die Steppe.

Große Bedeutung für die Auseinandersetzungen in der Steppe misst Davies der sich seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelnden Arbeitsteilung im Osmanischen Reich bei - die bereits sesshaften Krimtataren verloren ihre Versorgungsfunktion für die nördlichen Schwarzmeerhäfen an das Donaueinzugsgebiet und spezialisierten sich in der Folge auf die Sklavenjagd. Große Nachfrage nach diesem speziellen Handelsgut verhinderte die Entwicklung des Steppenhandels sowie intensivere politische Beziehungen zwischen Moskau, der Krim und Konstantinopel. Die bei Davies anklingende Gleichgewichtspolitik des Krimchanats ist aktuell Gegenstand eines Forschungsprojektes.[1]

Breiten Raum nimmt die Darstellung der taktischen Entwicklungen ein - etwa die ausgefeilten Durchkämmungsmethoden der kleinen tatarischen Čambuly, die sich zu Heeren bis zu 80.000 Reitern vereinigten, die Machtlosigkeit des Chans gegenüber seinen auf Raub angewiesenen Fürsten oder die Verlorenheit des kleinen polnischen Quartalsheeres angesichts einer 1.000 Meilen langen offenen Grenze. Die polnische militärische Unterlegenheit wurde jedoch bei Berührung im Vorfeld mit noch nicht aufgefächerten Tatarenheeren durch die hohe Effektivität des Adelsheeres wettgemacht, das unter Stefan Bathory die Kampfweise und leichte Bewaffnung der ungarischen Husaren übernommen hatte.

Im Blick auf die Steppe rehabilitiert Davies den oft als Reformhindernis gescholtenen Moskauer Zentralismus. Die Stärke der Moskowitischen Grenzorganisation bestand nicht so sehr in Zentralisierung, sondern in der Fähigkeit, Ressourcen zu mobilisieren und zu kontrollieren. Dazu waren Koordinierung und Sammlung von Informationen durch die Moskauer Verwaltung, aber auch wohldefinierte Spielräume und Rollen für lokale Kommandanten oder einzelne Steppenpatrouillen nötig. Obwohl Moskau schon im Smolensker Krieg 1632-1634 mit Truppen neuer Ordnung nach europäischem Vorbild experimentierte, zeigte sich schnell, dass die Soldaten desertierten, sobald Krimtataren ihre Höfe im Süden und im Umland Moskaus überfielen. Seit den späten 1630er Jahren nutzte Moskau daher diese Truppen, um die offene Steppengrenze zu schließen. Bis 1658 waren umfangreiche Befestigungsarbeiten so weit fortgeschritten, dass der Zar über ein neues, in deren Sicherheit gediehenes Rekrutierungsreservoir verfügte. Trotz einiger Rückschläge ermöglichte die wachsende Bevölkerung im Süden seit den 1670er Jahren, Heere aufzustellen, die Tataren und nun auch massiv aufgebotene osmanische Armeen effektiv abschreckten.

Davies weist nach, dass eine bislang für verloren angesehene Schlacht im Ersten Russisch-Türkischen Krieg, die Verteidigung Čigirins 1678, die noch immer viel zur negativen Bewertung des späten Moskauer Reiches beiträgt [2], bei näherem Hinsehen ein Pyrrhussieg des Osmanischen Reichs war. Indes erreichte Moskau sein Kriegsziel, nämlich die Konsolidierung jüngster territorialer Zugewinne. Die Rücksichtnahme auf die Zaporoger Kosaken gebot dabei, die Verteidigung der belagerten Hauptstadt des Kosakenstaats, Čigirin, auf dem rechten Ufer des Dnjepr bis zur überstürzten Räumung 1678 aufrechtzuerhalten, während die Entsatzheere um der Optik willen lavierten - und das Linke Ufer sicherten.

