Rezension über:

Enno Bünz / Stefan Tebruck / Helmut G. Walther (Hgg.): Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Festschrift für Matthias Werner zum 65. Geburtstag (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe; Bd. 24), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, XXVIII + 781 S., 33 Abb., ISBN 978-3-412-20060-2, EUR 74,90
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Rezension von:
Susanne Klouth
Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Harald Winkel
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Klouth: Rezension von: Enno Bünz / Stefan Tebruck / Helmut G. Walther (Hgg.): Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Festschrift für Matthias Werner zum 65. Geburtstag, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 12 [15.12.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/12/13586.html


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Enno Bünz / Stefan Tebruck / Helmut G. Walther (Hgg.): Religiöse Bewegungen im Mittelalter

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Matthias Werner, der mit der hier anzuzeigenden Festschrift anlässlich seines 65. Geburtstags und seiner Emeritierung von Schülern, Freunden und Kollegen geehrt wird, hat sich in seinem bisherigen Forscherleben als ausgewiesener Kenner der mittelalterlichen Kirchen-, Kloster- und Frömmigkeitsgeschichte einen besonderen Namen gemacht. "Religiöse Bewegungen im Mittelalter" - unter diesem weitgreifenden Titel subsumieren die Herausgeber die vielseitigen Forschungsinteressen des Jubilars. Entsprechend breit gestreut ist auch das Spektrum der hier vereinten Beiträge, das sich zeitlich über die vollen 1000 Jahre mittelalterlicher Geschichte erstreckt. In inhaltlicher Hinsicht umfasst es eine Vielzahl von Forschungsperspektiven, neben spezifisch landes- oder strukturgeschichtlichen Ansätzen etwa auch Aspekte der Mittelalterarchäologie, Bau- und Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft oder Fachdidaktik.

Die Herausgeber haben sich darum bemüht, die 26 ebenso heterogenen wie facettenreichen Beiträge auf über 750 Seiten sechs verschiedenen Themenblöcken zuzuordnen, was dem Leser zwar die Orientierung erleichtert, dem größeren Aspektreichtum vieler Artikel hingegen nicht immer gerecht zu werden vermag. Gerade dies spricht jedoch für die Qualität der Aufsätze. Viele Autoren wurden, wie sie selbst betonen, durch die Forschungen des Jubilars zu ihren Beiträgen angeregt oder knüpfen an sie an. Ein weiteres Charakteristikum ist die besondere Quellennähe vieler Artikel, nicht selten werden bisher unbekannte oder unbeachtete Quellen untersucht und zum Teil auch in Edition, Transkription oder Abbildung beigefügt.

Mit den frühmittelalterlichen Verhältnissen von "Christentum und Kirche" befassen sich in einem ersten Themenblock Heike Grahn-Hoek, Irmgard Fees und Bernd W. Bahn. Ein zweiter Teil umfasst vier Beiträge von Helge Wittmann, Thomas Zotz, Ulrich Ritzerfeld und Holger Kunde zur "Adeligen Frömmigkeit" vom frühen bis ins hohe Mittelalter. Mit acht Studien von Rudolf Schieffer, Ursula Braasch-Schwersmann, Joachim J. Halbekann, Matthias Eifler, Jörg Voigt, Elke-Ursel Hammer, Enno Bünz und Reinhard Schmitt bildet der Themenblock zum monastischen Leben den umfangreichsten Teil. Mathias Kälble, Ingrid Würth, Volker Leppin, Petra Weigel und Thomas Doepner befassen sich unter der Überschrift "Armut und Nachfolge Christi" mit religiösen Armutsbewegungen vom 13. Jahrhundert bis zu den spätmittelalterlichen Mendikantenorden. Während sich Petr Kubín, Johannes Helmrath und Johannes Mötsch den Aspekten Heiligenverehrung, Kanonisation und Wallfahrt widmen, beleuchten Klaus Krüger, Helmut G. Walther und Maike Lämmerhirt das Verhältnis von Christen, Nichtchristen und Ketzern vom 12. bis zum 14. Jahrhundert. Den Band beschließt ein Verzeichnis der Schriften des Jubilars sowie der von ihm betreuten Dissertationen und Habilitationen. Einigen Aufsätzen ist zusätzliches Bildmaterial (Karten, Skizzen, Fotos, Stammtafeln, Handschriftenfaksimilia) beigegeben, das en bloc in der Mitte des Bandes eingefügt ist.

Um einen - bei der Vielzahl der Beiträge zwangsweise ebenso selektiven wie subjektiven - Eindruck von der Bandbreite der Festschrift zu vermitteln, seien im Folgenden einige Aufsätze beispielhaft ausgewählt und kurz vorgestellt.