Im letzten Kapitel fasst Davies die Kräfteverhältnisse am Ende des Jahrhunderts zusammen. Polen-Litauens Niedergang in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erscheint nicht als Folge der Magnatenherrlichkeit; vielmehr begegneten die einfachen adligen Mitglieder der Szlachta den Initiativen des Königs mit viel Misstrauen, da sie in der bislang erfolgreichen Armeeorganisation nach dem towarzysz-Prinzip einen Garanten republikanischer Freiheiten erblickten und im Sejm selten genügend Mittel bewilligten. Die lückenhafte Befestigung der Steppengrenze blockierte zudem das königliche Engagement im Norden.

Die Krise des Osmanischen Reichs war gegen Ende des 17. Jahrhunderts weitgehend überwunden, einschließlich neuer Heeresorganisation und Steuerreformen. Trotz dieser kürzlichen Umbewertung erlitten osmanische Armeen seit den 1670er Jahren zunehmend Niederlagen gegen westliche und selbst russische Armeen. Kein allgemeines Zurückfallen, sondern feinere Unterschiede waren dafür verantwortlich, da man sich allzu stark auf die Belagerungsartillerie und weniger auf die Feldartillerie konzentrierte, die im Zeichen zunehmender Ressourcenmobilisierung und angesichts der steigenden Bedeutung der Disziplin des Feldheeres immer wichtiger wurde.

Der in der Darstellung der Kosaken angelegte Widerspruch wird hingegen nicht aufgelöst. Sie erscheinen zum einen als Standesalternative, strebten Rechte und Freiheiten an und entwickelten eine staatstragende Ideologie im "Zaporoger Hetmanstaat". Zum anderen kann Davies zu Recht nicht die oft beschworene soziale Schichtenbildung erkennen und erblickt in den Auseinandersetzungen zwischen čern und der oft so genannten Oberschicht der staršina eine politische Stratifikation, wobei sich die staršina Moskauer Erfordernissen beugte. Dieser Begriff überzeichnet die Stabilität der staršina und übersieht die Praxis der Kosakenkreise, jemanden aus ihrer Mitte, wenn nötig zwangsweise, zum Ataman zu wählen.[3]

Trotz dieses Vorbehalts hat Davies einen nützlichen, souveränen und in seiner Anlage sowie analytischen Einsichten innovativen Überblick über militärische Auseinandersetzungen, Politik und soziale Entwicklungen in den an die Steppe anrainenden und in ihr lebenden Gemeinwesen vorgelegt. Ansatz und nuancierte Einsichten sind gut integriert; es konnte diesen hier bei weitem nicht in allen Einzelheiten Genüge getan werden.


Anmerkungen:

[1] Das an der LMU München angesiedelte und seit Juli 2005 von der Gerda Henkel Stiftung getragene Forschungsprojekt "Das frühneuzeitliche Krimkhanat zwischen Orient und Okzident. Dependenzen und autonome Entwicklungsmöglichkeiten zwischen orthodoxer, lateinischer und muslimischer Welt".

[2] So beispielsweise P.V. Sedov: Zakat Moskovskogo Carstva, Sankt Petersburg 2008.

[3] Nach wie vor die ausführlichste Untersuchung zu kosakischen Gruppenstrukturen, -ritualen und deren problematischer Eingliederung in formalisierte, große Heeresverbände: Carsten Kumke: Führer und Geführte bei den Zaporoger Kosaken, Wiesbaden 1993.

Rezension über:

Brian L. Davies: Warfare, State and Society on the Black Sea Steppe, 1500-1700 (= Warfare and History), London / New York: Routledge 2007, XVI + 256 S., ISBN 978-0-415-23986-8, GBP 22,99

Rezension von:
Christoph Witzenrath
Leverhulme Research Fellow, University of Aberdeen
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Witzenrath: Rezension von: Brian L. Davies: Warfare, State and Society on the Black Sea Steppe, 1500-1700, London / New York: Routledge 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10 [15.10.2008], URL: https://www.sehepunkte.de/2008/10/9075.html


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