Der landesgeschichtlichen Perspektive ist Helge Wittmann verpflichtet, der die Rolle des Adels bei Kirchen- und Klosterstiftungen in Thüringen vom 8. bis zum frühen 9. Jahrhundert unter Einbezug prosopografischer Betrachtungen in Augenschein nimmt. Der Autor unterstreicht nochmals den hohen Anteil der mächtigen grundbesitzenden Adelsfamilien an der Christianisierung, aber zugleich auch den Einfluss der angelsächsischen Missionare bei der Durchsetzung eines völlig neuen Konzepts von Kirche in Thüringen. Der bereits vor dem Auftreten der Angelsachsen zu erheblichen Teilen christianisierte, durch diese jedoch offenbar erst nachhaltig zur Stiftertätigkeit angeregte Adel war somit auch am Aufbau langfristiger kirchlicher Strukturen in dem hier betrachteten Raum beteiligt. Die These von einer kaum bis in das 7. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte des Kirchen- und Klosterwesens in Thüringen wird durch die Ergebnisse des Beitrags gestützt.

Matthias Eifler untersucht mit dem Conceptus super modo reformandi monasterium des Johannes Tutz eine bisher unbeachtete Quelle zur Klostergeschichte des Merseburger Benediktinerklosters Sankt Peter und Paul. Es handelt sich um ein Reformstatut aus dem 2. Viertel des 15. Jahrhunderts, das in vielen Punkten auf einen episodenhaften Reformversuch im Merseburger Peterskloster hindeutet. Dieser ist nicht bereits der Bursfelder Kongregation zuzurechnen, sondern hat offensichtlich seinen Ausgang von der Kastler Reforminitiative im Nürnberger Kloster Sankt Ägidien genommen. Damit reiht sich das Merseburger Benediktinerkloster hypothetisch in eine Folge weiterer ähnlicher Fälle wie Münsterschwarzach, Seligenstadt oder Mönchröden ein, wo im Verlauf des 15. Jahrhunderts jeweils ein Wechsel von der Kastler zur Bursfelder Observanz stattgefunden hat.

Die europäische Dimension des Bandes beleuchtet beispielhaft der Beitrag von Ingrid Würth, die mit der Königin Sancia von Neapel (1286-1345) die Geschichte einer "Altera Elisabeth" vorstellt. Die heilige Elisabeth hatte sowohl aufgrund ihrer mehrfachen Verwandtschaft zum neapolitanischen Königshaus als auch in ihrer Verkörperung des franziskanischen Armutideals eine wichtige Vorbildfunktion für Sancia, die sich in der Nachfolge der Heiligen selbst als Mutter der Minderbrüder verstand. Als Hauptquelle werden vier Briefe Sancias an die Ordensgeneräle und die franziskanische Gemeinschaft aus den Jahren zwischen 1316 und 1334 herangezogen, aus denen das glühende Engagement der Königin für die Ideale der Armutsbewegung spricht. Dabei nutzte Sancia ihren Einfluss zunächst für die politische Unterstützung des Ordens und später für die Verteidigung der ursprünglichen Ideale im innerfranziskanischen Armutsstreit. In ihrem Selbstverständnis spiegelt die Königin "auf einzigartige Weise den Wandel des Elisabeth-Bildes innerhalb eines Jahrhunderts nach der Kanonisation wider" (518).

Thomas Doepner setzt sich mit seinem schuldidaktischen Ansatz von den übrigen rein fachwissenschaftlichen Beiträgen ab und verdient auch insofern besondere Beachtung. Vor dem Hintergrund aktueller Lehrpläne des Unterrichtsfaches Geschichte prüft er die didaktische Eignung des Themas "Elisabeth von Thüringen" für den Schulunterricht, die Möglichkeiten der Umsetzung auf der Basis der vorhandenen Lehrbücher und die Verfügbarkeit weiterführenden Materials zur Vorbereitung für Lehrer und Schüler in Bibliotheken und im Internet. Dem großen didaktischen Potenzial des Themas stehen demnach in der Praxis als größtes Hindernis die nur sehr begrenzte Nutzbarkeit des spärlich vorhandenen Lehrmaterials und ein gar mit "katastrophal" beschriebenes Internetangebot als Informationsquelle gegenüber. Der Verfasser beschließt seine Prüfung mit einem berechtigten Appell an die Vermittlungsaufgabe der Universitäten, sich neben der "Lehrerausbildung" auch verstärkt der "Lehrerfortbildung" anzunehmen.

Die übrigen Beiträge seien hier zumindest in ihrer Gesamtheit als durchweg ansprechend und lesenswert gewürdigt. Auf der bisweilen strapaziösen, da langen Reise durch ein facettenreiches Florilegium zur Welt der religiösen Bewegungen im Mittelalter wird der Leser - ob nun Laie oder Fachmann - mit vielen interessanten Ergebnissen belohnt. Neben Hinweisen auf Forschungsdesiderate findet er zudem auch zahlreiche Anregungen für weitere lohnenswerte Untersuchungen. Allein ein Register hätte schließlich noch zum wunschlosen Glück des Reisenden bei der Lektüre dieser insgesamt sehr bereichernden Festschrift beitragen können.

Susanne Klouth